Leitsatz (amtlich)

Zum Rechtsweg für einen Rechtsstreit zwischen einer Stiftung und ihren Destinatären, wenn diese zugleich Arbeitnehmer der Stiftung sind.

Der Streitwert für das Rechtswegbeschwerdeverfahren nach § 17 a GVG ist auf einen Bruchteil des Hauptsachewertes festzusetzen.

 

Normenkette

GVG § 13; ArbGG § 2; ZPO § 3; GVG § 17a

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 31.07.1996; Aktenzeichen 9 W 18/96)

LG Ellwangen

 

Tenor

Die weitere Beschwerde der Kläger gegen den Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 31. Juli 1996 – 9 W 18/96 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Beschwerdewert: 10.000 DM.

 

Tatbestand

I.

1. Die Beklagte ist eine im Jahre 1889 gegründete rechtsfähige Stiftung des Privatrechts. Zweck der Stiftung ist vor allem die dauernde Fürsorge für die wirtschaftliche Sicherung der Stiftungsunternehmen, die Erfüllung größerer sozialer Pflichten gegenüber der Gesamtheit der in ihnen tätigen Mitarbeiter, die Förderung allgemeiner Interessen der Zweige feintechnischer Industrie und die Förderung naturwissenschaftlicher und mathematischer Studien in Forschung und Lehre. Die Beklagte ist Alleininhaberin der unter selbständigen Handelsfirmen betriebenen Stiftungsunternehmen Carl Z. in H./O. und S. Glaswerke in Mainz.

Die Rechtsverhältnisse der Stiftung sind in deren Statut aus dem Jahre 1896 (mit einigen nachträglichen Änderungen) wie folgt geregelt: Titel I enthält die „konstituierenden Bestimmungen”; Titel II die „Organisation der industriellen Tätigkeit der Stiftung”; Titel III die „allgemeinen Normen für die geschäftliche Tätigkeit der Stiftung”, darunter den § 37, um dessen Auslegung es im vorliegenden Rechtsstreit geht und der auszugsweise wie folgt lautet:

„Veräußerung von Stiftungsbetrieben.

(1) Nach Sinn und Zweck der Stiftung ist unbedingt ausgeschlossen, daß sie ihrer Besitztitel auf die gegenwärtigen Stiftungsbetriebe oder der diesbezüglichen vertragsmäßig gegebenen Anrechte durch Verkauf oder Abtretung, oder der Last eigener Verwaltung derselben durch Verpachtung, Aufnahme neuer Sozien oder dergleichen jemals ganz oder teilweise sich entledigen dürfte.

(2) Das gleiche soll auch hinsichtlich jedes anderen etwa in Zukunft von der Stiftung in Deutschland begründeten oder übernommenen neuen Betriebsunternehmens dann in Geltung treten, wenn dasselbe einmal durch fünf Jahre oder länger im Besitz oder Mitbesitz der Stiftung gewesen ist. …”

Titel IV regelt den „Reservefonds”; Titel V „das Rechtsverhältnis der Angestellten und Arbeiter in den Stiftungsbetrieben”, mit den Untergliederungspunkten „persönliche Rechte”, „wirtschaftliche Anrechte im Arbeitsverhältnis”, „Pensionsrechte”, „Auflösung des Arbeitsverhältnisses”. Titel VI enthält die „Regelung allgemeiner Interessen des Personals der Stiftungsbetriebe”; Titel VII die „Verwendung der Überschüsse”; Titel VIII die „Rechnungslegung der Stiftungsverwaltung”. In Titel IX „Schlußbestimmungen” ist in §§ 118 und 119 unter anderem festgelegt, daß die Destinatäre der Stiftung, nämlich das Personal der Stiftungsbetriebe und bestimmte weitere natürliche und juristische Personen die Befugnis besitzen, Abänderungen des Statutes im Wege der Klage gegen die Stiftungsverwaltung als ungerechtfertigt anzufechten.

Die Kläger sind Arbeitnehmer des Stiftungsunternehmens Carl Z. in H/O. In ihren Anstellungsverträgen ist festgelegt, daß das Statut der C.-Z.-Stiftung, das Pensionsstatut sowie die Betriebsordnung in ihrer jeweiligen Fassung Teil des Anstellungsvertrages sind.

2. Die Kläger begehren, gestützt auf die ihnen als Mitgliedern des Personals der Stiftungsbetriebe und damit als Stiftungsdestinatären durch §§ 118, 119 des Statuts eingeräumte Klagebefugnis, sinngemäß die Feststellung, daß die nach dem Vorbringen der Kläger von der Beklagten betriebene Ausgründung von Betriebsteilen der Stiftung sowie die Aufnahme neuer Gesellschafter für diese Betriebe gegen § 37 des Stiftungsstatutes verstoßen. Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht den Beschluß des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Mit der zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde begehren die Kläger die Wiederherstellung der Entscheidung des Landgerichts.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Die weitere sofortige Beschwerde ist nach § 17 a Abs. 4 GVG i.V.m. §§ 567 Abs. 4, 577 ZPO zulässig. Eine Beschwer der Kläger durch den angefochtenen Beschluß läßt sich nicht schon deswegen verneinen, weil das Oberlandesgericht den von ihnen selbst beschrittenen ordentlichen Rechtsweg für zulässig erklärt hat. Nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG steht die zugelassene Beschwerde „den Beteiligten” zu. Beschwerdeberechtigt kann daher auch die Partei sein, die zwar ursprünglich den betreffenden Rechtsweg beschritten hatte, aber die Auffassung vertritt, daß nicht dieser Rechtsweg, sondern ein anderer für den Rechtsstreit eröffnet ist. Eine Beschwer dieser Partei kann sich in solchen Fällen bereits aus der Divergenz des für zulässig erklärten und des erstrebten Rechtswegs ergeben. Dies zeigt sich besonders deutlich im vorliegenden Fall: Die Kläger hatten von vornherein und durchgängig die Auffassung vertreten, daß die Arbeitsgerichte zuständig seien. Sie hatten daher zunächst Klage zum Arbeitsgericht erhoben und diese erst zurückgenommen, nachdem das Arbeitsgericht hatte erkennen lassen, daß es den ordentlichen Rechtsweg für gegeben erachtete. Unter diesen Umständen setzten sich die Kläger nicht zu ihrem eigenen prozessualen Verhalten in Widerspruch, wenn sie ihre Rechtsauffassung, betreffend die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, in dem Verfahren nach § 17 a GVG durchzusetzen trachteten.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach der durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809) bewirkten Neufassung der §§ 17 ff GVG, 48 ArbGG ist das Verhältnis zwischen ordentlichen Gerichten und Arbeitsgerichten nicht mehr, wie zuvor, ein solches der sachlichen Zuständigkeit, sondern der Zulässigkeit des Rechtswegs (BAG DB 1996, 1578 m.w.N.; OLG Köln VersR 1994, 498). Dies bedeutet, daß auch für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den ordentlichen und den Arbeitsgerichten die allgemeinen Grundsätze gelten, die in der Rechtsprechung zu der Frage entwickelt worden sind, nach welchen Gesichtspunkten der jeweils zulässige Rechtsweg zu ermitteln ist. Diese Frage beurteilt sich, wenn – wie hier – eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OGB in BGHZ 102, 280, 283 und in BGHZ 97, 312, 313, 314 m.w.N.). Stellt sich der Klageanspruch nach der ihm vom Kläger gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhalts dar, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, so ist für ihn der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Dieser Rechtsweg ist jedoch verschlossen, wenn der streitige Anspruch nach dem vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt nur als arbeitsrechtlicher Anspruch möglich ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 72, 56, 57 für die Abgrenzung zwischen dem ordentlichen Rechtsweg und demjenigen zu den Sozialgerichten).

3. Im vorliegenden Fall hängt die Entscheidung davon ab, ob die umstrittene Auslegung des § 37 des Stiftungsstatutes die Kläger in deren spezifischen Belangen als Arbeitnehmer der beklagten Stiftung betrifft (dann kommt eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a oder Nr. 4 Buchst. a ArbGG in Betracht), oder ob es um eine stiftungsrechtliche Angelegenheit geht, die die Interessen der Kläger in deren Eigenschaft als Stiftungsdestinatäre berührt (dann liegt eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 13 GVG vor). Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, daß das Letztere der Fall ist.

a) Hierfür ist es ohne Bedeutung, daß das Stiftungsstatut Bestandteil der einzelnen Anstellungsverträge der Kläger ist. Die Bezugnahme auf das Stiftungsstatut in dem jeweiligen Anstellungsvertrag bedeutet nicht, daß damit zugleich jede mit der Auslegung des Statuts im Zusammenhang stehende Rechtsfrage arbeitsrechtlichen Charakter hätte. Das Statut regelt zwar auch die Rechtsverhältnisse der Angestellten und Arbeiter in den Stiftungsbetrieben und die allgemeinen Interessen des Personals der Stiftungsbetriebe. Dementsprechend können Streitigkeiten, in denen die betroffenen Arbeitnehmer der Beklagten geltend machen, in ihren in den Titeln V und VI des Stiftungsstatutes festgelegten Rechten verletzt zu sein, durchaus arbeitsrechtlichen Charakter haben. Eine solche Fallkonstellation lag beispielsweise dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. August 1990 (NJW 1991, 514) zugrunde.

b) Daneben enthält das Stiftungsstatut jedoch auch Regelungen ohne arbeitsrechtlichen Charakter. Dieses gilt für die Titel I bis IV und VII bis IX. Durch Maßnahmen der Beklagten, die sich auf diese Titel beziehen, werden die Kläger nicht in ihrer Stellung speziell als Arbeitnehmer betroffen, sondern als Stiftungsdestinatäre, nicht anders als die übrigen nach §§ 118 und 119 des Statuts klagebefugten Personen.

c) In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den sogenannten „gemischten Verträgen” ist anerkannt, daß im allgemeinen die für die Zuständigkeit der jeweiligen Gerichtsbarkeit maßgebende Beurteilung des Streitverhältnisses dem jeweils einschlägigen Vertragselement zu entnehmen ist (BAG NJW 1969, 1192). Das Oberlandesgericht hat diesen Grundsatz zu Recht auch auf das hier in Rede stehende Regelungswerk angewandt. Auch die Auffangzuständigkeit der Arbeitsgerichte nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG enthebt die Gerichte nicht der vorrangigen Pflicht, im Wege einer wertenden Betrachtung den für die Rechtswegfrage maßgeblichen Schwerpunkt des Streitverhältnisses zu ermitteln.

4. Die Bestimmung des § 37, um die es hier geht, ist systematisch in den Titel III des Stiftungsstatuts „Allgemeine Normen für die geschäftliche Tätigkeit der Stiftung” eingeordnet. Die Vorschrift legt fest, welche Schranken das Stiftungsstatut der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit setzt. Die mögliche Ausgliederung und Umstrukturierung von Stiftungsbetrieben oder deren Teilen berührt unmittelbar noch nicht die Rechtstellung der einzelnen Arbeitnehmer. Die Umstrukturierungsmaßnahmen selbst wirken sich nicht unmittelbar auf die Anstellungsverträge aus. Erst durch den Abschluß von Entsendungsverträgen mit oder ohne Rückkehrmöglichkeit, durch Kündigungen, Änderungskündigungen oder dergleichen wären die Arbeitnehmer als Destinatäre der Stiftung in ihrem Status berührt. Die Ausgründungen von Betriebsteilen und die Aufnahme neuer Gesellschafter sind dagegen unternehmerische Entscheidungen, die nicht am Maßstab des Arbeitsrechts zu messen sind, sondern sich ausschließlich nach bürgerlichem Stiftungsrecht beurteilen. Deshalb geht auch der weitere Hinweis der Kläger fehl, das Oberlandesgericht habe die Zuständigkeitsprüfung lediglich im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der §§ 118, 119 i.V.m. § 37 des Stiftungsstatuts vorgenommen und nicht auf eine mögliche Verletzung der Einzelarbeitsverträge abgestellt. Eine derartige Verletzung lag, auch wenn man insoweit ausschließlich vom klagebegründenden Sachvortrag der Kläger ausgeht, bereits tatbestandsmäßig nicht vor. Der Gesichtspunkt, daß der Inhalt und die rechtliche Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses nicht nur nach dem Arbeitsvertrag allein, sondern auch nach den jeweils einschlägigen freiwilligen oder zwingenden gesetzlichen und/oder kollektivvertraglichen Regeln zu ermitteln ist, vermag eine andere Beurteilung der Sache nicht zu rechtfertigen. Hier geht es insbesondere nicht darum, daß über Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder über das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung gestritten wird.

5. In zusammenfassender Würdigung dieses Sachverhalts hält der Senat die vorliegende Rechtsstreitigkeit für eine rein bürgerlich-rechtliche i.S. des § 13 GVG, für die der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist.

III.

Den Streitwert für das Beschwerdeverfahren hat das Oberlandesgericht auf 10.000 DM, d.h. 1/5 des Hauptsachewertes, festgesetzt. Diese Festsetzung ist für das vorliegende weitere Beschwerdeverfahren zu übernehmen. In der Rechtsprechung werden zum Beschwerdewert bei Rechtswegverweisungen unterschiedliche Positionen vertreten: voller Hauptsachewert (OLG Köln, OLGR 1993, 140, 141; LAG Köln MDR 1993, 915); Bruchteil des vollen Hauptsachewertes in der Größenordnung von 1/3 (OLG Köln VersR 1994, 498, 499/500; OLG Frankfurt OLGR 1994, 119); Orientierung am Kosteninteresse (OLG Karlsruhe MDR 1994, 415; OLG Braunschweig DAR 1993, 390; zusammenfassende Darstellung des Meinungsstandes bei Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl. 1996 Rn. 3846 a). Der Senat entscheidet diese Frage nunmehr dahin, daß ein Bruchteil des Hauptsachewertes maßgeblich ist, wobei Schwankungen in einer Größenordnung von etwa 1/3 bis 1/5 denkbar sind. Nach der Neugestaltung des Verweisungsverfahrens kann die Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs nicht mehr zur Klageabweisung durch Prozeßurteil führen. Vielmehr hat die Verweisung von Amts wegen stattzufinden; ein Antrag des Klägers ist nicht mehr erforderlich (BAG DB 1996, 1578). Deshalb ist es, wie das OLG Köln (VersR 1994, 498, 500) zutreffend hervorhebt, sachlich nicht gerechtfertigt, das Interesse des Rechtsmittelführers im Beschwerdeverfahren, den Rechtsstreit in dem seiner Meinung nach eröffneten Gerichtszweig zu entscheiden, mit dem Interesse an einer Hauptsacheentscheinung gleichzubewerten. Das Rechtsweginteresse ist vielmehr deutlich niedriger anzusetzen, wobei aus Gründen der Praktikabilität die Orientierung an einem Bruchteil des Hauptsachewertes zu erfolgen hat.

 

Unterschriften

Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237632

NJW 1998, 909

BGHR

Nachschlagewerk BGH

AP, 0

MDR 1997, 386

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