Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 19.07.2006) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 19. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten des unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit der zum Nachteil des Rechtsanwalts und Notars L. begangenen gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden. Dagegen hält die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten versuchten Mordes rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat der Angeklagte den gezielten Schuss auf den Kopf des Tatopfers nach den auch insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen heimtückisch und mit Tötungsabsicht abgegeben. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet aber die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben, weil er sich hieran durch äußere Umstände gehindert gesehen habe, insbesondere deswegen, weil das Opfer fast sein Haus erreicht habe, aber auch aus Furcht vor einer Entdeckung der Tat angesichts des nach Angaben des Tatopfers zu dieser Zeit noch lebhaften Autoverkehrs.
Rz. 3
Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB geprüft, der die freiwillige Aufgabe der weiteren Ausführungen der Tat voraussetzt. Nach der für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch maßgeblichen Vorstellung des Angeklagten (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227 m.N.) war der Mordversuch nicht beendet, weil der Angeklagte nach der Abgabe des Schusses auf Grund der Reaktion des Tatopfers nicht mit dem Eintritt des angestrebten tatbestandsmäßigen Erfolges rechnete. Die Revision beanstandet jedoch zu Recht, dass weder die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei davon ausgegangen, es werde ihm nicht gelingen, noch einmal in Schussnähe an das Tatopfer heranzukommen, noch die Annahme, der Angeklagte habe befürchtet, dass seine Tat von einem der vorbeifahrenden Autoinsassen entdeckt werden könne, hinreichend belegt ist.
Rz. 4
Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass der Angeklagte davon ausging, es werde ihm nicht gelingen, „noch einmal auf Schussnähe” an das Tatopfer heranzukommen, läge ein fehlgeschlagener Versuch vor, bei dem ein Rücktritt gemäß § 24 StGB nach der Rechtsprechung ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 39, 221, 228 m.N.). Worauf das Landgericht die Annahme stützt, dass der Angeklagte davon ausging, die Tat nicht mehr vollenden zu können, lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen. Das Landgericht hat weder Feststellungen zu der von dem Tatopfer bis zu dem Eingang zu seinem Haus noch zurückzulegenden Entfernung getroffen, noch dazu, wieweit sich der Angeklagte von dem Tatopfer wegbewegt hatte, als er sah, dass es, nachdem es nach vorne zu Boden gefallen war, „sofort wieder aufstand und auf sein Haus zuging.” Dass sich der Angeklagte nicht mehr in „Schussnähe” befunden hat, als das Tatopfer aufstand und auf sein Haus zuging, liegt nach den bisherigen Feststellungen eher fern.
Rz. 5
Ging der Angeklagte aber davon aus, die Tat mit der von ihm benutzten Pistole noch vollenden zu können, weil diese, wovon mangels gegenteiliger Feststellungen zu Gunsten des Angeklagten auszugehen ist, nach Abgabe des Schusses noch mit weiterer Munition versehen war, wäre ein freiwilliges Aufgeben der Tat, für das der Zweifelsgrundsatz gilt (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 199; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 26), nicht ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2000 – 4 StR 456/00 – m.N.). Zwar kann die Aufgabe der Tat unfreiwillig sein, wenn sich der Täter nach Tatbeginn mit einer ihm, verglichen mit der Tatplanung, derart ungünstigen Risikoerhöhung konfrontiert sieht, so dass er das mit der Tat verbundene Wagnis nunmehr als unvertretbar hoch einschätzt (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 16). Dass dem Angeklagten die Fortsetzung der Tat zu risikoreich erschien, weil er befürchtete, seine Tat könne „von einem der vorbeifahrenden Autoinsassen” entdeckt werden, ist jedoch nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Revision beanstandet zu Recht, dass sich die zu den Vorstellungen des Angeklagten getroffenen Feststellungen nicht ohne Weiteres damit vereinbaren lassen, dass der Angeklagte zu Beginn des Angriffs auf das Tatopfer – außer diesem – „der einzige Fußgänger in diesem Bereich der Kaiserstraße, die in diesen Augenblicken auch nicht von Kraftfahrzeugen befahren wurde”, gewesen ist (UA 11). Das Landgericht hätte daher in eingehender Beschreibung der örtlichen Verhältnisse und der Nachtatsituation im Einzelnen feststellen müssen, ob und in welcher Weise sich die Verkehrsverhältnisse auf der Kaiserstraße in Tatortnähe nach Abgabe des Schusses verändert hatten.
Rz. 6
Die Sache bedarf daher neuer Entscheidung. Im Hinblick auf die vom Landgericht angenommene tateinheitliche Verwirklichung von versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe hat der aufgezeigte Rechtsfehler die Aufhebung des Urteils insgesamt zur Folge (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2553134 |
NStZ 2007, 265 |
NStZ-RR 2007, 136 |
NStZ-RR 2009, 133 |