Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Entscheidung vom 23.12.2019; Aktenzeichen 6 U 52/18) |
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 01.03.2018; Aktenzeichen 31 O 34/17) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Dezember 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 200.000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin betreibt eine von ihrer Rechtsvorgängerin projektierte Windenergieanlage mit einer Nennleistung von 2,3 MW. Diese ist seit dem 6. Januar 2017 über den Netzverknüpfungspunkt M. an das - ehemals von der Beklagten zu 1 betriebene - Verteilernetz der Beklagten zu 2 angeschlossen, allerdings nur mit einer Leistung von 1,6 MW. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von den Beklagten Zahlung von knapp 30.000 € für die verminderte Stromeinspeisung aus ihrer Anlage im Jahr 2017 und begehrt die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Kosten des Umschlusses ihrer Windenergieanlage vom Netzverknüpfungspunkt M. an den Verknüpfungspunkt Umspannwerk P. zu tragen, an dem eine Volleinspeisung möglich ist. Hilfsweise beantragt sie, die Beklagte zu 2 zum Netzausbau an dem bestehenden Anschlusspunkt zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Rz. 2
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Rz. 3
1. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagten kein vertraglicher Zahlungsanspruch und kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Verlegung des Netzanschlusses zu. Es sei nicht erkennbar, dass bei dem zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und den Beklagten am 11. August 2016 geführten Gespräch ein mündlicher Vertrag über eine von den Beklagten zu zahlende jährliche Entschädigung von 30.000 € für die anschlussbedingte Mindereinspeisung und über die Übernahme der Kosten einer Verlegung des Netzverknüpfungspunktes für die Anlage der Klägerin an das Umspannwerk P. geschlossen worden sei. Da die Klägerin zu dem Inhalt dieses Gesprächs nichts vorgetragen habe, stelle sich der von ihr für diese Behauptung angebotene Zeugenbeweis - Vernehmung der Zeugin J-S - als unzulässiger Ausforschungsbeweis dar. Eine schriftliche Einigung der Parteien sei im Zuge des ausführlichen Schriftwechsels nach diesem Gespräch ebenfalls nicht zustande gekommen.
Rz. 4
2. Diese Begründung hält den Angriffen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Rz. 5
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als grundrechtsgleiches Recht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2008 - V ZR 221/07, WM 2008, 2068 Rn. 5; vom 23. März 2021 - II ZR 5/20, NJW-RR 2021, 986 Rn. 8; vom 6. Juni 2023 - VI ZR 197/21, MDR 2023, 1064 Rn. 6, jeweils mwN).
Rz. 6
b) Nach diesen Grundsätzen liegt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs darin, dass das Berufungsgericht die von ihr benannte Zeugin J-S nicht zu der Behauptung vernommen hat, es sei bereits bei dem Gespräch am 11. August 2016 eine verbindliche mündliche Einigung darüber erzielt worden, dass die Beklagten der Rechtsvorgängerin der Klägerin zum Ausgleich der ihr aufgrund der gedrosselten Stromeinspeisung ihrer Windenergieanlage entgangenen Vergütung jährlich 30.000 € zahlen und zudem die Kosten für die Umbindung der Anlage an den Netzverknüpfungspunkt Umspannwerk P. übernehmen.
Rz. 7
aa) Die Klägerin hat bereits im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 15. Februar 2018 unter Zeugenbeweis vorgetragen, die Beklagte zu 1 habe am 11. August 2016 zugesichert, die Kosten für die Umbindung der Windenergieanlage vollständig zu übernehmen und eine jährliche Kompensation von 30.000 € zu zahlen. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin diesen Sachvortrag dahin vertieft, dass die mündliche Vereinbarung vom 11. August 2016 im Schreiben der Beklagten zu 1 vom 12. August 2016 (Anlage B 9) hinsichtlich der Kompensationszahlung fehlerhaft angegeben, im korrigierten Schreiben vom 15. August 2016 (Anlage K 13) aber in den wesentlichen Punkten zutreffend wiedergegeben worden sei und dass die Parteien sich auf eine unmittelbare Wirksamkeit der mündlichen Vereinbarung verständigt hätten. Sie hat erneut die Zeugin J-S benannt und die Nichterhebung des Zeugenbeweises in erster Instanz als gehörswidrig gerügt.
Rz. 8
bb) Danach kann die Würdigung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe zu dem Inhalt des Gespräches und den dazu im Einzelnen getroffenen Absprachen nicht vorgetragen, keinen Bestand haben. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezember 2014 - VIII ZR 88/13, NJW 2015, 934 Rn. 43; vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 20; Beschluss vom 26. Januar 2023 - I ZR 106/22, MMR 2023, 504 Rn. 14). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, BGHZ 224, 302 Rn. 55; Beschluss vom 29. September 2021 - VIII ZR 226/19, juris Rn. 15). Hieran gemessen ist der Sachvortrag der Klägerin, die Parteien hätten bereits am 11. August 2016 eine mündliche Vereinbarung getroffen, deren Inhalt dem Schreiben der Beklagten zu 1 vom 15. August 2016 entspreche, schlüssig. Weitere Einzelheiten zum Inhalt des Gesprächs oder den einzelnen Absprachen sind für die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsfolge nicht von Bedeutung.
Rz. 9
cc) Auch die Erwägung des Berufungsgerichts, der Vortrag der Klägerin sei unschlüssig, soweit sie für den Inhalt der getroffenen Einigung auf die Zusammenfassung der Gesprächsergebnisse durch die Beklagte zu 1 in deren Schreiben vom 15. August 2016 verweise, weil sie den Inhalt dieses Schreibens selbst mit Schreiben vom selben Tag korrigiert und ergänzt habe, kann die unterlassene Beweisaufnahme nicht rechtfertigen. Vermeintliche oder tatsächlich bestehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei liefe auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus (BGH, Beschluss vom 10. November 2016 - I ZR 235/15, WuM 2017, 48 Rn. 15; Urteile vom 21. Juni 2018 - IX ZR 129/17, WM 2018, 1349 Rn. 21; vom 8. Dezember 2020 - KZR 60/16, WRP 2021, 1184 Rn. 32 - Stornierungsentgelt II).
Rz. 10
dd) Aus dem gleichen Grund können auch die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen, die dem 11. August 2016 nachfolgende Korrespondenz zeige, dass noch keine abschließende Einigung getroffen worden sei, und es wäre höchst ungewöhnlich, eine derart komplexe Materie abschließend mündlich zu regeln, ein Absehen von der Beweiserhebung nicht rechtfertigen. Auch hierbei handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung.
Rz. 11
c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht aufgrund einer Vernehmung der Zeugin J-S und gegebenenfalls einer ergänzenden Anhörung der Parteien zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Rz. 12
III. Das angefochtene Urteil ist daher gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung und Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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