Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 14. Zivilsenat, vom 29. September 1998 aufgehoben.
Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 31, vom 15. Mai 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Gründe
1. Die (verlängerte) Frist zur Begründung der Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts lief am 3. September 1998 ab. Die Berufungsbegründung ist aber gemäß dem auf dem Schriftsatz befindlichen Eingangsstempel der gemeinsamen Annahmestelle bei dem Amtsgericht H. erst am 4. September 1998, mithin verspätet, eingegangen.
Der Kläger hat wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung im wesentlichen vorgetragen: Die Berufungsbegründung sei am 3. September 1998 gegen Mittag fertiggestellt worden. Nach Unterzeichnung durch seinen Prozeßbevollmächtigten habe sie dieser seiner erfahrenen, zuverlässigen und über die Folgen der Versäumung von Fristen belehrten Angestellten M. zwischen 13.30 Uhr und 15.00 Uhr mit der Weisung übergeben, die Berufungsbegründung noch am selben Tage per Boten bei der zuständigen Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts einreichen zu lassen. Frau M. habe der Berufungsbegründung einen Zettel angeheftet und darauf vermerkt, daß der Schriftsatz am selben Tage beim Oberlandesgericht bei der zuständigen Geschäftsstelle abgegeben werden müsse und die Auszubildende H. unter Übergabe der Berufungsbegründung beauftragt, dies zu tun. Nachdem die Auszubildende das Büro mit diesem Schriftstück und anderer Gerichtspost verlassen habe, sei von Frau M. die Streichung der Begründungsfrist aus dem Fristenkalender veranlaßt worden. Die Auszubildende habe dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers schließlich nach Rückkehr in das Büro berichtet, den Schriftsatz bei der zuständigen Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts abgegeben zu haben.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde.
2. Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg; dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren.
a) Zu den Aufgaben eines bevollmächtigten Rechtsanwalts gehört es, wegen der verfahrensrechtlichen Bedeutung von Fristen dafür Sorge zu tragen, daß ein fristgebundener Schriftsatz – wie hier die Berufungsbegründung – auch innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingereicht wird. Dabei kann der Rechtsanwalt die Aufgabe der Beförderung des Schriftsatzes grundsätzlich seinem Büropersonal überlassen, ihm auch eine insoweit erforderliche Botentätigkeit aufgeben (vgl. BGH, Beschluß vom 3. Juli 1992 - V ZB 11/92 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 5). Wegen der geringen Anforderungen, die diese Aufgabe stellt, kann sie auch Hilfskräften oder Auszubildenden anvertraut werden, die nicht die Qualifikation für die Verrichtung anspruchsvoller Bürotätigkeit aufweisen (std. Rspr. vgl. Senatsbeschluß vom 13. Januar 1988 - IVa ZB 13/87 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 1; Urteil vom 17. Dezember 1997 - IV ZR 93/97 - NJW-RR 1998, 1140).
b) Das Berufungsgericht verkennt das im Grundsatz auch nicht. Nach seiner Auffassung ist jedoch entscheidend, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht die bewährte Angestellte M. selbst mit dem Botengang beauftragt, dieser vielmehr nur aufgegeben hat, für eine Beförderung durch Boten zu sorgen. Dabei sieht es das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten darin, nicht durch organisatorische Maßnahmen oder Hinweise sichergestellt zu haben, daß sich Frau M. ihrerseits eines zuverlässigen Mitarbeiters bedient. Daß der Prozeßbevollmächtigte solche Hinweise gegeben habe, sei nicht behauptet; ebenso fehle es am Vortrag zur Zuverlässigkeit der als Boten tätig gewordenen Auszubildenden.
Das trägt die Versagung der Wiedereinsetzung unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht.
c) Ob es den Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts entspricht, durch allgemeine organisatorische Anweisungen sicherzustellen, daß auch eine bewährte und zuverlässige Bürokraft, die weisungsgemäß ihrerseits einen Büromitarbeiter als Boten einschaltet, nur solche Mitarbeiter auswählt, die sich für Botengänge bereits als hinreichend zuverlässig erwiesen haben, kann hier auf sich beruhen (vgl. eher ablehnend BGH, Beschluß vom 23. April 1986 - VIII ZB 15/86 - VersR 1986, 964). Denn auf einem solchen etwaigen Organisationsverschulden beruht die Fristversäumung jedenfalls dann nicht, wenn im konkreten Falle – und unbeschadet des Fehlens einer allgemeinen Anweisung – ein Mitarbeiter oder Auszubildender mit dem Botengang beauftragt worden ist, der sich dafür in der zurückliegenden Zeit als geeignet und zuverlässig erwiesen hat. Das aber hat der Kläger jedenfalls im Beschwerdeverfahren hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht.
Nach diesem Vorbringen ist die Auszubildende H. über zwei Wochen hinweg in die Aufgabe des Überbringens von Schriftsätzen eingewiesen worden und hat in der Folgezeit wiederholt auch fristwahrende Schriftsätze unmittelbar bei den Geschäftsstellen der zuständigen Spruchkörper abgegeben. Nach Rückkehr in das Büro hat sie – der ihr allgemein erteilten Anweisung entsprechend – die Abgabe des jeweiligen Schriftsatzes den Fachkräften bestätigt. Sie hat die Aufgaben zuverlässig erledigt und die ihr erteilten Anweisungen stets befolgt.
Aus all dem ergibt sich, daß die Auszubildende – wenngleich noch im ersten Lehrjahr – jedenfalls als für Botengänge der hier in Rede stehenden Art geeignet angesehen werden konnte (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1997, aaO). Das gilt umso mehr, als ihr die Aufgabe noch durch den der Berufungsbegründung angefügten Hinweiszettel auf Fristablauf und Empfänger erleichtert wurde.
Seinen Vortrag insoweit noch in der Beschwerdeinstanz zu ergänzen und glaubhaft zu machen, war der Kläger nicht gehindert. Zwar sind alle Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise es zur Fristversäumung gekommen ist, grundsätzlich mit dem Wiedereinsetzungsgesuch innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO darzulegen und glaubhaft zu machen. Indessen können bis zur Entscheidung über das Gesuch unvollständige Angaben noch ergänzt werden. Darum – und nicht um unzulässigen neuen Vortrag – geht es hier (vgl. BGH, Beschluß vom 9. Juli 1985 - VI ZB 10/85 - VersR 1985, 1184; Beschluß vom 4. Oktober 1988 - VI ZB 21/88 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 2).
d) Ist danach davon auszugehen, daß mit dem Botengang eine Auszubildende beauftragt worden ist, die für diese Aufgabe geeignet war, kommt es auf die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Kontrollpflicht des Rechtsanwalts gegenüber unausgebildeten Boten nicht an. Hatte die Auszubildende – wie hier – den für den Botengang erforderlichen Ausbildungsstand, genügte zu ihrer Kontrolle eine Nachfrage nach der ordnungsgemäßen Erledigung des Auftrags (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1997, aaO). Das ist im vorliegenden Falle geschehen. Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Klägers hat die Auszubildende dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers bestätigt, den Schriftsatz bei der zuständigen Geschäftsstelle abgegeben zu haben. Deshalb kommt es für ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten auch nicht darauf an, daß die Auszubildende zu einer Zeit mit der Erledigung des Auftrags betraut worden ist, bei der jedenfalls die Möglichkeit bestand, daß die Geschäftsstelle schon geschlossen sein konnte. Jedenfalls nach Bestätigung der Abgabe des Schriftsatzes bestand zu weiteren Maßnahmen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers kein Anlaß.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Römer, Dr. Schlichting, Terno, Ambrosius
Fundstellen
Haufe-Index 538816 |
BRAK-Mitt. 1999, 74 |