Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Leitsatz (amtlich)
Erzwingt der Täter nur solche dem Beischlaf ähnliche, mit einem Eindringen in den Körper verbundene sexuelle Handlungen (Vergewaltigung), zu deren Durchführung sich das Tatopfer zuvor gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte, ist das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung nur erfüllt, wenn weitere entwürdigende Umstände die „besondere Erniedrigung” des Opfers durch die sexuellen Handlungen ergeben (im Anschluß an BGH NJW 2000, 672).
Normenkette
StGB § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben
- in dem den Fall II 2 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafausspruch,
- im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung” unter Einbeziehung einer viermonatigen Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht im Fall II 1 der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung zum Nachteil der Versicherungskauffrau Gudrun A. zur (Einzel-)strafe von vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt hat. Insoweit erhebt der Beschwerdeführer auch keine ausdrücklichen Einwendungen.
2. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II 2 wegen „Vergewaltigung” zum Nachteil von Frau H. zu der Einsatzstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt hat. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des qualifizierten Tatbestandes des § 177 Abs. 4 StGB entnommen. Das Vorliegen eines minder schweren Falles des Absatzes 5 2. Alt. der Vorschrift hat es verneint. Diese Strafrahmenwahl und die Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte mit der Geschädigten, die als Prostituierte tätig war, für den Abend des Tattages einen „Hausbesuch” in seiner Wohnung für die Dauer von zwei Stunden und einen vereinbarten Preis von 500 DM verabredet. Da er jedoch über kein Geld verfügte, um sie „für ihre Dienste zu bezahlen”, hatte er von vornherein den Entschluß gefaßt, mit ihr „auch gegen ihren Willen sexuelle Handlungen durchzuführen” (UA 5). Nachdem Frau H. erschienen war, verschloß er die Wohnungstür. Bald darauf zog er ein Messer und eine Wäscheleine bzw. einen Strick hervor und forderte Frau H. „im Befehlston auf, sich auszuziehen, wobei er ihr das Messer entgegenhielt”, was sie aus Angst tat. Nachdem er sich ebenfalls entkleidet hatte, mußte sie sich auf den Bauch legen. Sodann legte er sich auf sie und führte „geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen” aus, wobei er das Messer „in Reichweite” ablegte. Anschließend mußte die Geschädigte mit ihm den Oralverkehr ausüben. „Dabei hielt er das Messer wieder in der Hand” (UA 6). Schließlich legte er sich wieder auf sie, steckte sein Glied zwischen ihre Brüste und gelangte so zum Samenerguß.
b) Hiernach hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht nach § 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB wegen „Vergewaltigung” (zur Bezeichnung der Tat im Schuldspruch vgl. BGH NJW 1998, 2987, 2988; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 177 Rdn. 11) verurteilt. Daß es nicht auch die weitere Tatbestandsalternative des Absatzes 1 Nr. 3 der Vorschrift (Ausnutzen der schutzlosen Lage) als verwirklicht angesehen hat, beschwert den Angeklagten nicht. Die Feststellungen belegen auch, daß der Angeklagte das Messer im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB „verwendet” hat. Hierfür genügt, daß der Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tat als Drohmittel einsetzt (BGH StV 1998, 487; BGH, Beschluß vom 16. Mai 2000 – 4 StR 89/00, jeweils zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter aufgrund der Nähe zum Opfer diesem jederzeit ohne weiteres mit dem Messer Verletzungen beibringen kann.
c) Dagegen ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, daß der Angeklagte auch das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der „Vergewaltigung” (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) verwirklicht hat. Zwar hat der Angeklagte mit dem Oralverkehr eine sexuelle Handlung erzwungen, die – wie in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 beschrieben – „mit dem Eindringen in den Körper verbunden” war. Jedoch ist – wie die Revision zu Recht geltend macht – die weitere Voraussetzung des Regelbeispiels, nämlich der „besonders erniedrigende” Charakter der abgenötigten sexuellen Handlung, nicht genügend dargetan.
Zwar ist nach der Legaldefinition in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB jede erzwungene sexuelle Handlung, die „mit einem Eindringen in den Körper verbunden” ist, auch dann, wenn sie keinen Beischlaf darstellt, im Schuldspruch nicht als „sexuelle Nötigung”, sondern als „Vergewaltigung” zu bezeichnen (BGH, Urteil vom 23. März 1999 – 1 StR 25/99, bei Pfister NStZ-RR 1999, 353 Nr. 32; Lackner/Kühl aaO). Doch genügt für die Annahme des Regelbeispiels abgesehen von dem erzwungenen Beischlaf nicht jede andere mit einer Penetration verbundene sexuelle Handlung. Vielmehr ist dies nur dann der Fall, wenn die dem Beischlaf „ähnliche” sexuelle Handlung das Opfer „besonders erniedrigt”. Zwar kommt diesem einschränkenden Merkmal der „besonderen Erniedrigung” in Fällen des Oral- und Analverkehrs regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH NStZ 2000, 254), weil sich der erniedrigende Charakter dieser sexuellen Handlungen im allgemeinen von selbst versteht. Grundsätzlich bedarf es aber, wie der Senat in der Entscheidung BGH NJW 2000, 672 f. = StV 2000, 198 ff. (m.krit.Bspr. Renzikowski NStZ 2000, 367 f.) näher ausgeführt hat, jeweils der positiven Feststellung der Umstände des Einzelfalls, die in wertender Betrachtung die Annahme der „besonderen Erniedrigung” des Tatopfers stützen (so auch Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 177 Rdn. 23 d; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 20; a.A. Renzikowski aaO). Daran fehlt es hier.
Die Feststellungen lassen die Möglichkeit offen, daß die vom Angeklagten erzwungenen sexuellen Handlungen einschließlich des Oralverkehrs ihrer Art nach von der von ihm zuvor mit der Geschädigten getroffenen Verabredung zum entgeltlichen Sexualverkehr umfaßt waren. Unter diesen Umständen könnte der Senat die Auffassung des Landgerichts, „diese Art des Sexualverkehrs (habe) eine besondere Erniedrigung der Geschädigten dargestellt” (UA 10), nicht bestätigen. § 177 StGB schützt in erster Linie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 5). Deshalb ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die grundsätzliche Bereitschaft des Tatopfers zu sexuellen Handlungen regelmäßig ein für die Beurteilung des Schuldgehalts der nach § 177 StGB qualifizierten Tat bestimmender Umstand (BGH StV 1995, 635 (nur LS); 1996, 26; BGH, Beschluß vom 21. November 2000 – 4 StR 489/00; wie hier auch der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2001, 29; dagegen Bedenken des 2. Strafsenats des BGH, bei Pfister NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30 und Urteil vom 16. August 2000 – 2 StR 159/00). Der entscheidende Grund dafür, in Fällen der vorliegenden Art das Verhalten des Täters milder zu beurteilen, liegt darin, daß das Schwergewicht des Tatunrechts nicht in der Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Tatopfers liegt, sondern in den weiter verwirklichten Straftatbeständen, mit deren Hilfe der Täter zum Vollzug der sexuellen Handlung gelangen will (BGH StV 1996, 26, 27). Das läßt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das auch Prostituierten uneingeschränkt zusteht (so der 2. Strafsenat des BGH bei Pfister NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30), unberührt. Davon zu trennen ist aber die im Rahmen der Strafzumessungsregel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB zu erörternde Frage, ob die sexuellen Handlungen das Opfer „besonders erniedrigen”. Vollzieht deshalb der Täter nur diejenigen sexuellen Handlungen, zu deren Durchführung sich das Tatopfer gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte, so fehlt es regelmäßig an dem Anhalt, daß das Opfer – worauf es ankommt – gerade die sexuellen Handlungen als entwürdigend empfindet (vgl. Lackner/Kühl aaO). Daß sich der Täter dabei der Nötigungsmittel des § 177 StGB in der Absicht bedient, seine sexuellen Ziele ohne Zahlung des vereinbarten Dirnenlohns zu erreichen, führt für sich allein nicht zu einer anderen Bewertung, sofern nicht weitere entwürdigende Umstände hinzutreten. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Täter das Tatopfer zu anderen als den vereinbarten Sexualpraktiken zwingt.
d) Der aufgezeigte Rechtsfehler läßt den Schuldspruch in diesem Fall wegen „Vergewaltigung” unberührt; soweit nach der Senatsentscheidung NJW 2000, 672 bei Nichtannahme „besonderer Erniedrigung” in diesen Fällen die Tat im Schuldspruch nur als „sexuelle Nötigung” zu bezeichnen ist, hält der Senat daran nicht fest. Auf dem Rechtsfehler beruht aber der Strafausspruch. Zwar ist der vom Landgericht angewandte Strafrahmen des § 177 Abs. 4 StGB unabhängig von der Annahme eines besonders schweren Falles des Absatzes 2 der Vorschrift eröffnet. Jedoch liegt es nahe, daß diese Annahme die Erwägungen zum minder schweren Fall nach Absatz 5 2. Alt. der Vorschrift zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt hat.
e) Davon abgesehen kann der Strafausspruch auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler aufweisen. Das Landgericht wertet zu Lasten des Angeklagten, „daß er – obwohl sich Täter und Opfer aus vorangegangenen Sexualkontakten kannten – nunmehr den Geschlechtsverkehr erzwingen wollte” (UA 16). Damit wertet das Landgericht zu Ungunsten des Angeklagten letztlich, daß er die Tat begangen hat. Dies verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschluß vom 1. März 2001 – 4 StR 36/01). Aus dem gleichen Grund begegnet auch die weitere straferschwerende Erwägung rechtlichen Bedenken, „der Angeklagte (habe) sich auch nicht von seinen Handlungen dadurch abbringen lassen, daß offensichtlich zwischen der Geschädigten und ≪ihrem Bekannten≫ per Handy Kontakt bestand” (UA 13).
Über den Einzelstrafausspruch im Fall II 2 der Urteilsgründe ist deshalb neu zu befinden.
3. Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II 2 der Urteilsgründe entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 584855 |
NJW 2001, 2185 |
BGHR |
NStZ 2001, 369 |
StV 2001, 451 |
StraFo 2001, 315 |