Entscheidungsstichwort (Thema)
sexuelle Nötigung
Tenor
1. Das Verfahren wird im Fall 3 der Anklage (Tat vom 21. Februar 1998) auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
2. Im Fall 4 der Anklage (Tat vom 29. März 1998) wird das Verfahren mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der exhibitionistischen Handlung beschränkt.
3. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. Oktober 1998
- im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der sexuellen Nötigung, der versuchten sexuellen Nötigung in zwei Fällen und der exhibitionistischen Handlung schuldig ist,
- in den Aussprüchen über die im Fall 4 der Anklage (Tat vom 29. März 1998) verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung in fünf Fällen, wobei es in drei Fällen beim Versuch blieb, in einem Fall in Tateinheit mit exhibitionistischen Handlungen” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Urteil unterliegt in vollem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 2. März 1999, daß der Beschwerdeführer die Revision wirksam auf den Schuldspruch im Fall 3 der Anklage (Tat vom 21. Februar 1998) und den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Zwar können einige Formulierungen in der Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers im Sinne einer solchen Beschränkung verstanden werden. Doch wendet sich die Revision mit weiteren Ausführungen in allen Fällen gegen die Feststellungen zum Tatgeschehen, indem es einleitend heißt, „in keinem der Fälle (habe) der Angeklagte auch nur ansatzweise versucht, direkten körperlichen Kontakt zu den Geschädigten herzustellen” (RB 2). Auch hat die Revision nicht nur im Fall 3 der Anklage (Tat vom 21. Februar 1998), sondern ebenso im Fall 5 der Anklage (Tat vom 24. April 1998) ausdrücklich gerügt, das Landgericht habe „rechtsfehlerhaft festgestellt, daß Gewalt angewandt worden ist” (RB 2). Die Auslegung der Begründungsschrift (vgl. Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 5 m.N.) ergibt danach keinen Beschränkungswillen. Diesem Ergebnis entspricht auch der umfassende Aufhebungsantrag, den der Beschwerdeführer zugleich mit der Revisionseinlegung angebracht hat. Bei dieser Sachlage könnte deshalb – anders als in dem der Entscheidung BGHSt 38, 4 zugrundeliegenden Fall der ohne weitere Ausführungen zum Ziel des Rechtsmittels eingelegten Revision – eine Beschränkung nur durch eine Teilrücknahme erfolgen. Dafür gibt die Revisionsbegründungsschrift – unbeschadet der Frage einer ausdrücklichen Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO – keinen Anhalt.
2. Nach somit umfassender Prüfung des angefochtenen Urteils stellt der Senat das Verfahren im Fall 3 der Anklage (Tat vom 21. Februar 1998) gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Die bisher getroffenen Feststellungen ergeben nicht, daß der Angeklagte die für eine Verurteilung wegen vollendeter sexueller Nötigung vorausgesetzte Gewalt angewendet hat. Daß sich der Angeklagte in diesem Fall „in den Weg der Geschädigten stellte und gegen ihren Willen die um den Hals gelegte Hundeleine wegzog, um somit ungehindert an ihre Brust fassen zu können” (UA 11), stellt entgegen der Auffassung des Landgerichts keine die Tat qualifizierende Gewalt im Sinne des § 178 Abs. 1 StGB a.F. bzw. § 177 Abs. 1 StGB n.F. dar. Soweit es dem Angeklagten gelang, die Brüste der Geschädigten anzufassen, fehlt es jedenfalls an einer für den Tatbestand vorausgesetzten finalen Verknüpfung einer Gewalthandlung mit dem sexuellen Geschehen (vgl. BGHSt 31, 76, 77; BGH NStZ 1993, 78; BGH, Beschluß vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97). Zudem ist dem Senat mangels Feststellungen zum Alter der Geschädigten und zur Dauer der Berührung ihrer Brust die Prüfung verwehrt, ob das Landgericht zu Recht die nach § 184 c Nr. 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit der sexuellen Handlung bejaht hat. Nur „flüchtige” Berührungen genügen dafür nicht ohne weiteres (vgl. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 6 und StGB § 185 Ehrverletzung 4).
Im Fall 4 der Anklage (Tat vom 29. März 1998) nimmt der Senat den Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO von der Verfolgung aus; unberührt bleibt die Verurteilung wegen der rechtsfehlerfrei festgestellten exhibitionistischen Handlung. In diesem Fall könnte nach den Feststellungen zweifelhaft sein, ob der Angeklagte bereits im Sinne des § 22 StGB zur sexuellen Nötigung angesetzt hat und, falls dies zu bejahen wäre, nicht strafbefreiend von dem Versuch zurückgetreten ist.
Eine Zurückverweisung der Sache zu weiterer Sachaufklärung in diesen Fällen erscheint dem Senat aus den in §§ 154 Abs. 1, 154 a Abs. 1 StPO genannten Gründen nicht geboten.
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachbeschwerde hat – nach Beschränkung des Verfahrens gemäß §§ 154 Abs. 2, 154 a Abs. 2 StPO – zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Soweit der Beschwerdeführer zum Fall 5 der Anklage (Tat vom 24. April 1998) einwendet, die Anwendung von Gewalt sei nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, verkennt er, daß schon das Festhalten des Tatopfers eine Nötigung „mit Gewalt” darstellen kann (BGH, Urteile vom 6. September 1995 - 2 StR 363/95 - und vom 26. August 1997 - 1 StR 431/97). Soweit die Revision der Feststellung entgegentritt, der Angeklagte habe das bei dieser Tat mitgeführte Tauchermesser auch „gegebenenfalls als Drohmittel gegen Frauen nutzen wollen” (UA 8), übersieht sie, daß die Feststellungen insgesamt auf dem „rückhaltlosen Geständnis” des Angeklagten beruhen (UA 11/14).
4. Die Einstellung des Verfahrens im Fall 3 der Anklage (Tat vom 21. Februar 1998) hat den Wegfall der betreffenden Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten zur Folge. Im Fall 4 der Anklage (Tat vom 29. März 1998) führt die Beschränkung der Verfolgung auf den Vorwurf der exhibitionistischen Handlung zur Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Die übrigen Einzelstrafen können dagegen bestehen bleiben. Ihre Festsetzung deckt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf, wie der Generalbundesanwalt insoweit zutreffend dargelegt hat.
5. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen, die die Anordnung zwingend machen, werden auch durch die Änderung des Schuldspruchs nach Teileinstellung bzw. Beschränkung der Verfolgung nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 3; BGH, Beschluß vom 5. März 1999 - 2 StR 518/98). Ob möglicherweise eine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel nach § 67 b Abs. 1 Satz 1 StGB in Betracht kommt, wird der neue Tatrichter zu prüfen und zu entscheiden haben, wenn nicht die Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe nach § 67 b Abs. 1 Satz 2 StGB der Aussetzung von vornherein entgegensteht (vgl. zur gleichzeitigen Aussetzung der Vollstreckung von Strafe und Maßregel BGH, Beschluß vom 18. März 1999 - 4 StR 72/99).
6. Im übrigen gibt das angefochtene Urteil dem Senat Anlaß zu dem Hinweis, daß die Sachdarstellung (Abschnitt II der Urteilsgründe) der Klarheit und Übersichtlichkeit halber eine Gliederung der Straftaten unter einzelnen Nummern verlangt (vgl. Kroschel/Meyer-Goßner, Die Urteile in Strafsachen 26. Aufl. S. 74 bis 76). Dabei sollte in aller Regel die Numerierung der Sachdarstellung (Abschnitt II) auch bei der rechtlichen Würdigung (Abschnitt IV) und den Ausführungen zur Strafzumessung (Abschnitt V) beibehalten werden. Es erschwert nicht nur die Lesbarkeit, sondern begründet auch die Gefahr von Fehlern, wenn das Urteil bei der rechtlichen Würdigung und der Strafzumessung – wie hier – auf die Fallnummern der Anklage Bezug nimmt, zumal wenn diese bei der Sachdarstellung nicht erwähnt werden.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen