Verfahrensgang
LG Heidelberg (Entscheidung vom 08.06.2021; Aktenzeichen 2 KLs 240 Js 21785/20) |
Tenor
Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 22. September 2021 wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten am 8. Juni 2021 wegen Vergewaltigung und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und über das Rechtsmittel belehrt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Pflichtverteidiger des Angeklagten per Telefax am 9. Juni 2021 und der Angeklagte selbst mit handgeschriebenem Brief am 15. Juni 2021 Revision eingelegt. Nachdem der Angeklagte das Landgericht mehrfach schriftlich darum gebeten hatte, ihm einen für Revisionen zuständigen Rechtsanwalt beizuordnen, hat ihm der Vorsitzende mit Schreiben vom 15. Juni 2021 mitgeteilt, dass der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 9. Juni 2021 rechtzeitig Revision eingelegt habe und deshalb für einen Wechsel des Pflichtverteidigers kein Anlass bestehe. Der Pflichtverteidiger, dem der Vorsitzende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, hatte sich hierzu nicht geäußert. Das Urteil wurde dem Pflichtverteidiger am 19. August 2021 zugestellt.
Rz. 2
Das Landgericht hat die Revision des Angeklagten durch Beschluss vom 22. September 2021 als unzulässig verworfen, weil keine Revisionsbegründung eingegangen war. Der Beschluss ist dem Pflichtverteidiger am 8. Oktober 2021 zugestellt worden. Dem Angeklagten ist er mit einer Belehrung über die Möglichkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 346 Abs. 2 StPO in die Justizvollzugsanstalt M. übersandt worden und hat diesen am 7. Oktober 2021 erreicht.
Rz. 3
Mit einem am 14. Oktober 2021 bei dem Landgericht eingegangenen Schreiben hat der Angeklagte Entscheidung gemäß § 346 Abs. 2 StPO beantragt und ausgeführt, sein Verteidiger werde eine Begründung nachreichen, falls er ihn noch vertreten möchte und das Mandat noch nicht beendet sei. Eine Kopie ist dem Pflichtverteidiger zur Kenntnisnahme übersandt worden. Der Pflichtverteidiger hat sich nicht geäußert. Lediglich der Angeklagte hat weitere Eingaben gemacht. Auf telefonische Nachfrage der Berichterstatterin des Senats hat der Pflichtverteidiger erklärt, er habe den Angeklagten darauf hingewiesen, dass eine Revision aus seiner Sicht keine Aussicht auf Erfolg habe. Der Angeklagte habe jedoch gegen seinen anwaltlichen Rat die Einlegung der Revision begehrt. Deshalb habe er ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er die Revision nicht begründen werde.
II.
Rz. 4
Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist zwar zulässig, aber nicht begründet, weil das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss das Rechtsmittel zu Recht wegen des Fehlens einer Revisionsbegründung (§ 344 Abs. 1 StPO) als unzulässig verworfen hat (§ 346 Abs. 1 StPO). An dieser Entscheidung über den Rechtsbehelf ist der Senat nicht gehindert.
Rz. 5
1. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist scheidet aus. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Innerhalb der Wochenfrist ist die versäumte Handlung - hier eine den Anforderungen der § 344 Abs. 2 Satz 1, § 345 Abs. 2 StPO genügende Revisionsbegründung - nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO) und sind Angaben über den Wiedereinsetzungsgrund zu machen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO). Ein Wiedereinsetzungsantrag muss unter konkreter Behauptung und Glaubhaftmachung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden kann (BGH, Beschluss vom 11. Juni 2019 - 2 StR 150/19 Rn. 4 mwN). Daran fehlt es, so dass - selbst wenn man den Ausführungen des Angeklagten einen Wiedereinsetzungsantrag entnehmen könnte - der Antrag unzulässig wäre und deshalb keinen Erfolg hätte.
Rz. 6
2. Die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag ist auch nicht zurückzustellen, um dem Angeklagten einen anderen Pflichtverteidiger beizuordnen.
Rz. 7
Zwar hat der Bundesgerichtshof (Beschlüsse vom 18. Januar 2018 - 4 StR 610/17 Rn. 2 und vom 5. Juni 2018 - 4 StR 138/18 Rn. 2) eine Rückgabe der Sache zur Bestellung eines anderen Verteidigers vor der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen angeordnet, in denen ein - das Verschulden des Angeklagten ausschließender - „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteile vom 10. Oktober 2002 - 38830/97 - Czekalla/Portugal Tz. 59 ff. und vom 22. März 2007 - 59519/00 - Staroszczyk/Polen Tz. 122, 133) vorlag. Es kann jedoch dahinstehen, ob hier ein solcher „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung darin zu sehen ist, dass der Pflichtverteidiger das Rechtsmittel nicht begründet hat, oder ob seine Bekundung gegenüber dem Angeklagten, er sehe keine Erfolgsaussicht, einen derartigen Mangel gar ausschließt; denn den Angeklagten trifft ein erhebliches eigenes Verschulden. Ihm war bereits einen Tag nach Urteilsverkündung und lange vor der am 19. August 2021 begonnenen Frist zur Begründung der Revision bekannt, dass der Pflichtverteidiger die Revision nicht begründen werde. Trotz zahlreicher Eingaben und Schreiben an das Landgericht hat es der Angeklagte unterlassen, den Vorsitzenden darüber zu informieren, dass sein Pflichtverteidiger die Begründung der Revision ausdrücklich abgelehnt hat. Er hat es auch unterlassen, einen Antrag zu stellen, um gemäß § 299 Abs. 1 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Mannheim eine Revisionsbegründung abzugeben. Weshalb ihm dies trotz Rechtsmittelbelehrung nicht möglich gewesen sein sollte, obwohl er zahlreiche Schreiben an das Landgericht mit Ausführungen zur Sache, Beschwerden und Forderungen verfasst hat, erschließt sich nicht. Einen Sachverhalt, aus dem sich dennoch ein etwaiges fehlendes Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 44 Satz 1 StPO) ergeben könnte, trägt er nicht vor. Deshalb konnte er nicht darauf vertrauen, dass sein Pflichtverteidiger die Revision doch noch begründen würde, obwohl dieser solches ihm gegenüber bereits einen Tag nach Urteilsverkündung abgelehnt hatte und ihn - nach dem Vorbringen des Angeklagten in zahlreichen Schreiben - weder in der Haftanstalt aufgesucht noch seine wiederholten Anrufe entgegengenommen hat.
Rz. 8
Etwaige Versäumnisse eines Pflichtverteidigers können dem Staat nur ausnahmsweise angelastet werden, da die Führung der Verteidigung Sache des Angeklagten und seines Pflicht- oder Wahlverteidigers ist (EGMR, Urteil vom 22. März 2007 - 59519/00 - Staroszczyk/Polen Tz. 133). Für Behörden und Gerichte besteht eine Verpflichtung zum Eingreifen nur, wenn das Versagen eines Pflichtverteidigers für die Justiz offenkundig ist oder sie davon unterrichtet wird (EGMR, Urteile vom 10. Oktober 2002 - 38830/97 - Czekalla/Portugal Tz. 59 ff. und vom 22. März 2007 - 59519/00 - Staroszczyk/Polen Tz. 122, 133; BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - 4 StR 68/20 Rn. 7). Eine solche Verpflichtung bestand nicht. Das Landgericht hat auf den Wunsch des Angeklagten, ihm einen für Revisionsrecht zuständigen Rechtsanwalt beizuordnen, reagiert, dem Pflichtverteidiger das Begehren des Angeklagten mitgeteilt und den Antrag sodann zutreffend zeitnah dahingehend beschieden, dass die Voraussetzungen für eine Auswechslung des Pflichtverteidigers oder Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht gegeben sind. Über das weitere Vorgehen der Verteidigung war das Landgericht nicht informiert. Es liegt auch kein Fall vor, in welchem aufgrund einer Erkrankung des Angeklagten oder sonstiger außergewöhnlicher Umstände der Zugang zum Gericht konventionswidrig eingeschränkt wurde. Anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall (EGMR, Urteil vom 1. September 2016 - 24062/13 - Marc Brauer/Deutschland) ist der Angeklagte nicht psychisch krank, war nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und hatte keine Probleme, per Post mit der Justiz Kontakt aufzunehmen und selbst Post zu erhalten. Sprachschwierigkeiten des Angeklagten, die eine Kommunikation zwischen ihm und den Justizbehörden erschwert hätten, sind auszuschließen. Dies belegen seine zahlreichen und in sehr gutem Deutsch verfassten Eingaben. Er ist ersichtlich in der Lage, sachgerecht mit den Justizbehörden zu kommunizieren, was zuletzt sein als Reaktion auf die Zustellung des hier zu überprüfenden Beschlusses verfasstes Schreiben belegt.
Raum |
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Fischer |
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Bär |
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Hohoff |
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Leplow |
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Fundstellen
Haufe-Index 15462234 |
NStZ-RR 2022, 6 |
NStZ-RR 2024, 100 |
NJW-Spezial 2022, 569 |