Verfahrensgang
Tenor
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 23. November 2023 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen (§ 46 StPO).
2. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 15. Februar 2024, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil als unzulässig verworfen worden ist, wird als unbegründet verworfen (§ 346 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit Beihilfe zur räuberischen Erpressung und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einer anderen Entscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; daneben hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 4.071 € und eines Mobiltelefons angeordnet. Das Landgericht hat die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO begründet worden ist. Der Wiedereinsetzungsantrag und der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts dringen nicht durch.
Rz. 2
1. Der Generalbundesanwalt hat zutreffend ausgeführt:
„Gegen das Urteil vom 23. November 2023 hat der Angeklagte mit handschriftlichem Schreiben vom gleichen Tag (Bd. XIII, Bl. 2456), eingegangen beim Landgericht am 29. November 2023 als Anlage eines Schreibens seines Pflichtverteidigers RA H. vom 24. November 2023 (Bd. XIII, Bl. 2455) rechtzeitig Revision eingelegt. Entgegen der in einem Vermerk des Vorsitzenden vom 1. Dezember 2023 niedergelegten Rechtsansicht (Bd. XIII, Bl. 2475), ist die Revisionseinlegung zulässig. Ungeachtet dessen, dass die (wiederholte) Vorgehensweise von RA H. nur als „Bote“ aufzutreten - wie der Vorsitzende im Einzelnen darlegt - durchaus bedenklich erscheint, wird die hiesige Verfahrenshandlung des Angeklagten (handschriftliche Einlegung der Revision) von der Norm des § 32d Sätze 1 u. 2 StPO nicht erfasst, da er zur elektronischen Einreichung von Dokumenten gerade nicht verpflichtet ist (vgl. BT-Drs. 18/9416, S. 51).
Mit Beschluss vom 8. Januar 2024 wurde die Bestellung von RA H. als Pflichtverteidiger aufgehoben, da der Angeklagte RA M. als Wahlverteidiger gewählt hat (Bd. XIII, Bl. 2492 f.); dies wurde beiden Verteidigern am 10. Januar 2024 mitgeteilt (Bd. XIII, Bl. 2494 ff.). Mit Verfügung vom 10. Januar 2024 wurde das Urteil dem Wahlverteidiger RA M. am 11. Januar 2024 zugestellt und dem Angeklagten formlos übersandt, wobei beide auf die Rechtsansicht des Landgerichts (Revisionseinlegung unzulässig) hingewiesen wurden (Bd. XIII, Bl. 2496 ff.). Mit Schreiben vom 25. Januar 2024, eingegangen beim Landgericht am gleichen Tag, legte RA M. das Wahlverteidigermandat nieder (Bd. XIV, Bl. 2505). Mit Schreiben vom 31. Januar 2024, eingegangen beim Landgericht am 5. Februar 2024, beantragte RA H. seine Pflichtverteidigerbestellung (Bd. XIV, Bl. 2506); dem wurde mit Verfügung vom 5. Februar 2024 entsprochen (Bd. XIV, Bl. 2507 ff.).
Die Frist zur Begründung der Revision ist am Montag, den 12. Februar 2024 abgelaufen; die Revisionsanträge und ihre Begründung wurden zu keinem Zeitpunkt gemäß § 345 Abs. 1 StPO beim Landgericht angebracht. Mit Beschluss des Landgerichts vom 15. Februar 2024 wurde die Revision als unzulässig verworfen, da ‚die Revisionsanträge nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen sind‘; lediglich ergänzend wird auf die unzulässige Einlegung verwiesen (Bd. XIV, Bl. 2520 f.). Die Zustellung des Beschlusses an RA H. erfolgte am 19. Februar 2024, die formlose Übersendung an den Angeklagten am 16. Februar 2024 (Bd. XIV, Bl. 2522 ff.).
Mit Schreiben vom 23. Februar 2024, eingegangen beim Landgericht am 26. Februar 2024, legte RA H. gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein (Bd. XIV, Bl. 2524 f.). Das Rechtsmittel ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegen. Mit weiterem Schreiben vom 23. Februar 2024, eingegangen beim Landgericht am 29. Februar 2024, beantragte RA H. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision (Bd. XIV, Bl. 2539 f.).
Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist zulässig, weil er binnen der Wochenfrist des § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO gestellt worden ist. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil das Landgericht die nicht gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO begründete Revision des Angeklagten rechtlich zutreffend nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen hat.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision geht ins Leere, da die Revision - wie dargelegt - rechtzeitig eingelegt wurde. Im Übrigen hat auch das Landgericht lediglich hilfsweise auf die - nach dortiger Rechtsansicht - unzulässige Einlegung verwiesen.
Der Antrag ist daher gemäß § 300 StPO als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision auszulegen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller, sofern sich - wie hier - die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nicht offensichtlich aus den Akten ergibt, auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen; dies kann nicht nachgeholt werden. Entscheidend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten; auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Verteidigers kommt es hingegen nicht an (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 4 StR 319/22, NStZ-RR 2022, 378).
An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es. Der Antrag vom 23. Februar 2024, eingegangen beim Landgericht am 29. Februar 2024, enthält keinerlei Angaben zum Kenntnisstand des Angeklagten, dem der Beschluss des Landgerichts am 16. Februar 2024 formlos übersandt wurde. Weiter fehlt es an jedem nachvollziehbaren Vortrag zu den Gründen, auf Grund derer die Revisionsbegründungsfrist nicht eingehalten werden konnte.“
Rz. 3
2. Ergänzend ist zum erneut gestellten Wiedereinsetzungsantrag vom 2. Juni 2024 auszuführen:
Rz. 4
Es kann offenbleiben, ob ein „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteile vom 10. Oktober 2002 - 38830/97 - Czekalla/Portugal Tz. 59 ff. und vom 22. März 2007 - 59519/00 - Staroszczyk/Polen Tz. 122, 133) darin zu sehen sein könnte, dass der Pflichtverteidiger nach seiner erneuten Bestellung das Rechtsmittel nicht innerhalb der noch laufenden Monatsfrist begründet hat. Denn der Angeklagte, der versäumt hat, zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eine Revisionsbegründung abzugeben (§ 299 StPO), hat, wie vom Generalbundesanwalt ausgeführt, sein eigenes etwaiges fehlendes Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 44 Satz 1 StPO) nicht dargelegt und die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO insoweit versäumt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 2022 - 1 StR 33/22 Rn. 7 und vom 7. August 2019 - 3 StR 165/19 Rn. 11).
Rz. 5
Etwaige Versäumnisse eines Pflichtverteidigers können dem Staat nur ausnahmsweise angelastet werden, da die Führung der Verteidigung Sache des Angeklagten und seines Pflicht- oder Wahlverteidigers ist (EGMR, Urteil vom 22. März 2007 - 59519/00 - Staroszczyk/Polen Tz. 133). Für Behörden und Gerichte besteht eine Verpflichtung zum Eingreifen nur, wenn das Versagen eines Pflichtverteidigers für die Justiz offenkundig ist oder sie davon unterrichtet wird (EGMR, Urteile vom 10. Oktober 2002 - 38830/97 - Czekalla/Portugal Tz. 59 ff. und vom 22. März 2007 - 59519/00 - Staroszczyk/Polen Tz. 122, 133; BGH, Beschlüsse vom 20. August 2022 - 1 StR 33/22 Rn. 8 und vom 11. März 2020 - 4 StR 68/20, BGHR StPO § 44 Verschulden 12 Rn. 7). Eine solche Verpflichtung hat nicht bestanden. Im Gegenteil ist der Pflichtverteidiger, worauf der Generalbundesanwalt in seiner ergänzenden Stellungnahme hingewiesen hat, fristgerecht gegen den Verwerfungsbeschluss vorgegangen. Die Fälle, in denen der Bundesgerichtshof die Sache zur Bestellung eines anderen Verteidigers zurückgegeben hat, betreffen vornehmlich solche Konstellationen, in denen der Verteidiger überhaupt nicht mehr auf Justizschreiben reagiert hat (etwa BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2020 - 2 StR 299/20 Rn. 2; vom 5. Juni 2018 - 4 StR 138/18 Rn. 2 und vom 18. Januar 2018 - 4 StR 610/17 Rn. 2).
Jäger Fischer Bär
Leplow Welnhofer-Zeitler
Fundstellen
Dokument-Index HI16494340 |