Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitskonflikt zweier OLG über ihre erstinstanzliche Zuständigkeit. Energiewirtschaftsrechtliche Verfahren. Kartellsenat. Bindungswirkung der Verweisung
Leitsatz (amtlich)
Zur Bindungswirkung der fehlerhaften Verweisung einer energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache.
Normenkette
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4; EnWG § 106 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Zuständiges Gericht ist das OLG München.
Gründe
[1] I. Die Beschwerdeführerin hat beim OLG Nürnberg Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid der Beschwerdegegnerin, der Regierung der Oberpfalz, für die Entgelte für den Stromnetzzugang gem. § 23a EnWG eingelegt.
[2] Mit Beschluss vom 9.3.2007 hat sich das OLG Nürnberg (4. Zivilsenat) nach Anhörung der Beteiligten für unzuständig erklärt und das Beschwerdeverfahren auf Antrag der Beschwerdeführerin an den Kartellsenat des OLG München verwiesen. Das OLG München (Kartellsenat) hat sich seinerseits mit Beschluss vom 12.6.2007 für unzuständig erklärt und das Verfahren an das OLG Nürnberg zurückverwiesen. Der 4. Zivilsenat des OLG Nürnberg hat die erneute Übernahme des Beschwerdeverfahrens abgelehnt und die Sache dem 3. Zivilsenat desselben Gerichts zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Dieser Senat hat mit Beschluss vom 2.8.2007 die Sache dem BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
[3] II. Der BGH ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen. Dabei kann offen bleiben, ob sich die Zuständigkeit des BGH unmittelbar aus § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO oder, wie der vorlegende 3. Zivilsenat des OLG Nürnberg angenommen hat, aus § 36 Abs. 3 ZPO ergibt. Für Ersteres könnte eine gebotene teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 36 Abs. 2 ZPO sprechen. Denn da bei einem Zuständigkeitskonflikt zweier OLG über ihre erstinstanzliche Zuständigkeit ein nach § 36 Abs. 2 zur Entscheidung berufenes OLG notwendigerweise - wie auch das vorlegende OLG im Streitfall angenommen hat - von der Rechtsauffassung eines der beteiligten OLG abweichen muss, ergibt sich letztlich ohnehin zwangsläufig die Zuständigkeit des BGH, so dass eine vorgeschaltete oberlandesgerichtliche Zuständigkeit nur zu einer Verfahrensverzögerung führt.
[4] III. Zuständig ist das OLG München.
[5] Allerdings hat dieses zutreffend angenommen, dass die gesetzliche Zuständigkeit an sich beim OLG Nürnberg liegt. Nach § 75 Abs. 4 EnWG entscheidet über die Beschwerde ausschließlich das für den Sitz der Regulierungsbehörde zuständige OLG; dies ist im Streitfall das OLG Nürnberg. Von der durch § 106 Abs. 2 EnWG i.V.m. § 92 Abs. 1 GWB eröffneten Möglichkeit, energiewirtschaftsrechtliche Verfahren durch Rechtsverordnung einem oder einigen der zuständigen OLG zuzuweisen, hatte die Bayerische Staatsregierung zum Zeitpunkt des Eingangs der Streitsache noch keinen Gebrauch gemacht. An dieser Zuständigkeit ändert auch der Umstand nichts, dass nach § 106 Abs. 1 EnWG die nach § 91 GWB bei den OLG gebildeten Kartellsenate über die nach dem Energiewirtschaftsgesetz den OLG zugewiesenen Rechtssachen sowie in den Fällen des § 102 EnWG über die Berufung gegen Endurteile und die Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entscheiden. Denn § 106 Abs. 1 EnWG regelt wie § 91 GWB lediglich die funktionale Zuständigkeit des bei einem OLG zu bildenden Kartellsenats für die kartell- und energiewirtschaftsrechtlichen Streitverfahren, für die dieses OLG zuständig ist.
[6] Gleichwohl ist im Streitfall das OLG München zuständig, weil dieses entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an die Verweisung der Streitsache durch das OLG Nürnberg gebunden ist. Durch die Bindungswirkung hat der Gesetzgeber die Überprüfung der sachlichen Richtigkeit einer Verweisungsentscheidung grundsätzlich ausgeschlossen, um zu vermeiden, dass mehrere Gerichte ihre Zuständigkeit mit der Folge verneinen, dass die Sachprüfung des Rechtsschutzbegehrens zum Nachteil der Verfahrensbeteiligten verzögert wird. Die Bindungswirkung tritt daher nur dann nicht ein, wenn ein Verweisungsbeschluss auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist; Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (Senat, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGH v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498; Senat, Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273). Dies ist insb. dann der Fall, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49; Senat, Beschl. v. 10.6.2003 - X ARZ 92/03, BGH v. 10.6.2003 - X ARZ 92/03, BGHReport 2003, 1305 = NJW 2003, 3201; Senat, Beschl. v. 23.1.1996 - X ZB 3/95, MDR 1996, 1032). Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Verweisungsbeschluss des OLG Nürnberg nicht willkürlich. Das OLG Nürnberg hat § 106 EnWG unter Berufung auf Kommentarliteratur entnommen, dass die Vorschrift eine Parallelität der Zuständigkeiten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und dem Energiewirtschaftsgesetz gebiete. Es hat ferner angenommen, dass der Umstand, dass das bayerische Landesrecht keine Zuständigkeitskonzentration für Kartellverwaltungssachen enthalte, ohne Bedeutung sei, weil sich aus dem Sitz der Landeskartellbehörde in München ohnehin eine zu der ausschließlichen Zuständigkeit in Kartellzivilsachen parallele alleinige Zuständigkeit des OLG München ergebe. Wenn das OLG Nürnberg hieraus abgeleitet hat, dass in Bayern eine ausschließliche Zuständigkeit des OLG München für sämtliche Kartell- und Energiewirtschaftsrechtssachen bestehe, so kann dies noch nicht als willkürlich angesehen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 1806223 |
BGHR 2007, 1187 |
EBE/BGH 2007 |
NJW-RR 2008, 370 |
RdE 2008, 52 |
IR 2008, 11 |
WuW 2007, 1251 |