Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug eines „Buffer”
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorliegen.
2. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nur dann, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Umsatz beteiligt ist, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, und er deshalb als Beteiligter dieser Hinterziehung anzusehen ist. Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nicht deshalb nachträglich wieder, weil der Unternehmer nach dem Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen oder sonstigen Leistungen von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren bzw. Abwicklung des Geschäfts gekannt hätte.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 370 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 12.12.2018; Aktenzeichen 24 KLs 7/16) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. Dezember 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe;
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und angeordnet, dass von der Strafe drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.
Rz. 2
Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Rz. 3
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte ab dem Jahr 2008 als Geschäftsführer der H. … GmbH (im Folgenden: H.) im Bereich des Großhandels mit Altmetallen und Reststoffen tätig. Im Jahr 2010 wurde die H. von Geschäftspartnern als sogenannter „Buffer” in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem eingebunden. Das Hinterziehungssystem funktionierte dergestalt, dass unbekannte Lieferanten Waren aus dem Ausland in das Steuergebiet einführten und unmittelbar an die T. … GmbH & Co. KG und andere Abnehmer lieferten, wobei über die Scheinlieferkette, deren Zwischenglied die H. war, eine Scheinrechnungslage geschaffen wurde, um die tatsächlichen Lieferbeziehungen zu verschleiern und den Abnehmern die Möglichkeit zu geben, die in den ihnen gestellten Rechnungen ausgewiesene – entweder nicht beim Finanzamt angemeldete oder jedenfalls nicht abgeführte – Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend zu machen. Die der H. gestellten Rechnungen über tatsächlich nicht ausgeführte Leistungen wurden jeweils von der P. GmbH und später den Firmen Altmetallhandel L., M. Facility Service und K. +N. KG unter Ausweis von Umsatzsteuer erstellt und vom Angeklagten zur Grundlage der von ihm beim Finanzamt eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht.
Rz. 4
In der Zeit zwischen dem 9. August 2010 und dem 1. August 2011 übermittelte der Angeklagte dem zuständigen Finanzamt in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der H. Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juni, Juli, August, Oktober, November und Dezember 2010 sowie für die Monate Februar, März, Mai und Juni 2011 und machte hierbei die in den im jeweiligen Voranmeldezeitraum an die H. gestellten Rechnungen und in Gutschriften ausgewiesenen Umsatzsteuern als Vorsteuern geltend. Dabei hatte er „spätestens ab Juli 2010” (UA S. 7, ähnlich UA S. 2) Kenntnis davon, dass den Rechnungen keine realen Geschäftsvorgänge zugrunde lagen, sondern es sich um Scheinrechnungen ohne Leistungsbezug handelte. Infolge der vom Angeklagten eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen wurden die Umsatzsteuern für die Monate Juni (Vorsteuer: 179.340,09 EUR), Juli (Vorsteuer: 251.519,72 EUR), August (Vorsteuer: 152.407,52 EUR), Oktober (Vorsteuer: 76.354,34 EUR), November (Vorsteuer: 171.872,62 EUR) und Dezember (Vorsteuer: 373.958,65 EUR) 2010 sowie Februar (Vorsteuer: 24.542,85 EUR) und Mai (Vorsteuer: 79.450,13 EUR) 2011 jeweils in Höhe des zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbetrags (insgesamt 1.309.445,92 EUR) zu niedrig festgesetzt. In den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März und Juni 2011 machte der Angeklagte unberechtigt Vorsteuern in Höhe von 28.192,46 EUR (März 2011) bzw. 23.579 EUR (Juni 2011) geltend; diese Erklärungen führten aber nicht zu entsprechenden Festsetzungen.
Rz. 5
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2010 und 2011 reichte der Angeklagte für die H., bei der ab August 2010 Umsatzsteuersonderprüfungen durchgeführt wurden, nicht mehr ein.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
1. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und bleibt daher ohne Erfolg.
Rz. 7
2. Die Sachrüge führt dagegen zur Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe.
Rz. 8
Der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) hält in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht die Angaben des Angeklagten in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juni 2010 (Fall II. 2. b) (1) der Urteilsgründe) und Juli 2010 (Fall II. 2. b) (2) der Urteilsgründe) zu den Vorsteuerabzügen als unrichtig erachtet, es die fehlende Berechtigung der H. zum Vorsteuerabzug in diesen Voranmeldezeiträumen aber nicht tragfähig begründet hat.
Rz. 9
a) Nach § 15 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, in Abzug bringen. Für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, kommt es dabei nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorlagen (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 1 StR 239/15 Rn. 12 f.; vom 19. November 2014 – 1 StR 219/14 Rn. 9 f. und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13, BGHR UStG § 15 Vorsteuerabzug 5 Rn. 13). Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nur dann, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Umsatz beteiligt ist, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, und er deshalb als Beteiligter dieser Hinterziehung anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 in den Rechtssachen C-439/04 und C-440/04 „Kittel und Recolta Recycling”, DStR 2006 Rn. 53, 55 f. und vom 18. Dezember 2014, Rechtssache C-131/13 u.a. „Italmoda”, DStR 2015, 573 Rn. 50, 62; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 1 StR 239/15 Rn. 12; vom 19. November 2014 – 1 StR 219/14 Rn. 9 f. und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13 aaO). Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt nicht deshalb nachträglich wieder, weil der Unternehmer nach dem Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen oder sonstigen Leistungen von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren bzw. Abwicklung des Geschäfts gekannt hätte (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 1 StR 239/15 Rn. 12 f.; vom 19. November 2014 – 1 StR 219/14 Rn. 9 f. und vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 312/13 aaO).
Rz. 10
b) Die Annahme des Landgerichts, der H. habe es an der Berechtigung zum Vorsteuerabzug in den Voranmeldezeiträumen Juni 2010 und Juli 2010 gefehlt, weshalb die vom Angeklagten für diese Voranmeldezeiträume erklärten Steueranmeldungen unrichtig gewesen seien, begegnet danach durchgreifenden Bedenken.
Rz. 11
aa) Der Angeklagte hätte im Fall II. 2. b) (1) der Urteilsgründe mit der Geltendmachung der in den im Juni 2010 an die H. gestellten Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern als Vorsteuern bereits deshalb keine unrichtigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht, weil dessen Kenntnis von der Einbindung der H. in das Steuerhinterziehungssystem erst für die Zeit „spätestens ab Juli 2010” festgestellt ist und nicht bereits für die Zeit der Leistungsausführung beziehungsweise Rechnungstellung im Juni 2010. Eine Kenntnis des Angeklagten von der Einbindung der H. in das Hinterziehungssystem ab Juli 2010 hätte die Berechtigung der H. zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs in der Steueranmeldung für den Monat Juni 2010 nicht beseitigt.
Rz. 12
Im Übrigen ist die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe „spätestens ab Juli 2010” Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei den an die H. gestellten Rechnungen um Scheinrechnungen ohne Leistungserbringung handelte, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten, auch nicht tragfähig beweiswürdigend belegt. Das Landgericht stützt diese Feststellung allein auf die Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, er habe „ab Mitte 2010” erkannt, dass etwas mit den Lieferungen nicht stimme. Diese vage zeitliche Einordnung des Angeklagten vermag jedoch die Feststellung, dass entsprechende Kenntnis beim Angeklagten „spätestens ab Juli 2010” vorlag, nicht zu tragen. Denn die zeitliche Einordnung „Mitte 2010” bezeichnet nach dem für das Verständnis der Einlassung des Angeklagten maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch eine Zeitspanne, die nicht mit Beginn des Monats Juli endet, sondern zumindest noch einen Großteil des Monats Juli umfasst.
Rz. 13
bb) Auch der Schuldspruch im Fall II. 2. b) (2) der Urteilsgründe hat danach keinen Bestand, weil die Feststellung, der Angeklagte habe „spätestens ab Juli 2010” – also in dem hier gegenständlichen Rechnungsstellungs- und Voranmeldezeitraum – Kenntnis davon gehabt, dass die Rechnungen, die er dem in der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2010 geltend gemachten Vorsteuerabzug zugrunde legte, keine realen Geschäfts- und Liefervorgänge betrafen, sondern es sich vielmehr um Scheingeschäfte zur Hinterziehung von Umsatzsteuer handelte, nicht tragfähig belegt ist.
Rz. 14
c) Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II. 2. b) (1) und (2) der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die jeweiligen Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen sind von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern betroffen und daher ebenfalls aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Unterschriften
Raum, Bellay, Hohoff, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 13406907 |
BFH/NV 2020, 79 |
NStZ 2019, 7 |
wistra 2020, 160 |
Umsatzsteuer direkt digital 2019, 6 |
NZWiSt 2020, 111 |