Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2022 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.
Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 15.324,49 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
Rz. 2
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits deshalb unzulässig, weil sie entgegen § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO, der auch auf die Nichtzulassungsbeschwerde anwendbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2021 - VII ZR 190/19, juris Rn. 1), nicht von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt worden ist.
Rz. 3
2. Die in den anwaltlichen Schriftsätzen vom 28. Juni 2022 und 15. Juli 2022 jeweils enthaltene Erklärung der Klägerin, die Nichtzulassungsbeschwerde werde hiermit zurückgenommen, enthebt den Senat nicht der Notwendigkeit, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Es liegt keine wirksame Rücknahme vor.
Rz. 4
a) Zwar sind die Rücknahmeerklärungen nicht schon aufgrund eines Verstoßes gegen § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO unwirksam. Im Ausgangspunkt unterliegt die Rücknahme eines Rechtsmittels als Prozesshandlung ebenfalls gemäß § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO dem Anwaltszwang (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR 481/11, juris Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 78 Rn. 47). Hat allerdings die Partei selbst oder - wie hier - durch einen postulationsunfähigen Vertreter ein (unzulässiges) Rechtsmittel eingelegt, so kann sie es in derselben Art wieder zurücknehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 1994 - XI ZB 3/94, NJW-RR 1994, 759 zur Berufung; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 19. Aufl., § 78 Rn. 17; MünchKomm-ZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 569 Rn. 23).
Rz. 5
b) Einer formwirksamen Rücknahme stehen jedoch §§ 130a, 130d ZPO entgegen.
Rz. 6
aa) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 130d Satz 1 ZPO). Diese Vorschrift ist nach Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten (vgl. BGBl. I S. 3786 ff). Sie gilt grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der Zivilprozessordnung (vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 28).
Rz. 7
bb) Die Anforderungen an ein elektronisches Dokument sind in § 130a ZPO geregelt. Danach muss ein elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO). Die sicheren Übermittlungswege ergeben sich aus § 130a Abs. 4 ZPO, wozu namentlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (§§ 31a, 31b BRAO) gehört (vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Hierbei wird ein nicht qualifiziert elektronisch signiertes Dokument nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach eingereicht, wenn die den Schriftsatz verantwortende Person das Dokument selbst versendet (vgl. BAGE 171, 28 Rn. 17, 24; BGH, Beschluss vom 30. März 2022 - XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 10 f; siehe auch BVerwG, NVwZ 2022, 649 Rn. 4 zur Parallelregelung in § 55a VwGO).
Rz. 8
cc) Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) dokumentiert. Fehlt ein solcher Eintrag, ohne dass dies allein auf einen - hier weder vorgetragenen noch sonst erkennbaren - technischen Fehler zurückzuführen wäre, lässt dies darauf schließen, dass das (einfach signierte) Dokument ohne persönliche Anmeldung des Postfachinhabers oder durch eine andere Person versandt wurde. Beides erfüllt nicht die Anforderungen an einen sicheren Übermittlungsweg, weil Identität des Urhebers und Authentizität des Schriftstücks in diesen Fällen nicht gewährleistet sind (vgl. BAGE 171, 28 Rn. 25 ff; BVerwG, NVwZ 2022, 649 Rn. 6 f; BGH, Beschluss vom 30. März 2022 - XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 10; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 130a Rn. 11). Die Absenderangabe und die auch in solchen Fällen mit versandte "Nutzer-ID" können den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis nicht ersetzen. Sie identifizieren nur das besondere elektronische Anwaltspostfach, von dem aus das elektronische Dokument versandt wurde, nicht aber die das Dokument versendende Person (vgl. BVerwG, aaO Rn. 8).
Rz. 9
dd) Den vorgenannten Anforderungen genügen die Schriftsätze vom 28. Juni 2022 und 15. Juli 2022 jeweils nicht.
Rz. 10
(1) Der Schriftsatz vom 28. Juni 2022 enthält keine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne des § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO. Auch sind die Voraussetzungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO nicht erfüllt, denn der Schriftsatz wurde nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht. Es fehlt der erforderliche Herkunftsnachweis. Der Prüfvermerk vom 28. Juni 2022 enthält keine Informationen zum Übermittlungsweg "Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach". Er enthält vielmehr die Information: "Diese Nachricht wurde per EGVP versandt".
Rz. 11
(2) Der Schriftsatz vom 15. Juli 2022 wurde lediglich auf dem Postweg und per Fax versandt. Das Fax ist kein elektronisches Dokument im Sinne der §§ 130a, 130d ZPO.
Rz. 12
ee) Die Übermittlung der Rechtsmittelrücknahme in Form des elektronischen Dokuments war auch nicht gemäß § 130d Satz 2 ZPO entbehrlich.
Rz. 13
Nach dieser Vorschrift bleibt das Einreichen von Schriftstücken nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 129 ff ZPO) ausnahmsweise zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus "technischen Gründen vorübergehend" nicht möglich ist. Auf einen Fall des § 130d Satz 2 ZPO hat sich die Klägerseite indes schon nicht berufen.
Rz. 14
ff) Die Übermittlung als elektronisches Dokument ist eine unverzichtbare (§ 295 Abs. 2 ZPO), von Amts wegen zu prüfende Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 27; siehe auch Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23. Aufl., § 130d Rn. 9). Ein entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument übermittelter Schriftsatz ist nicht formgerecht. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 27; BGH, Beschluss vom 30. März 2022 - XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 5 ff; BAG, BAGE 171, 28 Rn. 33; OLG Düsseldorf, MDR 2022, 913; OLG Hamm, FamRZ 2022, 1219, 1220; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 130d Rn. 1).
Rz. 15
gg) Die Klägerin ist auch darauf hingewiesen worden, dass die eingereichten Schriftsätze den Anforderungen der §§ 130a, 130d ZPO nicht genügen, ohne dass der vorgenannte Formmangel behoben worden wäre.
Grupp |
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Lohmann |
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Schoppmeyer |
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Röhl |
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Schultz |
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Fundstellen
Haufe-Index 15443288 |
JR 2023, 414 |
ZInsO 2022, 2579 |
ZInsO 2023, 1515 |