Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wird erst wirksam, wenn sie dem Berufungskläger formlos mitgeteilt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1999 - V ZB 31/98, NJW 1999, 1036, juris Rn. 5; vom 14. Februar 1990 - XII ZB 126/89, NJW 1990, 1797).
2. Wird dem Berufungskläger bei Mitteilung der Verlängerungsverfügung ebenfalls mitgeteilt, die Verfügung enthalte einen Schreibfehler, tatsächlich sei ein anderes Fristende gewollt gewesen, so kann dieses Schreibversehen jedenfalls gemäß § 319 ZPO berichtigt werden.
Normenkette
BGB §§ 319, 520
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 22. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. April 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis 380.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit den Beklagten am 8. September 2020 zugestelltem Urteil überwiegend stattgegeben. Nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts auf einen entsprechenden Antrag der Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung zunächst bis zum 8. Dezember 2020 verlängert. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 7. Dezember 2020 haben die Beklagten die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 29. Dezember 2020 beantragt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, die Gegenseite habe sich mit der weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt. In der daraufhin unter dem 8. Dezember 2020 erlassenen Verfügung hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Frist aufgrund eines Schreibversehens nur bis zum 28. Dezember 2020 verlängert. Die Verfügung ist unter dem 8. Dezember 2020 formlos an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gesandt worden, wobei die Beklagten in Abrede stellen, dass sie dort eingegangen ist.
Rz. 2
Am 29. Dezember 2020 ist die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Verfügung vom 29. Dezember 2020 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Parteien darauf hingewiesen, dass es sich bei der Angabe "28.12.2020" in der Verfügung vom 8. Dezember 2020 um ein Schreibversehen handle und aus Gründen des Vertrauensschutzes die am 29. Dezember 2020 eingegangene Berufungsbegründung für fristgerecht erachtet werde. Nach Widerspruch des Klägers, der die Berufungsbegründung für verspätet hält, hat das Berufungsgericht die Parteien mit den Beklagten am 12. März 2021 zugestelltem Beschluss darauf hingewiesen, eine Änderung der Fristsetzung in der Verfügung vom 8. Dezember 2020 vom 28. Dezember 2020 auf den 29. Dezember 2020 gemäß § 319 ZPO sei nicht möglich, weil das Schreibversehen des Vorsitzenden nicht für jedermann offenbar sei. Mangels Änderungsmöglichkeit sei die Fristsetzung auf den 28. Dezember 2020 verbindlich und die am 29. Dezember 2020 eingegangene Berufungsbegründung mithin verspätet. Die Beklagten hätten den Fristablauf prüfen und gegebenenfalls rückfragen müssen. Mit am 18. März 2021 eingegangenem Schriftsatz vom 17. März 2021 haben die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und unter anderem darauf hingewiesen, die Verfügung vom 8. Dezember 2020 mit einer Verlängerung der Frist auf den 28. Dezember 2020 nicht erhalten zu haben. Hierzu haben sie eine eidesstattliche Versicherung einer Angestellten ihrer Prozessbevollmächtigten vorgelegt.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 12. April 2021 hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet, weil die Beklagten nicht ausreichend hätten darlegen und glaubhaft machen können, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert gewesen seien, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Berufung sei deshalb mangels Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2, § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen gewesen.
Rz. 5
Die Frist zur Begründung der Berufung sei durch den Vorsitzenden bis zum 28. Dezember 2020 verlängert worden, die Berufungsbegründung aber erst am 29. Dezember 2020 eingegangen. Zwar sei die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 28. Dezember 2020 fehlerhaft und eigentlich der 29. Dezember 2020 gemeint gewesen. Eine Korrektur der Verfügung nach § 319 ZPO sei allerdings nicht möglich, weil die Unrichtigkeit der Verfügung hierzu für jedermann offenbar sein müsse, was vorliegend nicht der Fall sei.
Rz. 6
Der durch die Beklagten gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zwar gemäß § 234 ZPO fristgerecht, aber unbegründet. Denn die Beklagten hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Verlängerung wie beantragt bewilligt werden würde. Vielmehr hätte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Ablauf der beantragten Frist durch geeignete Maßnahmen, gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht, überprüfen müssen, ob ihrem Fristverlängerungsantrag entsprochen worden sei, nachdem ihr nach ihrem Vortrag die gerichtliche Verfügung vom 8. Dezember 2020 nicht zugegangen sei. Eine eine solche Nachfrage sicherstellende Organisation des Büros ihrer Prozessbevollmächtigten hätten die Beklagten weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Rz. 7
2. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten hat Erfolg.
Rz. 8
a) Die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 8. März 2022 - VI ZB 25/20, NJW 2022, 1820 Rn. 6 mwN).
Rz. 9
b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen bereits nicht die Annahme, die Berufungsbegründung der Beklagten sei verspätet.
Rz. 10
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 8. Dezember 2020 versandte Verfügung des Vorsitzenden vom selben Tag, nach deren Wortlaut dieser die Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Dezember 2020 verlängert hatte, dieser zugegangen ist. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass dies nicht der Fall ist. Da eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erst wirksam wird, wenn sie dem Berufungskläger formlos mitgeteilt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1999 - V ZB 31/98, NJW 1999, 1036, juris Rn. 5; vom 14. Februar 1990 - XII ZB 126/89, NJW 1990, 1797), konnte sie auf dieser Grundlage erst durch die Mitteilung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom 29. Dezember 2021, aufgrund eines Schreibversehens sei die Frist lediglich bis 28. Dezember 2021 verlängert worden, aus Gründen des Vertrauensschutzes halte der (Berufungs-) Senat die am 29. Dezember 2020 eingegangene Begründungsschrift aber für fristgemäß, wirksam werden. Ob die Verlängerung nach dem dann maßgeblichen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2019 - VIII ZA 4/19, NJW-RR 2020, 313 Rn. 19; MükoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 520 Rn. 14) objektiven Inhalt dieser Mitteilung noch auf den 28. Dezember 2020 beschränkt oder angesichts des sich aus der Mitteilung ergebenden abweichenden Willens des Vorsitzenden, die Frist bis zum 29. Dezember 2020 zu verlängern, bereits den 29. Dezember 2020 umfasste, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war das Versehen des Vorsitzenden im Zeitpunkt, in dem die Verfügung wirksam wurde, angesichts des mit der Mitteilung verbundenen Eingeständnisses des Vorsitzenden, sich verschrieben zu haben, "offenbar" im Sinne von § 319 ZPO, so dass das Schreibversehen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne Weiteres hätte berichtigt werden können.
Rz. 11
c) Ist die Berufungsbegründung aber schon nicht verspätet eingegangen, kommt es auf die Frage, ob den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre, nicht mehr an. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass im Falle, den Beklagten wäre die Verfügung vom 8. Dezember 2020 schon vor der Mitteilung vom 29. Dezember 2020 zugegangen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf der Grundlage des vorliegenden Antrags nicht in Betracht käme. Denn die Beklagten machen bereits nicht geltend, es sei ihnen ohne eigenes oder ihnen zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten auch in diesem Fall nicht möglich gewesen, die sich aus der Verfügung vom 8. Dezember in ihrer ursprünglichen Form ergebende Frist (28. Dezember 2020) einzuhalten. Kann nicht festgestellt werden, ob die der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 8. Dezember 2020 zugesandte Verfügung bei dieser auch einging, wird freilich davon auszugehen sein, dass dies nicht der Fall ist. Denn eine Beweislast des Berufungsklägers für die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung kann nur für solche Ungewissheiten bejaht werden, die in seinen Sorgfalts- und Nachweisbereich fallen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 34. Auflage, § 519 Rn. 20 mwN). Die Ungewissheit, ob ein formlos abgesandtes Schriftstück beim Empfänger angekommen ist, gehört nicht zum Sorgfalts- und Nachweisbereich des Empfängers.
Seiters |
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Offenloch |
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Oehler |
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Müller |
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Böhm |
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Fundstellen
NJW 2022, 9 |
NJW-RR 2022, 1650 |
FA 2022, 363 |
IBR 2023, 49 |
JurBüro 2023, 616 |
MDR 2022, 1560 |
Mitt. 2023, 43 |