Leitsatz (amtlich)
Geht dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers auf einen von ihm gestellten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eine Mitteilung des Gerichts zu, aus der sich ergibt, dass die gewährte Fristverlängerung hinter der begehrten zurückbleibt, so ist eine Grundlage für sein Vertrauen, die Frist laufe erst später als aus der Mitteilung ersichtlich ab, nicht ersichtlich. Vielmehr ist von einem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsanwalt zu erwarten, dass er eine solche Mitteilung zur Kenntnis nimmt und sich auf die daraus ersichtliche Frist einstellt.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 26.05.2021; Aktenzeichen I-3 U 31/21) |
LG Hagen (Entscheidung vom 06.01.2021; Aktenzeichen 2 O 117/18) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis 95.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger macht als Erbe seiner verstorbenen Frau Schadensersatzansprüche wegen angeblicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung seiner Frau gegen die Beklagte geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das landgerichtliche Urteil ist dem Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten am 21. Januar 2021 zugestellt worden. Nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am Montag, dem 22. März 2021, beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz beantragt, die Frist für die Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern, worauf die stellvertretende Vorsitzende des Berufungsgerichts die Frist durch Verfügung vom 24. März 2021 bis zum 21. April 2021 verlängert hat. Mit am 22. April 2021 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Monat zu verlängern. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts hat diesen Fristverlängerungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, er sei erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen.
Rz. 2
Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2021 hat der Kläger hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, hinsichtlich der Fristverlängerung (nur) bis zum 21. April 2021 von einem zu korrigierenden Schreibfehler auszugehen. Da die Berufungsbegründungsfrist ohne Fristverlängerung erst am 22. März 2021, einem Montag, abgelaufen wäre, hätte ihm - so der Kläger - die Frist bis zum 22. April 2021 verlängert werden müssen. Er sei deshalb jedenfalls ohne sein Verschulden an der Einhaltung der verlängerten Frist gehindert gewesen, weil er auf die uneingeschränkte Bewilligung der von ihm beantragten Fristverlängerung habe vertrauen dürfen.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind aber nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
Rz. 5
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht rechtzeitig im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden sei. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zwar zulässig, aber unbegründet. Die Versäumung der bereits einmal verlängerten Berufungsbegründungsfrist wäre für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt ohne Weiteres vermeidbar gewesen. Ein sorgfältig handelnder Rechtsanwalt hätte auf die ihm am 29. März 2021 zugestellte Verlängerungsverfügung das daraus eindeutig ersichtliche Fristende am 21. April 2021 notiert. Zwar dürfe ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die positive Bescheidung seines ersten Verlängerungsantrags vertrauen, wenn er erhebliche Gründe im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgebracht habe. Hieraus folge jedoch nicht ohne Weiteres auch das Vertrauen, dass dem Fristverlängerungsantrag in vollem Umfang stattgegeben werde. Spätestens mit Zustellung der Verlängerungsverfügung am 29. März 2021 sei für den Klägervertreter eindeutig erkennbar gewesen, dass die beantragte Fristverlängerung ausgehend vom Datum der Urteilszustellung nur bis zum 21. April 2021 bewilligt worden sei und die verlängerte Berufungsbegründungsfrist daher an diesem Tag und nicht erst am 22. April 2021 ablaufe. Er hätte daher das zunächst vermerkte hypothetische Fristende durch das tatsächliche ersetzen müssen. Auch sei zu diesem Zeitpunkt noch ausreichend Zeit gewesen, die Berufungsbegründung rechtzeitig innerhalb der verlängerten Frist zu erstellen oder mit Zustimmung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Fristverlängerungsantrag zu stellen. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten sei dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
Rz. 6
2. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen.
Rz. 7
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, der beim Berufungsgericht am 22. April 2021 eingegangene Antrag auf eine erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei nicht innerhalb der bis zum 21. April 2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist und damit nicht rechtzeitig eingegangen. Soweit der Kläger in der Vorinstanz - anders als im Rechtsbeschwerdeverfahren - geltend gemacht hat, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist in der Verfügung vom 24. März 2021 nur bis zum 21. April 2021 anstatt bis zum 22. April 2021 beruhe auf einem bloßen Schreibversehen der stellvertretenden Vorsitzenden des Berufungsgerichts, lässt sich ein solches bloßes Schreibversehen jedenfalls nicht feststellen. Im Gegenteil hat das Berufungsgericht ausdrücklich ausgeführt, ein zu korrigierender Schreibfehler liege nicht vor. Es bedarf im Streitfall mithin keiner Entscheidung, welche rechtlichen Folgen ein solches Schreibversehen, läge es vor, auf den Ablauf der Frist hätte.
Rz. 8
b) Zu Recht ist das Berufungsgericht auch zum Ergebnis gelangt, der Kläger habe die - verlängerte - Frist zur Begründung der Berufung nicht ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, versäumt.
Rz. 9
aa) Zutreffend ist es davon ausgegangen, dass ein Rechtsanwalt, dem eine gerichtliche Verfügung über die Verlängerung einer Frist bis zu einem bestimmten Datum vorliegt, nicht ohne Weiteres davon ausgehen darf, die verlängerte Frist beruhe auf einem Irrtum des Vorsitzenden, stelle eine offenbare Unrichtigkeit dar und laufe deshalb um einen Tag länger als aus der Verfügung ersichtlich. Von einem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsanwalt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - XII ZB 446/19, NJW-RR 2020, 940 Rn. 10; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 233 Rn. 91) ist in einem solchen Fall zu erwarten, dass er sich entweder mit der Fertigung der Berufungsbegründung auf die kürzer als beantragt verlängerte Frist einstellt oder sich rechtzeitig vor Ablauf dieser Frist an das Berufungsgericht mit der Bitte um Klarstellung und gegebenenfalls weitere Verlängerung wendet.
Rz. 10
Aus der von der Rechtsbeschwerde herangezogenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (Senatsbeschlüsse vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06, NJW-RR 2008, 367 Rn. 9; vom 13. Dezember 2005 - VI ZB 52/05, VersR 2006, 568 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10) ergibt sich nichts Anderes. Zwar darf der Prozessbevollmächtigte, der einen ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO unter Darlegung eines erheblichen Grundes gestellt hat, danach darauf vertrauen, dass die Berufungsbegründungsfrist in der beantragten Weise verlängert wird. Dies enthebt ihn aber nur der Obliegenheit, sich noch innerhalb des Laufs der (ursprünglichen) Frist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06, aaO; vom 13. Dezember 2005 - VI ZB 52/05, aaO; BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16, aaO Rn. 11 f.). Geht ihm hingegen - wie hier - rechtzeitig vor Ablauf der verlängerten Frist eine Mitteilung des Gerichts zu, aus der sich das Ende der verlängerten Frist ohne Weiteres entnehmen lässt, so ist eine Grundlage für sein Vertrauen, die Frist laufe erst später als aus der Mitteilung ersichtlich ab, nicht erkennbar. Von einem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsanwalt ist vielmehr zu erwarten, dass er eine solche Mitteilung zur Kenntnis nimmt und sich auf die daraus ersichtliche Frist einstellt. Denn für ihn maßgeblich ist in einem solchen Fall die wirkliche, nicht die beantragte (hypothetische) Fristverlängerung (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06, aaO Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - XI ZB 19/19, NJOZ 2021, 691 Rn. 12; vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 15; vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663, juris Rn. 9).
Rz. 11
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Streitfall auf eine bis zum 22. April 2021 verlängerte Berufungsbegründungsfrist auch nicht deshalb vertrauen, weil die Verlängerungsverfügung vom 24. März 2021 (nur) bis zum 21. April 2021 keine ausdrückliche Zurückweisung eines weiter, nämlich bis zum 22. April 2021 reichenden Verlängerungsantrags enthielt. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass - was einem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsanwalt bekannt sein muss - in aller Regel von einer (stillschweigenden) Ablehnung des weitergehenden Antrags auszugehen ist, wenn der Vorsitzende die Berufungsbegründungsfrist für eine kürzere Zeit als beantragt verlängert (BGH, Beschluss vom 8. April 2015 - VII ZB 62/14, NJW 2015, 1966 Rn. 12 mwN).
Rz. 12
Warum der Kläger - wie die Rechtsbeschwerde weiter meint - deshalb auf eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. April 2021 hätte vertrauen dürfen sollen, weil der Gegner einer Fristverlängerung um einen Monat zugestimmt habe, erschließt sich dem erkennenden Senat schon im Ansatz nicht. Die Zustimmung der Beklagten betraf nicht die erste, sondern die weitere, vom Kläger zu spät beantragte Fristverlängerung über den 21. April 2021 hinaus. Im Übrigen änderte eine solche Zustimmung nichts an der Obliegenheit des Berufungsklägers, Verlängerungsverfügungen des Berufungsgerichts zur Kenntnis zu nehmen und sich in der oben dargestellten Weise darauf einzurichten.
Rz. 13
cc) Ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass der Kläger die bis zum 21. April 2021 verlängerte Berufungsbegründungsfrist aufgrund eines ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten versäumt hat, so kommt es auf die von der Rechtsbeschwerde weiter problematisierte Frage, ob er die versäumte Prozesshandlung - wie nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO erforderlich - innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt hat, nicht mehr an.
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