Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 22.02.2006; Aktenzeichen 22 KLs 39/05) |
Tenor
Für die Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg, die im Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 22. Februar 2006 – 22 KLs 39/05 – angeordnete und mit Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Lüneburg vom 1. August 2008 aufrecht erhaltene Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde zuständig.
Tatbestand
I.
Rz. 1
1. Der Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 22. Februar 2006 – 22 KLs 39/05, rechtskräftig seit dem Tage der Verkündung, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; darüber hinaus wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie der Vorwegvollzug von zwei Jahren und sechs Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet. Mit Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 1. August 2008 wurde aus dieser Strafe und den Strafen aus zwei weiteren Verurteilungen nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten gebildet und die angeordnete Maßregel nach § 64 StGB aufrecht erhalten. Der Verurteilte verbüßte zunächst zwei Jahre und sechs Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Sehnde und wurde am 10. Juli 2008 zum Vollzug der Maßregel in das Niedersächsische Landeskrankenhaus Brauel aufgenommen. Mit Beschlüssen vom 16. Januar 2009 und 22. Juli 2009 hat die seinerzeit zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Am 13. Januar 2010 wurde der Verurteilte in sein Heimatland abgeschoben.
Rz. 2
2. Am 14. Juli 2016 wurde der Verurteilte aufgrund Vollstreckungshaftbefehls der Staatsanwaltschaft Lüneburg vom 19. Januar 2010 festgenommen und zunächst in die Justizvollzugsanstalt Trier eingeliefert. Ausweislich des Aufnahmeersuchens der Staatsanwaltschaft vom 14. Juli 2016 wurde die Vollstreckungsreihenfolge wegen fehlender Aufnahmemöglichkeiten im Maßregelvollzug umgestellt und der Strafrest in Bezug auf die Unterbringung als Organisationshaft vollstreckt. Am 21. Juli 2016 wurde der Verurteilte in die Justizvollzugsanstalt Sehnde verlegt, die in die örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim fällt; er verbüßt dort die Restfreiheitsstrafe von 1032 Tagen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Lüneburg vom 1. August 2008.
Rz. 3
3. a) Noch am 14. Juli 2016 beantragte die Staatsanwaltschaft Lüneburg bei der für die vormalige Maßregelvollzugseinrichtung des Verurteilten, das Niedersächsische Landeskrankenhaus Brauel, zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz in Bremervörde, die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 67d Abs. 5 StGB für erledigt zu erklären; der weitere Vollzug sei nicht mehr erforderlich, nachdem seit der Abschiebung des Verurteilten sechs Jahre und sechs Monate vergangen seien.
Rz. 4
b) Mit Verfügung vom 21. Juli 2016 leitete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde die Akten an die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis zurück, dass sie für eine Entscheidung „nicht zuständig sein dürfte”, weil der Verurteilte sich nicht in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde befinde und für Entscheidungen im Rahmen des Maßregelvollzugs (nunmehr) die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zuständig sei. In deren Bezirk liegt das durch Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung vom 9. November 2010 gebildete Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen mit Hauptsitz in Moringen, zu dem nunmehr auch das vormals eigenständige und in den Zuständigkeitsbereich der Strafvollstreckungskammer Stade fallende Landeskrankenhaus Brauel gehört.
Rz. 5
c) Die Staatsanwaltschaft Lüneburg legte die Akten daraufhin der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vor und bat für den Fall, dass die dortige Strafvollstreckungskammer nicht zuständig sein sollte, darum, die Sache an die zuständige Strafvollstreckungskammer abzugeben. Mit Beschluss vom 20. September 2016 gab die Strafvollstreckungskammer Göttingen die Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim ab und wies darauf hin, dass der Verurteilte derzeit in der zum dortigen Bezirk gehörenden Justizvollzugsanstalt Sehnde Strafhaft verbüße.
Rz. 6
d) Mit Beschluss vom 23. September 2016 erklärte sich die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim für örtlich unzuständig. Eine Entscheidung über die Frage der weiteren Vollziehung der Maßregel gemäß § 456a Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 67c Abs. 2 StGB sei bereits unmittelbar nach erneuter Festnahme des Verurteilten von Amts wegen zu treffen gewesen; der Verurteilte habe sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Bezirk der Strafvollstreckungskammer Hildesheim in Strafhaft befunden. Infolge der gemäß § 462a Abs. 1 Satz 2 StPO bestehenden Fortwirkungszuständigkeit sei die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zuständig, in deren Bezirk die Maßregelvollzugseinrichtung Moringen liege.
Rz. 7
e) Nachdem die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Sehnde zur Frage einer bedingten Entlassung des Verurteilten bei der für diese Justizvollzugsanstalt zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim eingegangen war, forderte diese mit Verfügung vom 9. Januar 2017 bei der Vollstreckungsbehörde die Vollstreckungsakten an und wies darauf hin, dass der Verurteilte in seine bedingte Entlassung eingewilligt habe und zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe am 1. Februar 2017 [richtig wohl: am 28. Januar 2017] vollstreckt seien. Die Staatsanwaltschaft leitete dieses Schreiben weiter an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Sitz bei dem Amtsgericht Rotenburg (Wümme), welche die Akten unter Hinweis auf die eigene Unzuständigkeit an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim weiter leitete und darauf hinwies, dass sich der Verurteilte weder derzeit noch zu einem anderen Zeitpunkt im Maßregelvollzug im dortigen Maßregelvollzugszentrum befunden habe.
Rz. 8
f) Mit Beschluss vom 20. Januar 2017 legte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim die Sache dem Bundesgerichtshof zur Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 14 StPO vor.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 9
Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht gemäß § 14 StPO zur Entscheidung des Streits der Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Stade, Göttingen und Hildesheim über die örtliche Zuständigkeit berufen.
Rz. 10
Zur Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Maßregel der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, ist – aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift genannten Gründen – die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde zuständig.
Rz. 11
Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
„Für die Beantwortung der – hier streitigen – Frage, welche Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung über den Antrag, die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, örtlich zuständig ist, ist von dem Grundsatz auszugehen, dass für anstehende Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig ist, in deren Bezirk die Anstalt liegt, in der sich der Verurteilte befindet oder zuletzt befand (Senat, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 AR 96/12 [richtig: 2 ARs 164/12], NStZ 2012, 358). Die so begründete Zuständigkeit entfällt auch dann nicht, wenn – wie hier – nach § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung abgesehen und der Verurteilte abgeschoben wird (Senat, Beschluss vom 8. Oktober 1999 – 2 ARs 408/99, NStZ 2000, 111). § 462a Absatz 1 Satz 1 StPO präzisiert diese Regelung dahingehend, dass insofern auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem eine erstmalige Befassung mit der konkreten Angelegenheit gegeben war (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2006 – 2 ARs 302/06, NStZ-RR 2007; KK-StPO/Appl 7. Aufl. § 462a Rn. 16). Eine mit der ersten Befassung in einer Sache begründete örtliche Zuständigkeit wird – soweit es diese konkrete Sache anbelangt – durch später eingetretene Umstände, etwa eine neuerliche Aufnahme eines Verurteilten in den Straf- oder Maßregelvollzug, nicht berührt (Senat, Beschluss vom 14. August 1981 – 2 ARs 174/81, BGHSt 30, 189; Appl a.a.O. Rn. 21).
Nach diesen Grundsätzen ist von der örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade auszugehen. Ihre Zuständigkeit wurde mit der Aufnahme des Verurteilten in das in ihrem Zuständigkeitsbereich liegende (damalige) Niedersächsische Landeskrankenhaus Brauel am 10. Juli 2008 (vgl. VH Bd. I Bl. 125) begründet und wirkte nach seiner Entlassung am 13. Januar 2010 (VH Bd. I Bl. 240) bis zur Befassung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die Unterbringung für erledigt zu erklären (VH Bd. II Bl. 13-16), fort. Im Einzelnen:
1. Die Zuständigkeit ist nicht auf die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen übergegangen. Das Landeskrankenhaus Brauel wurde zwar durch Beschluss der niedersächsischen Landesregierung vom 9. November 2010 (MS-Z/1-01472/18.3, Nds. MBl. 2010 Nr. 46, S. 1139) mit weiteren Krankenhäusern zu einem Maßregelvollzugszentrum mit Hauptsitz in Moringen im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Göttingen zusammengelegt, was die grundsätzliche Zuständigkeit der dortigen Strafvollstreckungskammer auch für die Einrichtung in Brauel zur Folge haben dürfte (vgl. Senat, Beschluss vom 8. September 1978 – 2 ARs 289/78, BGHSt 28, 135). Die Zusammenlegung erfolgte jedoch erst mit Wirkung zum 1. Januar 2011, wohingegen der Verurteilte bereits am 13. Januar 2010 entlassen und auch später nicht wieder in den Maßregelvollzug aufgenommen worden ist. Für die örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ist der tatsächliche Aufenthalt des Verurteilten in einer Vollzugsanstalt entscheidend (Senat, Beschluss vom 21. Juli 1989 – 2 ARs 381/89, BGHSt 36, 229), so dass auch eine Änderung der Zuständigkeit nur im Fall der Verlegung (Senat, Beschluss vom 13. Februar 1976 – 2 ARs 395/75, BGHSt 26, 278) oder der erneuten Aufnahme in eine andere Anstalt (Senat, Beschluss vom 11. August 1999 – 2 ARs 161/99, juris) eintreten kann. Daher konnte allein die Umwandlung des Krankenhauses Brauel von einer eigenständigen Anstalt in eine Außenstelle hinsichtlich des in sein Heimatland abgeschobenen Verurteilten keinen Wechsel der gerichtlichen Zuständigkeit herbeiführen. Im Zeitpunkt der Eingliederung des Landeskrankenhauses Brauel in das Maßregelvollzugszentrum mit Sitz in Moringen war er dort nicht „aufgenommen” im Sinne von § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO. Auch aus der gesetzgeberischen Zielvorstellung, Vollstreckungsentscheidungen bei besonders sachkundigen und ortsnahen Spruchkörpern zu konzentrieren (Appl a.a.O. Rn. 2), ergibt sich jedenfalls in der vorliegenden Konstellation kein Bedürfnis für eine Zuständigkeitsänderung.
2. Die Aufnahme des Verurteilten in der JVA Trier in der Zeit vom 14. bis zum 21. Juli 2016 konnte als reine Organisationshaft keine Änderung der örtlichen Zuständigkeit bewirken (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 462a Rn. 5 m.w.N.). Im Zeitpunkt der Aufnahme des Verurteilten in die im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Hildesheim liegende Justizvollzugsanstalt Sehnde am 21. Juli 2017 war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade bereits mit dem dort am 18. Juli 2016 eingegangenen Antrag der Staatsanwaltschaft befasst (vgl. VH Bd. II Bl. 5 ff. 22 f., 30 f.).”
Rz. 12
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.
Unterschriften
Appl, RiBGH Dr. Eschelbach ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl, RiBGH Zeng ist wegen Krankheit an der Unterschrift gehindert. Appl, Bartel, Grube
Fundstellen
Haufe-Index 10526850 |
NStZ-RR 2017, 263 |