Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 08.09.2022; Aktenzeichen 7 U 55/22) |
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 07.04.2022; Aktenzeichen 2-30 O 251/21) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2022 gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerin zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin macht - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - aus behauptet abgetretenem Recht Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von zwei Lebensversicherungsverträgen geltend.
Rz. 2
Die Versicherungsnehmer Matthias B. und Marcus G. unterhielten bei der Beklagten jeweils einen Vertrag über eine Kapitallebensversicherung. Beide Verträge wurden nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VVG a.F.) abgeschlossen. Die an die Versicherungsnehmer gerichteten Begleitschreiben vom 30. April 2003 bzw. vom 23. September 2003, mit denen ihnen jeweils der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation übersendet wurden, enthielten auf der jeweils ersten von insgesamt zwei bzw. drei Seiten den folgenden Hinweis:
"Zusammen mit diesem Schreiben erhalten Sie Ihren Versicherungsschein, die allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen. Bitte nehmen Sie sich die Zeit zum Durchlesen und Überprüfen der Angaben im Versicherungsschein auf Vollständigkeit und Richtigkeit bewahren Sie die Unterlagen bitte sorgfältig auf."
Rz. 3
Auf der jeweils zweiten Seite war in beiden Begleitschreiben - drucktechnisch durch Fettdruck gegenüber dem restlichen Text hervorgehoben - die folgende Belehrung enthalten:
"Sie können diesem Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreibens widersprechen. Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung einer Widerspruchserklärung in Textform (schriftlich oder in anderer lesbarer Form). Selbstverständlich werden wir Ihnen in diesem Falle bereits gezahlte Beiträge zurückerstatten."
Rz. 4
Die Versicherungsnehmer traten die Ansprüche aus den Versicherungsverträgen mit im Jahr 2018 geschlossenen Vereinbarungen an eine GmbH ab, welche die Verträge jeweils noch im Jahr 2018 kündigte und für beide Verträge die von der Beklagten errechneten Rückkaufswerte ausbezahlt erhielt. Im März 2019 trat die GmbH die Ansprüche aus den Versicherungsverträgen an die Klägerin ab, die unter dem 4. Januar 2021 jeweils den Widerspruch erklärte.
Rz. 5
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung die Rückzahlung der eingezahlten Prämien zuzüglich gezogener Nutzungen abzüglich Risikokosten und bereits ausgezahlter Rückkaufswerte. Das Landgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Rz. 6
II. Das Berufungsgericht hat bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsansprüche der Klägerin verneint. Die Klägerin habe den im Jahr 2003 geschlossenen Verträgen im Jahr 2020 nicht mehr widersprechen können, da die Versicherungsnehmer jeweils ordnungsgemäß über das ihnen nach § 5a VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht belehrt worden seien. Zu einem fortdauernden Widerspruchsrecht führe insbesondere nicht, dass nach dem Inhalt der Policenbegleitschreiben die Widerspruchsfrist "nach Zugang dieses Schreibens" beginne, auch wenn diese Formulierung nicht den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. entspreche. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union komme es für ein Fortbestehen des Widerspruchsrechts darauf an, ob die erteilten Informationen derart unrichtig seien, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit genommen werde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Diese Erwägungen seien nicht beschränkt auf Fälle der fehlerhaften Belehrung über die Form des Widerspruchs und führten auch im vorliegenden Falle dazu, ein fortbestehendes Lösungsrecht zu verneinen.
Rz. 7
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht (mehr) vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 8
1. Das Berufungsgericht hat die Revision zum einen im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Juni 2022 (20 U 252/21, juris) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, weil dort die Übertragbarkeit der von dem Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) entwickelten Grundsätze auf einen vergleichbaren Belehrungsfehler abgelehnt wurde. Zum anderen hat das Berufungsgericht die Revision mit Blick auf die Senatsrechtsprechung zugelassen, wonach eine Belehrung wie die vorliegende zu einem fortbestehenden Widerspruchsrecht führe. Diese Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht bzw. nicht mehr vor.
Rz. 9
a) Hinsichtlich der von dem Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln fehlt es schon deshalb an dem Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, weil dort kein abstrakter Rechtssatz formuliert wird, der die vom hiesigen Berufungsgericht aufgeworfene Frage beantwortet. Das Oberlandesgericht Köln hat die Frage einer Übertragbarkeit der von dem Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) entwickelten Grundsätze auf einen vergleichbaren Belehrungsfehler vielmehr ausdrücklich offengelassen (OLG Köln, Urteil vom 10. Juni 2022 - 20 U 252/21, juris Rn. 32).
Rz. 10
b) Auch bezogen auf die Rechtsprechung des Senats fehlt es mittlerweile an einer Divergenz zur Entscheidung des Berufungsgerichts. Mit nach Erlass des Berufungsurteils ergangenem Urteil vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21, VersR 2023, 501 Rn. 14; zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHZ 236, 163) hat der Senat entschieden und im Einzelnen begründet, dass es unverhältnismäßig wäre, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen, wenn dem Versicherungsnehmer durch die fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
Rz. 11
Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht. Mit Urteil vom 17. Januar 2024 (IV ZR 19/23, juris) hat der Senat für einen mit dem vorliegenden im Wesentlichen identischen Sachverhalt entschieden, dass es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, dass das Tatgericht die Möglichkeit der Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. versagt, wenn - bei gleichzeitiger Übersendung von und Hinweis auf Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformation - in der im Policenbegleitschreiben enthaltenen Belehrung auf den "Zugang dieses Schreibens" als den Umstand verwiesen wird, der den Lauf der Widerspruchsfrist auslöst. Entgegen der Ansicht der Revision lässt sich auch dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) eine Beschränkung auf bestimmte Fallgruppen von Belehrungsfehlern nicht entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2024 - IV ZR 19/23, juris; vgl. auch BeckOK-VVG/Schepers, VVG § 5a Rn. 42 [Stand: 1. November 2023]). Deshalb ist auch eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht veranlasst (vgl. Senatsurteil vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, VersR 2023, 501 Rn. 23 ff.).
Rz. 12
Damit ist die entscheidungserhebliche Frage geklärt und der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts gegebene Zulassungsgrund der Sicherung einheitlicher Rechtsprechung entfallen.
Rz. 13
2. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, der Klägerin stehe kein bereicherungsrechtlicher Zahlungsanspruch zu, weil die Versicherungsnehmer die Prämienzahlungen hinsichtlich beider Versicherungsverträge nicht ohne Rechtsgrund geleistet haben.
Rz. 14
a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts enthielten die nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erforderlichen Widerspruchsbelehrungen zwar jeweils eine unrichtige Information über die Voraussetzungen des Beginns der Frist für den Widerspruch, indem dort jeweils auf den Zugang des Policenbegleitschreibens als fristauslösenden Umstand verwiesen wurde.
Rz. 15
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, aus dieser Unrichtigkeit der den Versicherungsnehmern erteilten Informationen über den Beginn der Widerspruchsfrist folge hier allerdings nicht, dass die Klägerin den im Jahr 2003 geschlossenen Verträgen noch im Jahr 2021 habe widersprechen können, hält revisionsrechtlicher Prüfung stand. Im Einklang mit der neueren Senatsrechtsprechung hat das Berufungsgericht bei der Beantwortung der Frage, ob die Klägerin das Widerspruchsrecht noch wirksam ausüben kann, entscheidend darauf abgestellt, ob den Versicherungsnehmern hier die Möglichkeit genommen wurde, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben wie bei zutreffender Belehrung (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631, Rn. 13; vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, VersR 2023, 501 Rn. 16). Keinen Rechtsfehler lässt auch die Annahme des Berufungsgerichts erkennen, der hier zu beurteilende Belehrungsfehler habe den Versicherungsnehmern diese Möglichkeit nicht genommen. Wie der Senat im Urteil vom 17. Januar 2024 (IV ZR 19/23, juris Rn. 13 ff.) für die auch vom Berufungsgericht im Streitfall beurteilte Fallkonstellation entschieden und im Einzelnen begründet hat, hält die tatrichterliche Annahme, dass die Unrichtigkeit der Belehrung in einem Fall wie hier dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit nimmt, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben wie bei ordnungsgemäßer Belehrung, der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
Rz. 16
3. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar 2023 - IV ZR 18/22, VersR 2023, 719 Rn. 14 m.w.N.).
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme der Revision erledigt worden.
Fundstellen
Dokument-Index HI16237846 |