Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 10.04.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 10. April 2018, soweit es ihn betrifft, im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger, an eine andere Jugendstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten T. und den nicht revidierenden Mitangeklagten J. jeweils wegen Betrugs und wegen Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, den Mitangeklagten daneben auch wegen Diebstahls und vorsätzlichen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln, schuldig gesprochen. Den Angeklagten hat es zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und den Mitangeklagten zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Rz. 2
Die gegen das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Der Rechtsfolgenausspruch hat dagegen keinen Bestand, weil die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken begegnet.
Rz. 4
a) Die Jugendkammer hat – sachverständig beraten – das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Cannabis mit der Begründung verneint, trotz des regelmäßigen Konsums von Cannabis sei der Substanzmissbrauch beim Angeklagten noch nicht so ausgeprägt, dass eine Suchterkrankung im Sinne eines Hangs vorliege, auf die das „kriminelle Verhalten” zurückzuführen sei. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB, also eine treibende oder beherrschende Neigung, Rauschgift in einem Umfang zu konsumieren, durch den Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt seien, sei beim Angeklagten nicht festzustellen, weil dieser derzeit körperlich gesund sei und in der Haft nicht an Entzugserscheinungen gelitten habe, sondern in der Lage sei, einer geregelten Arbeit nachzugehen und soziale Kontakte zu seiner Familie und zu Mithäftlingen zu unterhalten.
Rz. 5
b) Die Strafkammer ist danach bei ihrer Prüfung von einer zu engen Definition des Hangs ausgegangen.
Rz. 6
Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB genügt nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2018 – 3 StR 299/18, juris Rn. 8; vom 7. November 2018 – 1 StR 481/18, juris Rn. 4; vom 12. Januar 2017 – 1 StR 587/16, juris Rn. 9 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15, juris Rn. 5, jeweils mwN; Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210). Ein Hang im Sinne des § 64 StGB kommt danach insbesondere bei Beschaffungskriminalität in Betracht (BGH, Beschlüsse vom 7. November 2018 – 1 StR 481/18, juris Rn. 4 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15, juris Rn. 5; Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210, jeweils mwN). Erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Leistungsfähigkeit kommt zwar eine indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zu, weil diese in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen; deren Fehlen schließt aber nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2018 – 3 StR 299/18, juris Rn. 8; vom 7. November 2018 – 1 StR 481/18 Rn. 4; vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15, juris Rn. 6, jeweils mwN). Auch stehen das Ausbleiben ausgeprägter Entzugssyndrome und Intervalle der Abstinenz dem Vorliegen eines Hangs nicht entgegen (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2018 – 3 StR 299/18, juris Rn. 8; vom 7. November 2018 – 1 StR 481/18, juris Rn. 4; vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271 und vom 30. März 2010 – 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216).
Rz. 7
c) Daran gemessen liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Hang im Sinne des § 64 StGB beim Angeklagten zumindest nicht fern. Denn hiernach begann der Angeklagte bereits in der 7. Klasse mit dem Rauchen von Cannabis und konsumierte dies seit 2015 regelmäßig (UA S. 15 und 121) oder zumindest „einigermaßen” regelmäßig (UA S. 90), zuletzt durchschnittlich ca. 1,5 Gramm täglich (UA S. 15). Ab dem Alter von 16 Jahren kam der gelegentliche Konsum von Ecstasy hinzu. Alkohol (vornehmlich Wodka und Raki) konsumierte der Angeklagte ab dem Alter von 15 Jahren an den Wochenenden regelmäßig, wobei er im Herbst 2016 zwei Mal mit Werten von ca. 2,7 Promille ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Auch nach den Feststellungen des Sachverständigen F., denen sich das Landgericht angeschlossen hat, lagen beim Angeklagten ein zumindest phasenweiser schädlicher Gebrauch von Alkohol sowie ein Cannabisabusus (ICD-10: F12.1) vor (UA S. 92). Die verfahrensgegenständlichen Taten sind zudem als Beschaffungstaten anzusehen, weil der Angeklagte sie nach den Feststellungen des Landgerichts beging, um sich die für den Erwerb von Cannabis erforderlichen finanziellen Mittel zu verschaffen.
Rz. 8
Auch für das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs spricht nach den landgerichtlichen Feststellungen einiges, da der Angeklagte bei der Tat unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis stand und das Tatgeschehen in seinen wesentlichen Grundzügen seinem üblichen Vorgehen (der „Methode”, vgl. UA S. 74) entsprach, um sich in den Besitz von Drogen oder der für ihre Beschaffung erforderlichen Geldmittel zu bringen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2019 – 2 StR 521/18, juris Rn. 5 und vom 20. Februar 2018 – 3 StR 14/18, juris Rn. 4 mwN).
Rz. 9
2. Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss danach neu verhandelt und entschieden werden. Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt und sie hiervon nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Rz. 10
Wegen des sich aus § 5 Abs. 3 JGG ergebenden sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2018 – 1 StR 261/18, juris Rn. 12; vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734 f. und vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14, juris Rn. 4).
Unterschriften
Raum, Bär, Hohoff, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 13037865 |
NStZ-RR 2019, 175 |