Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
Stellt das Gericht auf einen Antrag gemäß § 9 Abs. 2 BRAO rechtskräftig fest, daß der von dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer angeführte Versagungsgrund der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) nicht vorliegt, so kann die Landesjustizverwaltung den Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft dennoch wegen Unwürdigkeit zurückweisen, wenn diese aus einem anderen Lebenssachverhalt hergeleitet wird, als er von der Rechtsanwaltskammer zur Grundlage ihres ablehnenden Gutachtens gemacht worden war.
Normenkette
BRAO § 7 Nr. 5, § 9 Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. September 1998 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller war seit 1983 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im Zusammenhang mit einem vor dem Amtsgericht L. gegen ihn geführten Strafverfahren verzichtete er unter dem 15. März 1993 auf die Zulassung. Diese wurde daraufhin durch Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. März 1993 widerrufen. Am 25. März 1993 verurteilte das Amtsgericht L. den Antragsteller wegen Untreue in sechs Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist seit dem 11. Januar 1994 rechtskräftig. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde dem Antragsteller die Strafe mit Beschluß des Amtsgerichts L. vom 22. Januar 1997 erlassen.
Ende 1996 suchte der Antragsteller um eine erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach. Zu diesem Antrag holte die Antragsgegnerin gemäß § 8 Abs. 2 BRAO ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer H. ein. Darin machte die Rechtsanwaltskammer die Versagungsgründe des § 7 Nr. 5 (Unwürdigkeit) und Nr. 9 BRAO (Vermögensverfall) geltend. Den ersten Versagungsgrund stützte die Rechtsanwaltskammer darauf, daß der Antragsteller ein gegen ihn betriebenes Zwangsvollstreckungsverfahren verschwiegen habe. Diese Zwangsvollstreckung indiziere zugleich das Vorliegen des Versagungsgrundes aus § 7 Nr. 9 BRAO.
Dagegen beantragte der Antragsteller gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BRAO gerichtliche Entscheidung. Mit Beschluß vom 18. August 1997 gab der Anwaltsgerichtshof dem Antrag insoweit statt, als die Rechtsanwaltskammer den Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO geltend gemacht hatte. Den Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO ließ die Rechtsanwaltskammer fallen. Insoweit wurde das Verfahren für erledigt erklärt (Senatsbeschl. v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 75/97).
Mit Bescheid vom 28. Mai 1998 hat die Antragsgegnerin den Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgewiesen, weil der Antragsteller im Hinblick auf seine rechtskräftige Verurteilung im Jahre 1993 auch jetzt noch unwürdig erscheine, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben (§ 7 Nr. 5 BRAO). Hiergegen hat der Antragsteller wiederum um gerichtliche Entscheidung nachgesucht. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag mit Beschluß vom 21. September 1998 zurückgewiesen.
II.
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO); sie hat indessen keinen Erfolg. Zu Recht hat der Anwaltsgerichtshof die beantragte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt, weil der Antragsteller sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn – auch heute noch – unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben.
1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hinderte die in dem Beschluß vom 18. August 1997 enthaltene Feststellung, der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO liege nicht vor, die Antragsgegnerin nicht, den Zulassungsantrag mit einer anderen, ebenfalls unter § 7 Nr. 5 BRAO fallenden, aber auf einen unterschiedlichen Lebenssachverhalt gestützten Begründung zurückzuweisen.
Die Rechtskraft des Beschlusses nach § 9 Abs. 4 Satz 1 BRAO reicht nur so weit wie der Verfahrensgegenstand (vgl. Henssler, in: Henssler/ Prütting, BRAO § 9 Rdnr. 6). Im vorliegenden Fall war Verfahrensgegenstand – abgesehen von dem Vermögensverfall – die Unwürdigkeit des Antragstellers, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Bei dem Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO geht es nicht um die Unwürdigkeit schlechthin, sondern um eine solche, die aus konkreten Tatsachen hergeleitet wird. Zum Verfahrensgegenstand „Unwürdigkeit” gehört deshalb immer der Lebenssachverhalt, aus dem sich die fraglichen Tatsachen ergeben. Diese Lebensverhalte können vielgestaltig sein. Einen Rechtsanwalt schon deshalb allgemein nicht als berufsunwürdig anzusehen, weil früher einmal rechtskräftig festgestellt worden ist, daß ein bestimmtes Verhalten ihn nicht als unwürdig erscheinen ließ, wäre ein offensichtlich wenig sinnvolles Ergebnis.
Verfahrensgegenstand des Vorverfahrens war also nur die von der Rechtsanwaltskammer verneinte Frage, ob aus dem Verschweigen eines Teils der gegen den Antragsteller betriebenen Zwangsvollstreckungsverfahren dessen Unwürdigkeit für den Beruf des Rechtsanwalts zu folgern war, nicht die auf einen ganz anderen Lebenssachverhalt bezogene Frage, ob die Verurteilung wegen Untreue den Antragsteller – ebenfalls – als unwürdig erscheinen ließ. Dazu hatte die Rechtsanwaltskammer sich in ihrem Gutachten gemäß § 9 Abs. 1 BRAO nicht geäußert, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 9 Abs. 2 BRAO hatte sich nicht darauf bezogen, und dieser Versagungsgrund war vom Gericht auch nicht geprüft worden (vgl. Henssler, in: Henssler/Prütting, § 9 BRAO Rdnr. 9).
Dem Antragsteller ist zwar darin recht zu geben, daß gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAO in dem Gutachten der Rechtsanwaltskammer zu allen Versagungsgründen, die in der Person des Bewerbers vorliegen können, gleichzeitig Stellung genommen werden soll. Damit soll aber nur die Konzentration auf ein einziges Gutachten erreicht und die Erstellung von Nachtragsgutachten, die zu einer Verzögerung führen könnten, vermieden werden (amtl. Begründung, zitiert nach Feuerich/Braun, BRAO 4. Aufl. § 8 Rdnr. 11). Die Bestimmung bezweckt nicht, solche Versagungsgründe, zu denen die Rechtsanwaltskammer in ihrem Gutachten nicht Stellung genommen hat, als Grundlage für die Vorenthaltung der begehrten Zulassung auszuschließen.
Die Zweifel, die der Antragsteller an dem Sinn eines gerichtlichen Verfahrens gemäß § 9 Abs. 2 BRAO äußert, wenn die Landesjustizverwaltung hernach auf Lebenssachverhalte zurückgreifen kann, aus denen die Rechtsanwaltskammer keinen Versagungsgrund hergeleitet hatte, sind unberechtigt. Sie wären eher dann angebracht, wenn sich die Landesjustizverwaltung auf einen – zunächst zurückgestellten – Versagungsgrund nicht mehr stützen könnte, obwohl die Rechtsanwaltskammer ihn nicht geltend gemacht hat. In einem solchen Fall hat das von der Rechtsanwaltskammer abgegebene Gutachten keine Sperrwirkung (BGH, Beschl. v. 19. Juni 1995 - AnwZ (B) 6/95, BRAK-Mitt. 1995, 208, 209; Odersky, Festschrift für Horst Sendler 1991 S. 539, 542; Feuerich/Braun, § 9 BRAO Rdnr. 1).
Eine andere Frage ist es, ob die Landesjustizverwaltung, wenn sie auf den anderen Versagungsgrund zurückgreifen will, erneut die Rechtsanwaltskammer nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BRAO beteiligen und das Verfahren solange aussetzen muß. Diese Frage ist zu verneinen, falls die Landesjustizverwaltung schon bei der ersten Beteiligung der Rechtsanwaltskammer auch den Sachverhalt unterbreitet hatte, den sie jetzt zur Grundlage der Ablehnung machen will, und die Rechtsanwaltskammer somit Gelegenheit gehabt hat, sich auch zu diesem Versagungsgrund zu äußern (BGH, Beschl. v. 19. Juni 1995, aaO; Feuerich/ Braun, § 8 BRAO Rdnr. 14). Das war hier der Fall. Die Antragsgegnerin hatte, als sie die Rechtsanwaltskammer um ein Gutachten zu dem Zulassungsgesuch des Antragstellers bat, die das Verfahren wegen Untreue betreffenden Akten der Staatsanwaltschaft beigefügt.
2. Die Ansicht des Anwaltsgerichtshofs, der Antragsteller sei aufgrund der Verurteilung auch heute noch unwürdig, ist zutreffend.
Ein Bewerber, der sich als früherer Rechtsanwalt einer Untreue zu Lasten seiner Mandanten schuldig gemacht hat, ist in der Regel als unwürdig anzusehen, den Anwaltsberuf auszuüben (BGH, Beschl. v. 25. April 1988 - AnwZ (B) 59/87, BRAK-Mitt. 1988, 271; v. 25. Januar 1999 - AnwZ (B) 47/98). Zwar können auch solche schwerwiegenden Verstöße durch späteres langjähriges Wohlverhalten und andere Umstände an Bedeutung verlieren. Es bedarf aber regelmäßig eines längeren Zeitraums nach Ablauf der strafrechtlichen Bewährungszeit, um zuverlässig beurteilen zu können, ob dem Antragsteller die Aufgabe eines unabhängigen Beraters und Vertreters der Rechtsuchenden (§ 3 BRAO) wieder anvertraut werden kann (BGH, Beschl. v. 1. März 1993 - AnwZ (B) 49/92, BRAK-Mitt. 1993, 102, 103; v. 25. Januar 1999 - AnwZ (B) 47/98). Seit dem Ablauf der Bewährungszeit am 11. Januar 1997 und dem am 22. Januar 1997 ausgesprochenen Straferlaß ist noch keine ausreichende Zeit vergangen. Dem Beschwerdeführer ist unbenommen, nach Ablauf von acht Jahren einen neuen Zulassungsantrag zu stellen.
Unterschriften
Geiß, Fischer, Basdorf, Ganter, Kieserling, Müller, Christian
Fundstellen
Haufe-Index 539913 |
NJW 1999, 3048 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1999, 914 |
AnwBl 1999, 696 |
MDR 1999, 1229 |
BRAK-Mitt. 1999, 269 |