Leitsatz (amtlich)
a) Der Rechtsweg zu den Zivilgerichten ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil nach dem Vortrag des Klägers die Möglichkeit, nicht aber die Gewißheit besteht, daß das umstrittene Grundstück Gegenstand einer Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes gewesen ist.
b) Ist ein von einer Enteignungsmaßnahme (formell) nicht erfaßtes Grundstück gleichwohl im Sinne des Vermögensgesetzes als enteignet anzusehen, ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten für Ansprüche aus dem Eigentum dann nicht ausgeschlossen, wenn die Enteignung nach dem Aufbaugesetz der DDR hätte erfolgen müssen; dem Bestandsschutz des Volkseigentums (Art. 237 § 1 EGBGB) kommt Bedeutung erst für die Begründetheit der Klage zu.
Normenkette
GVG § 13; VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a, b; EGBGB Art. 237 § 1
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 2 O 178/98) |
OLG Hamm (Aktenzeichen 5 W 93/98) |
Tenor
Die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Juni 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 50.000 DM.
Gründe
I.
Die Kläger sind Erbeserben der 1948 verstorbenen S. B.. Diese war im Grundbuch von O. Blatt 1689 als Eigentümerin einer Reihe von Grundstücken, darunter des Grundstücks Flurstück 321/1, eingetragen. Die Grundstücke wurden 1952 unter staatliche Verwaltung gestellt. Aufgrund eines Inanspruchnahmebescheids vom 6. November 1956 nach dem Aufbaugesetz der DDR wurde am 21. März 1957 ein Aufbauvermerk in das Grundbuch eingetragen. Dieser hatte das Grundstück Flurstück 321/1 nicht zum Gegenstand. Gemäß Ersuchen des Rates des Kreises vom 22. Oktober 1985 wurde am 29. Oktober 1985 S. B. als Eigentümerin im Grundbuch gelöscht und Eigentum des Volkes vermerkt. Ein von den Klägern vorgelegtes Ersuchen um Eintragung des Volkseigentums (Rechtsträgernachweis) vom 22. Oktober 1985 hat das Grundstück Flurstück 1593/321 zum Gegenstand, auf das sich der Aufbauvermerk (neben anderen Flächen) bezog. Im neu angelegten Grundbuch Blatt 121 wurde das bisherige Grundstück Flurstück 321/1 aufgrund einer zurückliegenden Neuvermessung zusammen mit anderen Flächen als Flurstück 70/5 vorgetragen. Eingetragener Rechtsträger war der VEB Bandstahlkombinat E.-Kaltwalzwerk O., aus dem die K. O. GmbH (KSO) hervorgegangen ist, die später mit der Beklagten verschmolzen wurde. Die KSO verkaufte am 18. Juni 1993 u.a. das Grundstück Flurstück 70/5 an einen Verbrauchermarkt. Die Kläger verlangen die Auskehrung des auf die Fläche des ehemaligen Grundstücks Flurstück 321/1 entfallenden Kaufpreisanteils.
Das Landgericht hat nach Rüge der Beklagten im Vorabverfahren die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Zivilgerichten bejaht. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die zugelassene weitere Beschwerde der Beklagten.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 17 a Abs. 4 GVG, § 577 ZPO), aber nicht begründet.
1. a) Das Oberlandesgericht geht mit der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 129, 112; für Enteignungen auch Urt. v. 10. November 1995, V ZR 179/94, WM 1996, 89; ferner Urt. v. 14. Februar 1997, V ZR 312/95, WM 1997, 775) davon aus, daß das Vermögensgesetz zivilrechtliche Ansprüche nur dann verdrängt, wenn ein Restitutionstatbestand nach diesem Gesetz erfüllt ist. Zutreffend läßt es auch für den Ausschluß des Rechtswegs zu den Zivilgerichten (BGHZ 118, 34, 44; Beschl. v. 17. Juni 1993, V ZB 31/92, WM 1993, 1554) nicht genügen, daß nach dem maßgeblichen Vortrag des Klägers ein Restitutionstatbestand (nur) möglicherweise vorliegt. Ein die Ausschlußwirkung des Vermögensgesetzes begründendes tatsächliches Vorbringen stellt aus der Sicht des sachlichen Rechts gegenüber den anspruchsbegründenden Tatsachen eine (rechtshindernde) Einwendung dar (Senat, Urt. v. 9. Juli 1993, V ZR 262/91, WM 1993, 1643). Dies schlägt auch auf die verfahrensrechtliche Frage des Ausschlusses des Rechtswegs durch. Der für den bürgerlich-rechtlichen Anspruch, hier u.a. § 816 BGB, begründete Rechtsweg (§ 13 GVG) entfällt nur, wenn die verfahrensrechtliche Ausschlußwirkung feststeht.
b) Die Würdigung des tatsächlichen Vorbringens des Klägers, daß sich ein die Enteignungstatbestände des § 1 Abs. 1 Buchst. a und b VermG erfüllender Enteignungswille nicht feststellen lasse, unterliegt rechtlich keinen Bedenken (§ 286 ZPO). Nach der Rechtsprechung des Senats stellten der Rechtsträgernachweis, der Antrag auf Eintragung des Volkseigentums in das Grundbuch und dessen Vollzug als solche keine Instrumente der Enteignung dar (Urt. v. 7. Juli 1995, V ZR 46/94, WM 1995, 1848; v. 10. November 1995, V ZR 179/94, aaO; BGHZ 132, 245, 253; Urt. v. 30. April 1999 und 21. Mai 1999, V ZR 409/96 und V ZR 391/97 unv.). Sie können allerdings, wie der Senat auch hervorgehoben hat, Anzeichen eines konstitutiven, von der herangezogenen Rechtsgrundlage gelösten Enteignungswillens sein (Beschl. v. 30. Oktober 1997, V ZB 8/96, WM 1998, 83; Urt. v. 24. April 1998, V ZR 22/97, VIZ 1998, 475; v. 16. Oktober 1998, V ZR 65/97, WM 1999, 192). Hiervon ist der Senat vor allem in Fällen ausgegangen, in denen von besatzungshoheitlichen Enteignungslisten nicht erfaßte Vermögenswerte von Stellen der SBZ oder Organen der DDR, unmittelbar nach deren Gründung, in freier, von der angegebenen Rechtsgrundlage gelöster, Machtentfaltung konfisziert worden waren. In diesem Zusammenhang hat der Senat der dauernden Inbesitznahme des Objekts durch den Staat und der Wahrnehmung der Eigentümerbefugnisse durch diesen eine besondere Bedeutung zuerkannt. Das Oberlandesgericht war indessen rechtlich nicht gehalten, diesen Umständen für den von ihm zu beurteilenden Sachverhalt das gleiche Gewicht beizumessen. Der Schluß von der tatsächlichen Inbesitznahme auf einen, von den Voraussetzungen des Rechts gelösten Enteignungswillen liegt unter den Verhältnissen nach der Konsolidierung der DDR und dem Ausbau der sozialistischen Gesetzlichkeit, die hier zur Beurteilung stehen, nicht in gleicher Weise nahe, wie vordem. Raum für das Eigentum respektierende Rechtsgründe der staatlichen Nutzung oder, was das Oberlandesgericht im Streitfalle für möglich hält, für ein nicht näher aufgeklärtes Unterbleiben eines enteignenden Zugriffs, ist hier vorhanden. Das Oberlandesgericht ist in diesem Zusammenhang zu Recht davon ausgegangen, daß die staatliche Verwaltung nicht und die Inanspruchnahme nach § 14 AufbauG zunächst nicht zu einem Entzug des Eigentums führten. Dies stimmt mit der Auffassung der am Restitutionsverfahren der Kläger beteiligten Ämter überein. Der Vortrag der Kläger, die umstrittene Fläche (ehemaliges Flurstück 321/1) sei zudem nicht Gegenstand der Inanspruchnahme geworden, entspricht dem Inhalt des Aufbauvermerks. Die Eintragung des Volkseigentums im Grundbuch ging nach dem von den Klägern vorgelegten Dokument auf ein Ersuchen zurück, das ein anderes Grundstück zum Gegenstand hatte. Bei diesem Sachstand konnte das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei von der Möglichkeit ausgehen, daß die streitige Fläche nicht nach dem Aufbaugesetz in Anspruch genommen und in der Folge auch nicht im Zuge des Entschädigungsgesetzes vom 25. April 1960 (GBl I S. 257) entzogen wurde. Der von der Beklagten vorgelegte Rechtsträgernachweis vom 20. Mai 1963, dessen Echtheit die Kläger, soweit ersichtlich, nicht in Abrede gestellt haben, hat zwar das damals (nur) im Kataster ausgewiesene Flurstück 70/5 zum Gegenstand. Sie stützt sich aber auf die Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz, die zwar für andere Teile des Flurstücks, nicht aber für das damals noch bestehende Grundstück Flurstück 321/1 zutraf. Auch zu einer Dokumentation im Grundbuch hat der Nachweis vom 20. Mai 1963 nicht geführt.
2. Der Hinweis der sofortigen Beschwerde auf den vom Bundesverwaltungsgericht zu § 1 Abs. 1 Buchst. a und b VermG entwickelten „faktischen” Enteignungsbegriff verhilft dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg. Der Senat braucht sich hierbei nicht damit auseinanderzusetzen, ob und inwieweit das Bundesverwaltungsgericht, das darauf abstellt, daß der Eigentümer unbeachtet der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Maßnahme in einer nach den Verhältnissen der DDR unangreifbaren Weise aus seinem Eigentum verdrängt wurde (VIZ 1996, 206; 97, 641), von seiner Rechtsprechung abweicht. Wäre das Grundstück Flurstück 321/1 nach den dargelegten Kriterien als enteignet zu betrachten, so läge eine Entziehung vor, die vermögensrechtlich einer Enteignung nach dem Aufbaugesetz gleichzustellen wäre. Denn die unterbliebene Einbeziehung in eine Enteignungsmaßnahme nach diesem Gesetz kann, wenn sie aus faktischen Gründen der Entziehung gleichgestellt werden soll, vermögensrechtlich keine anderen Folgen auslösen als diese. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 95, 284 und 289), der sich der Senat angeschlossen hat (BGHZ 129, 112), werden Enteignungen nach dem Aufbaugesetz wie nach dem Baulandgesetz, von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, von den Tatbeständen des § 1 Abs. 1 Buchst. a und b VermG nicht erfaßt. Dies gilt auch dann, wenn, wie bei der „faktischen” Enteignung, im Einzelfall eine Entschädigung nicht zugeflossen ist. Gegenstand der Restitution ist in diesem Falle nur die ausgebliebene Entschädigung. Der damit entfallenen Möglichkeit, bei fehlgeschlagenen Regelenteignungen zivilrechtlichen Ansprüchen durch den sozialverträglichen Ausgleich des Vermögensgesetzes Grenzen zu setzen (Senat BGHZ 118, 34; 120, 198 und 204), hat das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz durch den Bestandsschutz zugunsten des Volkseigentums (Art. 237 § 1 EGBGB) Rechnung getragen. Zutreffend geht aber das Oberlandesgericht davon aus, daß sich der Bestandsschutz auf das materielle Recht beschränkt, den durch den Rückzug des Restitutionsrechts aus den Regelenteignungen freigemachten Zugang zu den Zivilgerichten aber nicht erneut verschließt.
Unterschriften
Wenzel, Lambert-Lang, Tropf, Klein, Lemke
Fundstellen
Haufe-Index 510856 |
NJW 2001, 683 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 2318 |
ZfIR 2000, 989 |
NJ 2001, 39 |