Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts bei der Rechtsbeschwerde unterliegenden Beschlüssen
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Entscheidung eines Landgerichts unterliegt im Rechtsbeschwerdeverfahren bereits von Amts wegen der Aufhebung, wenn den Mindestanforderungen an die Begründung nicht genügt ist (§ 576 III, § 547 Nr. 6 ZPO).
2. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit gesetzmäßigen Gründen versehen. Fehlen tatsächliche Feststellungen, so ist das Rechtsbeschwerdegericht zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne. Sind neue rechtliche Gesichtspunkte aufgetreten, muss sich das Beschwerdegericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung damit auseinandersetzen.
3. Bei einer solchen Sachlage muss die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden, weil angesichts einer lückenhaften Begründung der BGH zu einer eigenen Entscheidung außerstande ist.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; InsVV §§ 3, 8 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 10.06.2010; Aktenzeichen 5 T 211/08) |
AG Potsdam (Entscheidung vom 13.12.2007; Aktenzeichen 35 IN 615/01) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 10. Juni 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 13.528,20 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Auf den Antrag der D. Geschäftsstelle B. vom 11. März 2001 wurde am 10. August 2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der weitere Beteiligte zum Verwalter bestellt.
Rz. 2
Das Amtsgericht hat die Vergütung des weiteren Beteiligten als endgültiger Verwalter antragsgemäß auf insgesamt 35.384,64 EUR festgesetzt. Die dagegen von dem Schuldner eingelegte Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner das Begehren, die Vergütung auf nicht mehr als 21.856,44 EUR festzusetzen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 64 Abs. 3 Satz 1 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 4
1.
Das Landgericht hat übereinstimmend mit dem Amtsgericht ausgeführt, bei der Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV seien von den Einnahmen in Höhe von 122.203,87 DM Kosten der Betriebsfortführung von 91.490,36 DM abzuziehen, was einen Betrag von 15.703,57 EUR (30.713,51 DM) ergebe. Die weiteren Einnahmen nach der Währungsumstellung von 608.361,48 EUR seien um die Kosten der Betriebsfortführung von 548.762,04 EUR auf 59.599,44 EUR zu ermäßigen. Auf die Berechnungsgrundlage von 75.303,01 EUR sei der einfache Regelsatz anzusetzen, der zu einer Nettovergütung von 18.021,21 EUR führe. Die Gesamtauslagen seien nach § 8 Abs. 3 InsVV auf 11.713,78 EUR zu veranschlagen. Im Blick auf die vor dem 1. Januar 2004 liegende Insolvenzeröffnung komme eine Deckelung der Pauschale nach § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV nF nicht in Betracht.
Rz. 5
2.
Die Entscheidung des Landgerichts unterliegt bereits von Amts wegen der Aufhebung (BGH, Beschluss vom 5. März 2009 – IX ZB 141/08, WM 2009, 856 Rn. 4 mwN), weil den Mindestanforderungen an die Begründung nicht genügt ist (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO).
Rz. 6
a)
Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit gesetzmäßigen Gründen versehen. Fehlen tatsächliche Feststellungen, so ist das Rechtsbeschwerdegericht zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne. Sind neue rechtliche Gesichtspunkte aufgetreten, muss sich das Beschwerdegericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung damit auseinandersetzen (BGH, aaO Rn. 5; Beschluss vom 12. April 2011 – VI ZB 31/10, Rn. 8 zVb).
Rz. 7
b)
Die Mindestanforderungen an die Darstellung des Sachverhalts und die rechtliche Begründung sind in vorliegender Sache nicht gewahrt.
Rz. 8
aa)
Die angefochtene Entscheidung, die sich sogleich der Frage der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde zuwendet, enthält bereits abgesehen von der konkreten Gebührenberechnung keine aus sich heraus verständliche Sachverhaltsdarstellung. Auch wird nicht ersichtlich, inwieweit der Schuldner die Erstentscheidung des Amtsgerichts bekämpft.
Rz. 9
bb)
Überdies setzt sich das Beschwerdegericht – wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt – mit den von dem Schuldner im Beschwerdeverfahren geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkten nicht auseinander. Die rechtliche Begründung erschöpft sich im Wesentlichen in der Wiederholung der von dem Amtsgericht vorgenommenen Gebührenberechnung.
Rz. 10
Der Schuldner hat gerügt, die Kosten der Betriebsfortführung seien mit 548.762,04 EUR zu gering bemessen. Es sei nicht ersichtlich, wieso sich die von dem Beteiligten zunächst mit 583.532,92 EUR berechneten Kosten auf diesen Betrag verringert hätten. Ferner hat der Schuldner beanstandet, Kosten der Steuerberatung seien der Betriebsfortführung zuzuordnen; Wasser- und Abwassergebühren sowie Grundsteuern müssten in einen betrieblichen und in einen privaten Teil aufgespalten werden. Auf diese Rügen geht die angefochtene Entscheidung unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG überhaupt nicht ein.
Rz. 11
Schließlich hat sich der Schuldner darauf berufen, im Streitfall sei ein Abschlag nach § 3 Abs. 2 lit. a InsVV gerechtfertigt, weil der weitere Beteiligte bereits als vorläufiger Verwalter in dem Verfahren tätig gewesen sei. Der angefochtenen Entscheidung kann schon nicht entnommen werden, dass überhaupt ein vorläufiger Verwalter eingesetzt worden war. Auf den regelmäßig vorzunehmenden Abschlag geht das Beschwerdegericht nicht ein.
Rz. 12
c)
Bei dieser Sachlage muss die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden, weil der Senat angesichts der lückenhaften Begründung zu einer eigenen Entscheidung außerstande ist. Für das weitere Verfahren ist auf Folgendes hinzuweisen:
geblich, ob tatsächlich Ausgaben während und für die Betriebsfortführung angefallen sind. Soweit Ansprüche auf diese Ausgaben durch vom Insolvenzverwalter abgeschlossene Verträge oder durch seine Erfüllungswahl begründet wurden, besteht hieran kein Zweifel. Soweit es sich um Verbindlichkeiten handelt, die aus Dauerschuldverhältnissen entstehen, die noch vom Schuldner begründet worden und nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten geworden sind, weil deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss, gilt grundsätzlich nichts anderes. Deshalb müssen auch die während der Unternehmensfortführung anfallenden laufenden Kosten, mit denen der Gewinn erwirtschaftet werden soll, im Rahmen der Einnahmen -/Ausgabenrechnung als Ausgaben berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – IX ZB 179/07, WM 2008, 2299 Rn. 15 ff; vom 9. Juni 2011 – IX ZB 47/10, Rn. 8 ff). Aus § 1 Abs. 2 Nr. 4 InsVV ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß nur ein Teil der Ausgaben berücksichtigt werden soll. Maßgebend ist allein, ob die Gegenleistung für die Unternehmensfortführung verwendet wurde (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008, aaO, Rn. 12 ff, 23; vom 9. Juni 2011 – IX ZB 47/10, Rn. 9). Dabei obliegt es dem Verwalter, eine Abgrenzung der für die Unternehmensfortführung erforderlichen Kosten gegenüber denjenigen vorzunehmen, die nicht im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung entstanden sind (FK-InsO/Lorenz, 6. Aufl., § 1 InsVV Rn. 33). Auf dieser Grundlage wird das Beschwerdegericht im Blick auf das Steuerberatungshonorar, die Grundsteuer und die Wasserversorgung eine Abschichtung vorzunehmen haben, inwieweit diese Ausgaben durch die Unternehmensfortführung angefallen sind.
Rz. 14
bb)
Zu- und Abschlagstatbestände gemäß § 3 InsVV sind von dem Tatrichter im Einzelnen zu bewerten. Er muss in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen der einzelnen Tatbestände und einer aufs Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder den Gesamtabschlag festlegen (BGH, Beschluss vom 1. März 2007 – IX ZB 280/05, ZIP 2007, 639 Rn. 14).
Rz. 15
cc)
Auf den vorliegenden Fall findet § 8 Abs. 3 InsVV in der bis zum 6. Oktober 2004 geltenden Fassung Anwendung, weil das Insolvenzverfahren vor dem 1. Januar 2004 eröffnet worden ist (§ 19 Abs. 1 InsVV). Soweit die Kostenpauschale in Rede steht, wird sich das Beschwerdegericht mit der Rüge des Schuldners zu befassen haben, der Beteiligte habe das Verfahren ohne sachlichen Grund verzögert. Der Auslagenpauschbetrag nach § 8 Abs. 3 InsVV kann nur bis zu dem Zeitpunkt verlangt werden, zu dem bei ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens die insolvenzrechtlich erforderliche Tätigkeit abgeschlossen worden wäre (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 – IX ZB 255/03, WM 2004, 1881, 1882; vom 2. Februar 2006 – IX ZB 167/04, WM 2006, 630, 632 f; vom 30. März 2006 – IX ZB 282/04, BGH-Report 2006, 998 Rn. 6). Die insoweit von dem Beschwerdegericht angeführten Tätigkeiten, deren Durchführung keinen besonderen Zeitaufwand erforderte, lassen nicht konkret erkennen, warum das Verfahren mehrere Jahre nach Abschluss der Betriebsfortführung nicht abgeschlossen werden konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 2935028 |
NZI 2011, 714 |
ZInsO 2011, 1615 |
ZInsO 2011, 1615, 1616 |