Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 20.11.2020; Aktenzeichen 2 Ks 6170 Js 245370/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 20. November 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 2 der Urteilsgründe,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Dauer des Vorwegvollzugs.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit besonders gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit Sachbeschädigung” (Tat 2) sowie wegen Nötigung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe getroffen. Es hat ferner Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge versagt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen.
Rz. 3
2. Die Sachrüge hat bei der Überprüfung der Schuldsprüche sowie der Strafaussprüche hinsichtlich der Taten 1 und 3 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 4
3. Hingegen hält die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke im Fall 2 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiserwägungen zu dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein sind lückenhaft.
Rz. 5
a) Das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26, 27; Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19, NStZ 2020, 348, 349). An einem Ausnutzungsbewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen (BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat.
Rz. 6
b) Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob der Täter mit dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat, ist Tatfrage und unterliegt einer nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. In den Urteilsgründen sind die für und gegen die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins sprechenden Beweisanzeichen regelmäßig in einer Weise darzulegen, dass die Überprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung auf Rechtsfehler möglich ist.
Rz. 7
c) Gemessen hieran ist das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein nicht tragfähig belegt. Es fehlt an einer umfassenden Erörterung aller für und gegen das Ausnutzungsbewusstsein sprechenden Beweisanzeichen.
Rz. 8
Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte, der in der Innenstadt von L. mit dem von ihm gesteuerten LKW mit dem Ziel, einen aufsehenerregenden Unfall herbeizuführen, absichtlich auf eine verkehrsbedingt wartende Fahrzeugkolonne auffuhr, die Arg- und Wehrlosigkeit der Tatopfer in ihrer Bedeutung für seine Tatausführung mit einem Blick erfasste. Es hat jedoch Beweisanzeichen, die gegen das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein sprechen könnten, nicht erkennbar in den Blick genommen. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Anlass zu Zweifeln an einem bewussten Ausnutzen der Situation ergaben sich zum einen aus den Angaben des Zeugen M., der von einem „sehr auffälligen Blick” des Angeklagten und dessen fehlender Reaktion auf verbale Ansprache berichtete […]. Zum anderen hat die Kammer – anders als bei den Ausführungen zum Tötungsvorsatz […] – nicht berücksichtigt, dass sich die Tat spontan entwickelt hat, der Angeklagte unter dem enthemmenden Einfluss von Cannabis stand und aufgrund dessen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen ist […]. Eine Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen des Ausnutzungsbewusstseins lässt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.”
Rz. 9
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
Rz. 10
d) Der Darlegungsmangel lässt den Schuldspruch wegen tateinheitlichen versuchten Mordes unberührt. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel festgestellt und beweiswürdigend tragfähig belegt.
Rz. 11
e) Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat bei der Bemessung der Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte zwei Mordmerkmale verwirklichte. Der Senat kann bei dieser Sachlage ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen. Der Senat hebt den Strafausspruch daher mit den zugehörigen Feststellungen auf.
Rz. 12
4. Die Aufhebung der Einzelstrafe von acht Jahren und sechs Monaten im Fall 2 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der Gesamtstrafe und der Entscheidung über den Vorwegvollzug zur Folge. Demgegenüber sind die Maßregelanordnungen von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben.
Rz. 13
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Sost-Scheible, RiBGH Bender ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible, Quentin, Bartel, Lutz
Fundstellen
Haufe-Index 14789977 |
NStZ-RR 2021, 374 |
NJW-Spezial 2021, 664 |