Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 25.08.2020; Aktenzeichen 610 KLs 6/20 jug. verb. 610 AR 1/20 jug.) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten I. und A. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. August 2020, auch soweit es den Mitangeklagten Y. betrifft,
in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass wie folgt schuldig sind:
aa) die Angeklagten I. und Y.
- • des Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in 97 Fällen (Fälle 1 bis 21, 23 bis 47, 49 bis 57, 59 bis 61, 63 bis 66, 68, 69, 71, 72, 74 bis 83, 86 bis 96, 98 und 109 bis 117 der Urteilsgründe),
- • des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung und zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung beweiserheblicher Daten in sechs Fällen (Fälle 126 bis 129, 132 und 135 der Urteilsgründe),
- • des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung und zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung beweiserheblicher Daten in weiterer Tateinheit mit versuchtem Betrug in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten (Fälle 22, 48, 58, 62, 67, 73, 84, 85, 97, 99 bis 107, 120, 121, 122, 124, 125, 130, 131 und 133 der Urteilsgründe),
- • des versuchten Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in vier Fällen (Fälle 70, 108, 118 und 119 der Urteilsgründe) sowie
- • des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung und zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung beweiserheblicher Daten in drei Fällen (Fälle 123, 134 und 136 der Urteilsgründe);
bb) der Angeklagte A.
- • der Beihilfe zum Betrug in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in sechs Fällen (Fälle 126 bis 129, 132 und 135 der Urteilsgründe) und
- • dreier Fälle der Beihilfe zum versuchten Betrug in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten, davon in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen (Fälle 130, 131 und 133 der Urteilsgründe sowie Fälle 134 und 136 der Urteilsgründe);
in den Strafaussprüchen dahin geändert, dass
aa) die gegen den Angeklagten I. in den Fällen 22, 48, 58, 62, 67, 73, 84, 85, 97, 99 bis 107, 120, 121, 122, 125, 130, 131 und 133 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und
bb) die gegen den Angeklagten A. in den Fällen 131 und 133 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen
aufgehoben werden; diese entfallen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten I. und A. sowie die Revision des Angeklagten M. werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten I. und Y. wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in 97 Fällen, versuchten Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in 25 Fällen, gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung und zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung beweiserheblicher Daten in sechs Fällen sowie wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung und zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung beweiserheblicher Daten in acht Fällen schuldig gesprochen. Den Angeklagten I. hat es dafür zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen; gegen den Angeklagten Y. hat es auf eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den Angeklagten A. hat das Landgericht wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in sechs Fällen sowie wegen versuchten Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen den Angeklagten M. hat das Landgericht wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug und zur Fälschung beweiserheblicher Daten in einem Fall sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten erkannt. Daneben hat es Einziehungsentscheidungen getroffen und einen weiteren Angeklagten freigesprochen.
Rz. 2
Gegen ihre Verurteilungen wenden sich die Angeklagten I., A. und M. mit ihren Rechtsmitteln. Die Revisionen der letzten beiden Beschwerdeführer werden jeweils nur mit der Sachrüge geführt, der Angeklagte I. beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel der Angeklagten I. und A. haben – auch zugunsten des nichtrevidierenden Mitangeklagten Y. – mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweisen sie sich, wie die Revision des Angeklagten M., als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
1. Den von dem Angeklagten I. erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt. Zu der Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts bemerkt der Senat ergänzend:
Rz. 4
Es kann letztlich offen bleiben, ob – wofür mit der Gegenerklärung des Beschwerdeführers freilich Einiges spricht – mit der Beweisbehauptung, das bei dem Angeklagten Y. sichergestellte Mobiltelefon sei von diesem vor Juli 2017 in Betrieb genommen worden, eine hinreichend konkret bezeichnete Beweistatsache vorliegt. Denn auch bei Annahme eines Beweisantrags im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO wäre die Begründung der Strafkammer, mit der sie den Antrag wegen Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache zurückgewiesen hatte, zureichend. Sie hat den von der Verteidigung intendierten Schluss, der Angeklagte sei nur in einem Teil der von der Anklage umfassten Fälle an den Taten beteiligt gewesen, nicht ziehen wollen; dabei ist sie den von der Rechtsprechung an eine Ablehnung eines Beweisantrags wegen dieses Ablehnungsgrunds zu stellenden Anforderungen gerecht geworden. Soweit die Revision dies in Abrede stellt, verkennt sie, dass die ausreichende Begründung umso knapper ausfallen kann, je augenfälliger die Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung ist (LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 226). Angesichts der bestehenden und vom Landgericht aufgezeigten Möglichkeiten, dass das Mobiltelefon nicht das einzige Mittel zur Kommunikation zwischen dem Nichtrevidenten und dem Angeklagten I. gewesen sein muss und – selbst wenn es so gewesen wäre – weitere inkriminierende Chats auch gelöscht worden sein könnten, bedurfte es keiner näheren Erläuterung, warum die Strafkammer die auch von ihr als möglich angesehene Schlussfolgerung nicht ziehen wollte. Vielmehr lag auf der Hand, dass dies vor dem Hintergrund der weiteren Beweisaufnahme stand, in deren Rahmen der Mitangeklagte Y. bekundet hatte, in allen Fällen stets nur einen Ansprechpartner gehabt zu haben.
Rz. 5
2. Die auf die Sachrügen der Angeklagten I., A. und M. veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten M. ergeben. Bezüglich der Angeklagten I. und A. sowie – in Anwendung von § 357 Satz 1 StPO – bezüglich des nicht revidierenden Mitangeklagten Y. erweist sich jedoch die von der Strafkammer vorgenommene konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten als zulasten der Angeklagten rechtsfehlerhaft.
Rz. 6
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Revision des Angeklagten I. insoweit angeführt, dass die Frage, ob einzelne Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden ist. Maßgeblich ist dabei der Umfang des jeweils erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten – soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt – als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben. Der Generalbundesanwalt hat hierzu betreffend den Angeklagten I. und den Nichtrevidenten Y. ausgeführt:
„Dagegen überzeugt der Angriff des Beschwerdeführers zu der konkurrenzrechtlichen Einordung der Fälle 22‚ 48, 58, 62, 67, 73, 84, 85, 97, 99 bis 107, 120, 121, 122, 124, 125, 130, 131 und 133 (vgl. RB S. 25 f.). Hier beschränkte sich der Tatbeitrag des Angeklagten auf seine im Vorfeld erklärte Bereitschaft, Paketlieferungen anzukündigen sowie deren Annahme und spätere Abholung sicherzustellen. Die aufgezählten Einzelfälle hätten demnach als (einzelner) weiterer Fall des versuchten Betrugs abgeurteilt werden müssen.”
Rz. 7
Dem schließt sich der Senat an. Der gleiche Fehler ist der Strafkammer darüber hinaus in den Fällen 130, 131 und 133 auch betreffend den Angeklagten A. unterlaufen, so dass auch insoweit der Schuldspruch zu korrigieren ist.
Rz. 8
Der Senat hat die Änderung der Schuldsprüche in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst vorgenommen; § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, denn es ist ausgeschlossen, dass sich die Angeklagten wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
Rz. 9
Die Änderung der Schuldsprüche zieht betreffend die Angeklagten I. und A. grundsätzlich die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafen nach sich. Der Senat hat die im Fall 124 gegen den Angeklagten I. verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten und die im Fall 130 gegen den Angeklagten A. verhängte Einzelstrafe von sechs Monaten als Strafen für die nunmehr tateinheitlich zusammengefassten Fälle bestehen lassen, denn es ist angesichts des (deutlich) höheren Schuldgehalts der nunmehr mit einer Einzelstrafe zu ahndenden tateinheitlich zusammentreffenden Fälle ausgeschlossen, dass das Landgericht bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Beurteilung auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte.
Rz. 10
Die gegen die Angeklagten I. und A. verhängten Gesamtfreiheitsstrafen bleiben trotz der teilweisen Aufhebung von Einzelstrafen bestehen, denn der Senat schließt aus, dass die Strafkammer bei Berücksichtigung der aufgezeigten Konkurrenzproblematik zu milderen Gesamtfreiheitsstrafen gelangt wäre, zumal sich die konkurrenzrechtliche Bewertung auf den Unrechts- und Schuldgehalt des Tuns der Angeklagten nicht auswirkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2020 – 5 StR 339/20 Rn. 4).
Rz. 11
b) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ist die Änderung des Schuldspruchs nach § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten Y. zu erstrecken, weil der aufgezeigte Rechtsfehler auch bei ihm vorliegt. In den gleichen Fällen wie bei dem Angeklagten I. hielt sich der Angeklagte Y. weder in der Wohnung zur Entgegennahme von Paketen bereit noch nahm er solche tatsächlich an. Sein Tatbeitrag erschöpfte sich ebenso allein in der von ihm zuvor erklärten Bereitschaft, für Liefermitteilungen des Angeklagten I. und die anschließende Entgegennahme der Pakete zur Verfügung zu stehen. Auch hier steht § 265 Abs. 1 StPO der Schuldspruchkorrektur nicht entgegen.
Rz. 12
Die Änderung des Schuldspruchs führt nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht angesichts des unveränderten Schuldumfangs auf eine mildere Jugendstrafe erkannt hätte.
Unterschriften
Cirener, Gericke, Mosbacher, Resch, von Häfen
Fundstellen
Dokument-Index HI14721891 |