Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 17.03.2014) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 17. März 2014 im Ausspruch über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und der Körperverletzung freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung nach § 64 StGB zuerst zu vollstrecken ist. Es hat außerdem eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte der Nebenklägerin, die ihm auf dem Fahrrad fahrend entgegenkam, eine Jutetasche mit leeren Bierflaschen derart an den Kopf, dass diese zwei jeweils zwei Zentimeter lange Platzwunden im Bereich der linken Augenbraue sowie eine Halswirbelverstauchung und in der Folge eine dauerhaft sichtbare Narbe oberhalb der Augenbraue erlitt. Einige Tage vorher schon hatte der Angeklagte einer unbekannt gebliebenen älteren Dame ebenfalls auf offener Straße mit seinem Ellenbogen gezielt ins Gesicht geschlagen, wodurch die Frau zu Boden stürzte und vor Schmerzen weinte. Bei beiden Taten war der Angeklagte alkoholisiert und befand sich in einem subakuten Schub einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie, die zu inhaltlichen und formalen Denkstörungen sowie zu aggressiven Impulsdurchbrüchen führte. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war deshalb mit Sicherheit erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar ausgeschlossen. In vergleichbarer Weise war der Angeklagte, der aufgrund einer Enttäuschung in einer lang zurückliegenden Beziehung einen Hass gegenüber Frauen entwickelt hatte, sowohl in der Vergangenheit als auch noch kurze Zeit nach den verfahrensgegenständlichen Taten gegenüber Frauen gewalttätig geworden und hatte dabei bei seinen Opfern teilweise erhebliche gesundheitliche Schäden verursacht.
Rz. 3
Sachverständig beraten hat die Strafkammer die Überzeugung gewonnen, dass bei dem Angeklagten ein „100%iges Rückfallrisiko in Bezug auf Gewalttaten gegenüber Frauen” besteht, dessen Ursache in erster Linie in der psychischen Erkrankung zu sehen ist und durch den Alkohol- und Drogenmissbrauch des Angeklagten sowie das völlige Fehlen eines stabilisierenden Umfelds verstärkt wird.
Rz. 4
2. Während die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) keinen Rechtsfehler aufweist, kann die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht bestehen bleiben. Das Landgericht war entgegen der Auffassung des gehörten Sachverständigen der Auffassung, beim Angeklagten sei die zur Anordnung der Maßregel erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB gegeben. Zwar ist ein Gericht nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann; insbesondere kann ihm das erstattete Gutachten die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten. Will es jedoch eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen musste, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2001 – 3 StR 333/01, NStZ-RR 2002, 259 bei Becker; Urteil vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106 jeweils mwN). Dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen. Das Landgericht referiert zwar den gehörten Sachverständigen dahingehend, dass eine Alkohol- und Drogenentwöhnungstherapie solange keinen Sinn mache, wie der Angeklagte nicht hinsichtlich seiner schizophrenen Erkrankung einsichtig und therapiewillig sei. Die eigene Auffassung rechtfertigt es im Anschluss daran allein mit der Überlegung, der Angeklagte sei hinsichtlich einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt therapiewillig und habe bislang eine solche Therapie noch nicht absolviert. Dies reicht vorliegend nicht aus, um das Abweichen von der Einschätzung des Sachverständigen über die hinreichende Erfolgsaussicht zu rechtfertigen. Die Strafkammer hat zudem außer Betracht gelassen, dass das Suchtproblem des Angeklagten auch im Rahmen der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden kann und zudem im Verlauf der Maßregel – nachdem eine Therapie der Psychose begonnen worden ist – die Möglichkeit besteht, den Angeklagten in den Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB zu überweisen (vgl. § 67a StGB).
Rz. 5
Über die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB muss deshalb erneut entschieden werden.
Rz. 6
3. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten nach § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB zur Zahlung eines Schmerzensgelds an die Nebenklägerin verurteilt, obwohl es sich von dessen strafrechtlicher Schuld nicht hat überzeugen können, sondern ihn wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt freigesprochen hat. Hierzu im Einzelnen:
Rz. 7
a) Nach § 827 BGB ist für den Schaden derjenige nicht verantwortlich, der im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt. Für eine wegen dieser Umstände ausnahmsweise eingetretene Deliktsunfähigkeit trägt der Schädiger die Beweislast. Diese Beweislastregel (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 – IVa ZR 160/86, BGHZ 102, 227, 230) gilt auch im Adhäsionsverfahren. Dabei handelt es sich zwar um ein dem Strafverfahren anhängendes Verfahren, bei dem die strafprozessualen Regeln für die Ermittlung des Sachverhalts und die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelten (KMR-Stöckel 66. EL § 404 Rn. 11 ff.). Für die sich daraus ergebenden vermögensrechtlichen Ansprüche gelten indes die Vorschriften des Zivilrechts. Ansonsten stünde der Schädiger im Adhäsionsverfahren günstiger als im Zivilprozess (Reichold in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 827 Rn. 9; LG Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2005 – (515) 93 Js 3567/04 KLs (13/05), NZV 2006, 389, 390).
Rz. 8
b) Danach ist die Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat nicht beweisen können, dass er zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Dem Sachverständigen folgend hat das Landgericht dies lediglich nicht ausschließen können. Die sichere Feststellung einer Schuldunfähigkeit war hingegen nach den Darlegungen im Urteil, die von der Revision nicht angegriffen werden, nicht möglich.
Unterschriften
Becker, Pfister, Hubert, Mayer, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 7490903 |
NStZ 2015, 539 |