Entscheidungsstichwort (Thema)
Betrug
Tenor
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 26. März 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 9. August 1999 ausgeführt:
„I. Wiedereinsetzungsantrag:
Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten ist begründet.
Der Verteidiger des Angeklagten hat rechtzeitig dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auf einem von dem Angeklagten nicht zu vertretenden Versehen seines Verteidigers bei der Fristberechnung beruht (§§ 44, 45 StPO).
II. Revisionsvorbringen:
Das Urteil ist auf die Verfahrensrüge des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben.
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Konstanz vom 20.03.1995 wegen Betruges in 17 Fällen und versuchten Betruges in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Zusätzlich war die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte das Urteil durch Beschluss vom 7.11.1995 (1 StR 530/95) im Ausspruch über die Sicherungsverwahrung mit den Feststellungen aufgehoben, weil zu dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden waren. Insbesondere hatte die Strafkammer bei Vorverurteilungen zu Gesamtstrafen, keine Feststellungen zu den jeweiligen Einzelstrafen getroffen (BGH, Beschluss vom 07.11.1995 - 1 StR 530/95 - S. 3 f.). Mit dem angefochtenen Urteil hat eine andere Strafkammer des Landgerichts Konstanz erneut die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dabei hat sie die formellen Voraussetzungen für die Anordnung auch aufgrund der in den Urteilen des Landgerichts Landau vom 10.06.1980 und des Landgerichts Baden-Baden vom 12.11.1986 verhängten Einzelfreiheitsstrafen als gegeben angesehen (UA S. 61).
Die Feststellungen des Urteils sind insoweit jedoch unter Verletzung von § 261 StPO i.V.m. § 249 Abs. 2 StPO zu Stande gekommen, weil, wie die Revision zutreffend hervorhebt, die Urteile des Landgerichts Landau vom 10.06.1980 und des Landgerichts Baden-Baden vom 12.11.1986 – wie im Übrigen auch das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 28.06.1978, dem jedoch für die Entscheidung keine tragende Bedeutung zukommt – unter Mißachtung wesentlicher Förmlichkeiten des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind.
Zwar hat der Vorsitzende der Strafkammer in einer dienstlichen Erklärung vom 24.06.1999 (Bl. 11063 d.A.) angegeben, nach der im Protokoll festgestellten Anordnung des Selbstleseverfahrens in der Hauptverhandlung bezüglich der genannten Urteile am 23.03.1999 vor Eintritt in die Sitzung am 25.03.1999 die Schöffen und die Mitglieder der Strafkammer gefragt zu haben, ob sie die Urteile durchgelesen hätten. Dies hätten die Schöffen und die übrigen Mitglieder der Strafkammer bestätigt. Sodann habe er nach Eintritt in die Sitzung am 25.03.1999 bekannt gegeben, ‚dass die Mitglieder der Kammer einschließlich der Schöffen … versichert hätten, sie hätten die ihnen in Kopie ausgehändigten Urteile vollständig durchgelesen’. Leider sei durch ein Versehen diese Mitteilung nicht im Protokoll aufgenommen worden (Dienstliche Erklärung vom 24.06.1999 - a.a.O.).
Jedoch handelt es sich bei der Feststellung der Kenntnisnahme von den Urteilstexten um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung, so dass der Nachweis hierüber nur durch das Protokoll geführt werden kann (§ 274 StPO). Für einen Wegfall der – negativen – Beweiskraft des Protokolls wegen offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit besteht kein Anhaltspunkt. Eine Lückenhaftigkeit des Protokolls ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass dort lediglich die Anordnung des Selbstleseverfahrens, nicht aber die nach § 249 Abs. 2 StPO notwendigen Feststellungen über dessen erfolgreiche Durchführung vermerkt sind (Bl. 10787 f. d.A.). Denn die Anordnung des Selbstleseverfahrens durch den Vorsitzenden lässt keinen zwingenden Schluss auf die weitere Beachtung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO zu (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 13).
Das angegriffene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ersichtlich ist, dass die Strafkammer etwa auf andere Weise Kenntnis von den in den Urteilen des Landgerichts Landau und Baden-Baden verhängten Einzelstrafen erlangt haben könnte. Dies kann insbesondere auch nicht aufgrund der in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen des Urteils vom 20.03.1995 zur Strafzumessung erfolgt sein. Zwar werden dort die genannten Entscheidungen ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben (Urteil vom 20.03.1995 UA S. 8 ff.), jedoch sind zu den Einzelstrafen gerade keine Feststellungen getroffen worden. Auch durch die in der Hauptverhandlung verlesene Strafliste kann die Strafkammer diese Kenntnis nicht erlangt haben, weil die Strafliste keine Einzelstrafen ausweist (Bl. 10673 ff., 10785).
Aufgrund des Verfahrensfehlers ist das Urteil aufzuheben.”
Dem tritt der Senat bei.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Boetticher, Schomburg, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 540079 |
NStZ 2000, 47 |
wistra 1999, 471 |
StV 2000, 7 |