Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Anforderungen an die Überwachung einer nach mehrjähriger Berufsunterbrechung eingestellten und sofort mit der Führung des Fristenkalenders beauftragten Anwaltsgehilfin.
b) Liegt ein Verschulden im Sinne des § 233 ZPO vor, so kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht ist, daß es sich nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt hat.
Normenkette
ZPO § 233 Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2000 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 119.348,23 DM
Gründe
I.
Der verklagte Rechtsanwalt und Notar hat gegen das Urteil des Landgerichts, das seinen mit ihm in einer Sozietät verbundenen Prozeßbevollmächtigten am 17. Februar 2000 zugestellt worden ist, am 17. März 2000 Berufung eingelegt. Nachdem auf seinen Antrag die Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. Mai 2000 verlängert worden und die Vorsitzende des Berufungssenats mit Schreiben vom 24. Mai 2000 auf den inzwischen eingetretenen Ablauf der Frist hingewiesen hatte, hat der Beklagte durch seine Prozeßbevollmächtigten die Berufung am 5. Juni 2000 begründet; gleichzeitig hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß diesen Antrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
II.
Die gemäß § 567 Abs. 4 Satz 2, § 519 b Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Der Beklagte hat folgenden Sachverhalt glaubhaft gemacht: Nach Absendung des Fax-Schreibens vom 17. April 2000, mit dem die Verlängerung der Frist bis zum 17. Mai 2000 beantragt worden sei – aus den Akten ergibt sich, daß ein gleichlautender Antrag schon mit Schreiben vom 14. April 2000 gestellt worden war –, habe sich die Büroangestellte, Frau V., entsprechend allgemeiner Anweisung noch am selben Tag von der Geschäftsstelle des zuständigen Senats des Oberlandesgerichts zunächst den Eingang des Antrags und kurz darauf die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung telefonisch bestätigen lassen. Aus unaufgeklärt gebliebenen Gründen habe Frau V. zwar die ursprünglich im Fristenkalender eingetragene Berufungsfrist (17. April 2000) gestrichen, jedoch weder nach den Telefonaten mit der Geschäftsstelle noch später nach Eingang der schriftlichen Mitteilung der Fristverlängerung durch das Gericht die neue Frist in den Fristenkalender eingetragen, sondern lediglich dieses Schriftstück in der Handakte abgeheftet. Bei Frau V. habe es sich um eine geschulte Bürokraft gehandelt, die von April 1994 bis Dezember 1996 in einer anderen Anwaltskanzlei als Anwaltsgehilfin beschäftigt gewesen und im Büro des Beklagten und seiner Sozien seit dem 3. März 2000 tätig sei. Sie sei bei ihrer Einstellung in die Führung des Fristenkalenders eingewiesen und danach mehrfach bei ihrer Tätigkeit kontrolliert worden, wobei sich keine Beanstandungen ergeben hätten. Sie sei im übrigen ebenso wie die anderen Büroangestellten entsprechend der Handhabung in seiner Kanzlei regelmäßig zweimal im Monat an die Regeln zur Überwachung der Fristen erinnert worden.
2. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung liegen nach § 233 ZPO nicht vor, weil den Beklagten und/oder seine Sozien an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein Verschulden trifft. Dabei kommt es nicht darauf an, ob, wie das Oberlandesgericht gemeint hat, ein Verschulden darin zu sehen ist, daß keine Anweisung bestand, nach Ablauf der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist bis zur Entscheidung über einen Fristverlängerungsantrag zunächst das Ende der vom Prozeßbevollmächtigten selbst beantragten Frist in den Fristenkalender einzutragen, und ob ein solches Unterlassen für die Fristversäumung ursächlich gewesen wäre. Die Wiedereinsetzung ist deswegen zu versagen, weil, wie das Oberlandesgericht zutreffend angenommen hat, die damals erst etwa vor 1 ½ Monaten eingestellte Anwaltsgehilfin nicht ohne besondere Überwachung mit der selbständigen Fristenkontrolle hätte betraut werden dürfen. Die vom Beklagten vorgetragene und glaubhaft gemachte Überwachung war unter den gegebenen Umständen unzureichend.
Ein Rechtsanwalt darf die selbständige Führung seines Fristenkalenders nur sorgfältig ausgewähltem und bewährtem Büropersonal überlassen. Eine noch unerfahrene und in ihrer Zuverlässigkeit noch nicht erprobte Bürokraft darf nur unter besonderen Überwachungsmaßnahmen mit der Fristenkontrolle betraut werden (BGH, Beschl. v. 19. Dezember 1975 – III ZB 5/75, VersR 1976, 494 f; Urt. v. 23. September 1977 – V ZR 39/77, VersR 1978, 139; Beschl. v. 9. Juli 1987 – V ZB 1/87, VersR 1988, 157; v. 18. Oktober 1995 – I ZB 15/95, NJW 1996, 319). Frau V. war zwar, wie der Beklagte glaubhaft gemacht hat, nach Beendigung ihrer Ausbildung als Anwaltsgehilfin 2 ¾ Jahre in einer anderen Kanzlei mit der Führung eines Fristenkalenders befaßt gewesen. Danach hatte sie jedoch ihre berufliche Tätigkeit als Anwaltsgehilfin für mehr als drei Jahre unterbrochen, bevor sie sie in der Kanzlei des Beklagten wieder aufnahm. Dort war sie am 17. April 2000, als ihr der Fehler unterlief, um den es hier geht, erst seit etwa 1 ½ Monaten beschäftigt. Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts, daß ihr die eigenverantwortliche Führung des Fristenkalenders nicht von Anfang an ohne besondere Überwachungsmaßnahmen anvertraut werden durfte. Nach der Darstellung des Beklagten beschränkte sich die Kontrolle auf die monatlich zweimalige Anweisung, die in der Kanzlei angeordnete Handhabung der Fristenüberwachung einzuhalten, und gelegentliche Stichproben („mehrere Kontrollen in den ersten beiden Monaten”). Das entspricht in etwa den Anforderungen, die zur Überwachung einer schon bewährten, mit der Führung des Fristenbuchs beauftragten Hilfskraft verlangt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 22. September 1971 – V ZB 7/71, NJW 1971, 2269 f). Im hier vorliegenden Fall reichten diese allgemeinen Überwachungsmaßnahmen zunächst nicht aus. Angesichts der mehr als dreijährigen Berufsunterbrechung der Angestellten durften sich die Rechtsanwälte nicht vom ersten Tag an darauf verlassen, daß Frau V. früher schon mehr als zwei Jahre lang – angeblich fehlerfrei – einen Fristenkalender geführt hatte.
Allerdings dürfen die Anforderungen an einen Rechtsanwalt, der eine solche immerhin voll ausgebildete und über praktische Erfahrungen verfügende Bürokraft einstellt, nicht überspannt werden. Besondere, möglichst alle Fehlerquellen ausschaltende Überwachungsmaßnahmen sind in einem solchen Sonderfall nur für einen begrenzten Zeitraum erforderlich. Es mag offenbleiben, ob die Zeit, in der eine besondere Überwachung erforderlich ist, im vorliegenden Fall bereits abgelaufen gewesen wäre, als der Fehler passierte. Tatsächlich hat eine solche besondere Überwachung von vornherein nicht stattgefunden. Bei dieser Sachlage läßt es sich nicht ausschließen, daß dies den Fehler verursacht hat, daß dieser also unterblieben wäre, wenn Frau V. in der ersten Zeit nach ihrer Einstellung intensiv überwacht und auf dabei möglicherweise zutage getretene Fehlerquellen aufmerksam gemacht worden wäre. Diese Ungewißheit wirkt sich zu Lasten des Beklagten aus. Liegt ein Verschulden im Sinne des § 233 ZPO vor, so kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht ist, daß es sich nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt haben kann.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Raebel
Fundstellen
Haufe-Index 556378 |
BB 2000, 2332 |
DStR 2000, 2103 |
DStZ 2001, 60 |
NJW 2000, 3649 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2001, 106 |
VersR 2001, 1398 |
MittRKKöln 2001, 61 |
BRAK-Mitt. 2001, 19 |