Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 03.03.2005) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. März 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht mehr.
Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil weist rechtlich erhebliche Mängel auf (§ 337 StPO). Sie ist zwar Sache des Tatrichters und das Revisionsgericht hat sie grundsätzlich hinzunehmen. Das gilt aber nicht, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder unklar ist (vgl. BGH NStZ 2002, 161). Dies ist hier der Fall.
a) Das Landgericht stützt die Verurteilung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, weitgehend auf seine geständigen Einlassungen im Ermittlungsverfahren, welche „im Wesentlichen – wenn auch nicht unbedingt im Detail – mit den zuletzt in der Hauptverhandlung erhobenen Tatvorwürfen der Geschädigten” übereinstimmten (UA S. 61). Der Angeklagte hat aber – ausweislich der Urteilsgründe – im Ermittlungsverfahren die Taten – insbesondere was die Tatabläufe im Einzelnen (Ergreifen der Initiative durch die Geschädigte), aber auch was deren Intensität angeht – nicht so gestanden, wie von der Strafkammer schließlich festgestellt. Bei dieser Sachlage hätte sich die Strafkammer bei der notwendigen (vgl. BGH NJW 2005, 1440, 1441) Würdigung der Geständnisse nicht auf die pauschale Aussage beschränken dürfen, dass sich die vorprozessualen Einlassungen des Angeklagten im Wesentlichen mit den Angaben der Geschädigten deckten, ohne zu den einzelnen Fällen die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung wiederzugeben und diese im Hinblick auf ihre Glaubhaftigkeit in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu würdigen.
Unklar ist bereits, inwieweit die Strafkammer die Feststellungen zum Tatgeschehen, die über das Geständnis des Angeklagten hinausgehen, auch auf die Angaben der Geschädigten stützt. Soweit sie dabei die Angaben der Geschädigten ausdrücklich berücksichtigt, fehlt es an einer umfassenden und in sich geschlossenen Darstellung der relevanten Aussagen. Insbesondere die Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung werden nicht mitgeteilt, obwohl jedenfalls im Stadium des Ermittlungsverfahrens noch in zentralen Punkten Aussage gegen Aussage stand. Bei einer solchen Beweislage muss der Tatrichter nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes erkennen lassen, dass er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH NStZ-RR 2002, 174, 175; BGH StV 1994, 359, 360; 1993, 235). In diesem Zusammenhang wäre auch nachvollziehbar darzulegen gewesen, warum die Strafkammer der Geschädigten geglaubt und den Angeklagten teilweise verurteilt, ihn aber im Übrigen mangels „entsprechender Angaben” der Geschädigten in der Hauptverhandlung (UA S. 87) freigesprochen hat.
b) Darüber hinaus fehlt es an einer hinreichenden Darstellung und Würdigung des eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens. Hält der Tatrichter die Zuziehung einer Sachverständigen für erforderlich, so hat er deren Ausführungen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wiederzugeben, um dem Revisionsgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (BGH NStZ-RR 1996, 233; BGH StV 1994, 359, 360; 1993, 235). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Lediglich zu Tat II.15 findet sich eine knappe Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen. Im Übrigen enthält das Urteil nur den Hinweis, dass die Angaben der Geschädigten in dem vorbereitenden schriftlichen Sachverständigengutachten „vor allem zur angeblichen Unfreiwilligkeit ihrerseits während der sexuellen Übergriffe des Angeklagten und dessen angeblicher Gewaltanwendung als nicht hinreichend belegbar” beurteilt werden (UA S. 54 f.). Eine Auseinandersetzung mit diesem den Urteilsfeststellungen weitgehend widersprechenden Gutachten fehlt gänzlich.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Der neue Tatrichter wird hinsichtlich der Tat II.5 genauere Feststellungen dazu zu treffen haben, ob durch das Verhalten des Angeklagten die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c StGB a.F. überschritten ist (vgl. BGH NStZ 1999, 45). Die bisherige Feststellung zu dieser Tat: „Der Angeklagte berührte die Geschädigte über deren Kleidung im Vaginalbereich.”, lässt einen solchen Schluss nicht zweifelsfrei zu und rechtfertigt im Übrigen nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Ausschluss eines minder schweren Falls.
b) Des Weiteren wird zu überprüfen sein, ob es sich bei den unter II.14 und II.17 des Urteils aufgeführten Lebenssachverhalten nicht – wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführlich dargelegt – um die nämliche Tat handelt.
c) Gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB wird die neu entscheidende Strafkammer einen Anrechnungsmaßstab hinsichtlich der in Polen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erlittenen Haft festzulegen haben.
d) Die Abfassung des Urteils veranlasst den Senat schließlich darauf hinzuweisen, dass es Aufgabe des Tatrichters ist, im Rahmen der Beweiswürdigung eine Begründung dafür zu geben, auf welchem Weg er zu den Feststellungen gelangt ist, die Grundlage der Verurteilung geworden sind. Er ist deshalb gehalten, die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel im Urteil erschöpfend zu würdigen, soweit sich aus ihnen bestimmte Schlüsse zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten herleiten lassen (BGH NStZ 1985, 184). Andererseits haben die Urteilsgründe nicht die Aufgabe, den Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung sowie das mit der abgeurteilten Tat nicht im Zusammenhang stehende Randgeschehen in allen Einzelheiten wiederzugeben. Deshalb ist es auch nicht nötig, für jede Feststellung in den Urteilsgründen einen Beleg zu erbringen (vgl. BGH NStZ 2002, 49, 50; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 27. Aufl. Rdn. 350 ff.). Die Angabe der Beweisgründe und die Bewertung der für die Urteilsfindung maßgebenden Beweismittel verlangt vielmehr eine in sich geschlossene Darstellung.
Unterschriften
Otten, Kuckein, Rothfuß, Fischer, Appl
Fundstellen
Haufe-Index 2556585 |
JR 2007, 127 |
NStZ 2007, 538 |
NStZ-RR 2006, 367 |
StraFo 2005, 510 |