Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Vordruck. Antrag. Lücken. Vollständigkeit. Ablehnung. Unterlagen
Leitsatz (redaktionell)
Enthält der Vordruck gem. § 117 Abs. 3, 4 ZPO einzelne Lücken, rechtfertigt dies dann nicht die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, wenn auf andere Weise die Lücken geschlossen oder Zweifel beseitigt werden können, etwa durch die beigefügten Unterlagen oder Angaben zu füheren PKH-Anträgen.
Normenkette
ZPO §§ 114, 117 Abs. 2-4
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 15.03.2005; Aktenzeichen 5 U 2/05) |
LG Osnabrück (Urteil vom 01.12.2004) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 15.3.2005 aufgehoben.
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Osnabrück v. 1.12.2004 gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 23.471,99 EUR.
Gründe
I. 1. Das LG Osnabrück hat den Beklagten durch Urteil v. 1.12.2004 verurteilt, an den Kläger 23.471,99 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Am letzten Tag der Berufungsfrist hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten beim OLG einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung, einen Entwurf der Berufungsbegründung und die Erklärung v. 5.1.2005 über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen eingereicht. In dem Vordruck nach § 117 Abs. 3, 4 ZPO hat der Beklagte nicht angekreuzt, ob er Einnahmen aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft hat. Die übrigen Fragen hat er beantwortet und ihnen durch Nummerierung zugeordnete Belege im Umfang von 49 Blatt beigefügt.
Durch Beschluss v. 22.2.2005 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die Angaben des Beklagten zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unvollständig seien. Er habe zwar eine Reihe von Fragen zu seinen Einnahmen beantwortet. Die Frage nach Einkünften aus selbständiger Arbeit/Gewerbebetrieb habe er jedoch unbeantwortet gelassen. Nach Zustellung des Beschlusses am 7.3.2005 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 9.3.2005 Wiedereinsetzung beantragt. Der Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm Prozesskostenhilfe verwehrt werden würde. Er habe gemeint, die nicht beantwortete Frage nach solchen Einkünften offen lassen zu können, weil er schon seit einigen Jahren Rentner sei und eine Kopie des Rentenbescheids dem Antrag beigefügt habe. Er verfüge über keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit/Gewerbebetrieb. Mit am 10.3.2005 eingegangenen Schriftsätzen hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Wiedereinsetzungsantrag wiederholt sowie die Berufung eingelegt und begründet.
2. Das OLG hat die Berufung durch Beschluss v. 15.3.2005 wegen Versäumung der Berufungsfrist verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Der Beklagte habe nicht ohne Verschulden davon ausgehen dürfen, die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Gewährung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist in ausreichender Weise dargetan zu haben. Der Vordruck der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse müsse dem Rechtsmittelgericht vor Ablauf der Frist vollständig ausgefüllt vorliegen. Daran fehle es, weil die Frage nach Einkünften aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft nicht beantwortet gewesen sei. Die Fristversäumung sei nicht deshalb unverschuldet, weil der Beklagte gemeint habe, diese Frage offen lassen zu dürfen, weil er Rentner sei und einen Rentenbescheid beigefügt habe. Diese Erklärung überzeuge nicht. Zu ihr passe nicht, dass er gleichwohl sämtliche weiteren Fragen zu seinen Einkünften und dabei u.a. auch die Frage verneint habe, ob er Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit erziele. Eine Beantwortung dieser Fragen hätte sich ebenfalls erübrigt, wenn der Beklagte davon ausgegangen sei, die Frage nach seinen Einkünften durch die Vorlage des Rentenbescheides hinreichend beantwortet zu haben. Durch die Beantwortung aller weiteren Fragen nach seinen Einkünften habe er im Gegenteil den Eindruck vermittelt, die Frage nach Einkünften aus selbständiger Arbeit bewusst offen gelassen zu haben. Unabhängig davon schließe ein Rentenbezug zusätzliche Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit, aus Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft nicht schlechthin aus.
II. 1. Die dagegen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = NJW 2004, 367, unter II 1 bb; v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [226 ff.] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, innerhalb der Berufungsfrist habe kein ordnungsgemäßer Prozesskostenhilfeantrag vorgelegen. Dem Beklagten ist deshalb Wiedereinsetzung zu gewähren.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, von der auch das OLG ausgeht, ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, weil er sich für bedürftig i.S.d. §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles getan hatte, damit auf Grund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden konnte (BGH, Beschl. v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, BGHReport 2004, 623 = MDR 2004, 588 = NJW-RR 2004, 1218, unter II 2a; v. 6.7.1999 - VI ZB 10/99, VersR 2000, 383, unter 1 jeweils m.w.N.). Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die Partei bis zum Ablauf der Frist die für ihre wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlichen Angaben vollständig und übersichtlich dargestellt hat; dazu wird regelmäßig die fristgerechte Vorlage der Erklärung gem. § 117 ZPO mit lückenlosen Angaben gefordert (BGH, Beschl. v. 13.1.1999 - XII ZB 166/98, VersR 2000, 252, unter 1 m.w.N.; BVerfG NJW 2000, 3344).
Die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit dürfen aber (ebenso wie die Anforderungen an die Erfolgsaussicht, vgl. BVerfG v. 20.2.2002 - 1 BvR 1450/00, NJW-RR 2002, 1069) nicht überspannt werden, weil dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt würde. Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfG v. 20.12.2001 - 2 BvR 1100/01, NJW-RR 2002, 1005). Demgemäß dürfen bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, insb. beim "ersten Zugang", aber auch beim Zugang zu einer weiteren Instanz nicht überspannt werden (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227 f.] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207, m.w.N.).
Diesen Grundsätzen trägt die Entscheidungspraxis des BGH Rechnung. Enthält der Vordruck gem. § 117 Abs. 3, 4 ZPO einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Das kommt in Betracht, wenn auf andere Weise die Lücken geschlossen oder Zweifel beseitigt werden können, etwa durch die beigefügten Unterlagen (BGH, Beschl. v. 10.7.1985 - IVb ZB 47/85, MDR 1986, 302 = NJW 1986, 62, unter I [Gehaltsbescheinigung]; v. 17.3.1998 - XI ZB 39/97, VersR 1998, 1397, unter 2; v. 11.11.1992 - XII ZB 118/92, MDR 1993, 172 = NJW 1993, 732, unter II 2 [jeweils Sozialhilfebescheid]) oder Angaben zu früheren PKH-Anträgen (BGH, Beschl. v. 3.5.2000 - XII ZB 21/00, NJW-RR 2000, 1520 f.). Vollständigkeit der Angaben kann ausnahmsweise auch dann anzunehmen sein, wenn es sich bei einer Einzelnen nicht beantworteten Frage nach Einnahmen auf Grund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (BGH, Beschl. v. 3.5.2000 - XII ZB 21/00, NJW-RR 2000, 1520 f.; Beschl. v. 18.2.1992 - VI ZB 49/91, VersR 1992, 897, unter 2).
b) Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte ohne sein Verschulden daran gehindert, rechtzeitig Berufung einzulegen. Er musste vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Prozesskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen, weil er aus seiner Sicht die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Entscheidung über den Antrag ausreichend dargelegt hatte. Das Berufungsgericht hat die daran zu stellenden Anforderungen überspannt und das Vorbringen des Beklagten ersichtlich nur unvollständig gewürdigt. Aus den Angaben und näheren Erläuterungen des Beklagten und den von ihm eingereichten Unterlagen geht hinreichend deutlich hervor, dass er damit erklären wollte, außer den genannten Einnahmen keine weiteren zu haben. Ein solches Verständnis drängt sich zumindest auf.
Den eingereichten Unterlagen ist Folgendes zu entnehmen:
Der im August 1940 geborene Beklagte bezieht jedenfalls seit einem vor Mai 2004 liegenden Zeitpunkt eine Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Mindestens seit 1993 erhält er eine Betriebsrente als Invalidenrente. Seit November 1988 ist er Inhaber eines Schwerbehindertenausweises, in dem der Grad der Behinderung mit 50 % angegeben ist. Mehreren Arztberichten zufolge leidet er seit 1988 an einer coronaren Mehrgefäßerkrankung, die ab Mitte Dezember 1988 zur Arbeitsunfähigkeit führte. Eine Bypassoperation am 1.12.1989 erbrachte keine nachhaltige Besserung. Vom 9. bis 17.1.2003 befand er sich wegen der Herzerkrankung in stationärer Behandlung. Am 10.11.2004 kam er als Notfallpatient ins Krankenhaus. Aus all dem kann vernünftigerweise nur der Schluss gezogen werden, dass der Kläger im Januar 2005 keine Einnahmen aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft hatte und er annehmen durfte, dies zum Ausdruck gebracht zu haben.
Es kommt hinzu: Der im Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau lebende 28 Jahre alte arbeitslose Sohn zahlt an die Eltern im Monat als Kostgeld 241,98 EUR. Diesen Betrag hat er durch Bescheid v. 1.12.2004 über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II als Beitrag zu den Kosten für Unterkunft und Heizung der aus ihm und seinen Eltern bestehenden Bedarfsgemeinschaft/Haushaltsgemeinschaft bewilligt erhalten. Außerdem erhält er die volle monatliche Regelleistung von 345 EUR. Bei dieser sozialhilfegleichen Leistung werden nach § 9 Abs. 5 SGB II auch das Einkommen und Vermögen der mit dem Hilfebedürftigen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Verwandten berücksichtigt (Schoch, ZfF 2004, 169 ff.; Waibel, ZfF 2005, 49 ff.; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe SGB II, § 9 Rz. 47 ff.). Der Leistungsberechnung im Bescheid v. 1.12.2004 liegen die nachgewiesenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Sohnes und der Eltern zu Grunde. Da der Sohn die volle Regelleistung und einen Betrag für Unterkunft und Heizung erhält, ist damit hinreichend belegt und zum Ausdruck gebracht, dass der (unterhaltspflichtige) Kläger weitere als die angegebenen Einnahmen nicht hat.
Fundstellen