Leitsatz (amtlich)
a) Wenn das Gericht im Verfahren über die Aufhebung der Betreuung ein Sachverständigengutachten einholt und seine Entscheidung auf dieses stützt, muss das Gutachten den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen (im Anschluss an BGH v. 20.8.2014 - XII ZB 179/14, FamRZ 2014, 1917).
b) Das Sachverständigengutachten muss noch aktuell sein. Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Sachlage nach Erstellung des Gutachtens verändert hat und diese neue Tatsachenlage für die Entscheidung nicht offensichtlich unerheblich ist, hat der Tatrichter zumindest eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen einzuholen (Fortführung von BGH v. 11.5.2016 - XII ZB 363/15, FamRZ 2016, 1350).
Normenkette
BGB § 1908d Abs. 1 S. 1; FamFG §§ 26, 280, 294
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 30.10.2015; Aktenzeichen 83 T 160/13) |
AG Berlin-Lichtenberg (Beschluss vom 31.05.2013; Aktenzeichen 52M XVII 54/09) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 83. Zivilkammer des LG Berlin vom 30.10.2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene wendet sich gegen die Aufhebung seiner Betreuung.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 13.7.2009 bestellte ihm das AG eine Betreuerin für die Aufgabenkreise Vermögensangelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Behörden. Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverständigengutachten litt der Betroffene an einer "psychosozialen Reifestörung". Im September 2009 fand auf Wunsch des Betroffenen ein Betreuerwechsel statt. Im Dezember 2011 richtete das AG den Aufgabenkreis Vermögenssorge, den es zwischenzeitlich aufgehoben hatte, erneut ein und ordnete zudem einen Einwilligungsvorbehalt an. Nachdem der Betroffene im Dezember 2012 wiederum einen Betreuerwechsel angestrebt hatte, hat das AG nach Anhörung des Betroffenen und Einholung eines Sachverständigengutachtens vom 18.4.2013 die Betreuung mit Beschluss vom 31.5.2013 aufgehoben. Seine Beschwerde hat das LG mit Beschluss vom 30.10.2015 nach Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 4
1. Das LG hat die Aufhebung der Betreuung damit begründet, dass nach dem Sachverständigengutachten die diagnostizierte Entwicklungsstörung des Betroffenen weder für sich genommen noch in Kombination mit der bestehenden kombinierten Persönlichkeitsstörung das Ausmaß einer betreuungsrelevanten psychischen Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung i.S.d. § 1896 Abs. 1 BGB erreiche. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen sei der Betroffene trotz seiner Entwicklungsstörung in seiner Kritik-, Urteils- und Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Seine Geschäftsfähigkeit sei ohne jede Einschränkung gegeben, und er sei ausreichend in der Lage, sich von sachgerechten Erwägungen leiten zu lassen und nach einer gewonnenen Einsicht zu handeln. Er sei darüber hinaus ersichtlich in der Lage, seine Angelegenheiten selbständig unter Inanspruchnahme tatsächlicher Hilfen und zumutbarer Willensanstrengungen zu regeln.
Rz. 5
Der Beweiswert des Gutachtens sei ungeachtet der seit seiner Erstellung vergangenen Zeit uneingeschränkt gegeben. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die psychische Situation des Betroffenen nachhaltig verschlechtert habe. Hiervon habe sich das Gericht in der persönlichen Anhörung des Betroffenen überzeugt, in der dieser sich umfassend zu seiner gesundheitlichen und psychosozialen Situation orientiert gezeigt habe und sich differenziert zu seinen Vorstellungen und Plänen für die nähere Zukunft habe äußern können. Auch der ausführliche Entlassungsbericht der psychotherapeutischen Klinik vom 6.5.2015 mit der Empfehlung zur Einrichtung einer Betreuung gebe keinen Anlass, an dem Beweiswert der in diesem Verfahren angestellten Ermittlungen zu zweifeln. Das zusätzlich von den Ärzten diagnostizierte ADHS habe auf die Symptomatik des Betroffenen keine nennenswerten Auswirkungen.
Rz. 6
Im Übrigen sei bei dem Betroffenen kein Betreuungsbedarf erkennbar. Seine Selbstunsicherheit und seine Schwierigkeiten, seinem Leben eine Struktur zu geben, ließen sich durch psychotherapeutische und sozialtherapeutische Hilfen positiv beeinflussen.
Rz. 7
2. Das hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
Rz. 8
a) Gemäß § 1908d Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Betreuung aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Der Wegfall einer der Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers reicht für die Aufhebung der Betreuung aus (BGH v. 16.9.2015 - XII ZB 500/14, FamRZ 2015, 2160 Rz. 12; v. 18.12.2013 - XII ZB 460/13, FamRZ 2014, 466 Rz. 6). Eine Aufhebung kommt insb. in Betracht, wenn die Krankheit oder Behinderung, die bei Anordnung der Betreuung vorlag, sich soweit gebessert hat, dass der Betroffene in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen (BGH, Beschl. v. 18.12.2013 - XII ZB 460/13, FamRZ 2014, 466 Rz. 6).
Rz. 9
b) Zwar hat das LG ausgeführt, dass der Betroffene in der Lage sei, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Diese Feststellung beruht jedoch auf einem Verfahrensfehler.
Rz. 10
Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass sich das LG nicht hinreichend damit auseinandergesetzt hat, dass das Sachverständigengutachten vom 18.4.2013 - jedenfalls teilweise - in Widerspruch zu dem Entlassungsbericht der Klink L. H. vom 6.5.2015 steht.
Rz. 11
aa) Zwar verweist § 294 FamFG für das Aufhebungsverfahren nicht auf die §§ 278 Abs. 1, 280 FamFG, die die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorschreiben. Es verbleibt insoweit bei den allgemeinen Verfahrensregeln und damit bei den Grundsätzen der Amtsermittlung nach § 26 FamFG, so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Aufhebungsverfahren nicht obligatorisch ist. Wenn das Gericht aber ein Sachverständigengutachten einholt und seine Entscheidung auf dieses stützt, muss das Gutachten den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen (BGH, Beschl. v. 20.8.2014 - XII ZB 179/14, FamRZ 2014, 1917 Rz. 8 f. m.w.N.).
Rz. 12
Zudem muss es sich um ein noch aktuelles Sachverständigengutachten handeln (vgl. BGH v. 11.5.2016 - XII ZB 363/15, FamRZ 2016, 1350 Rz. 16 zum freien Willen). Gibt es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Sachlage nach Erstellung des Gutachtens verändert hat und diese neue Tatsachenlage für die Entscheidung nicht offensichtlich unerheblich ist, hat der Tatrichter zumindest eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen einzuholen.
Rz. 13
bb) Gemessen hieran hätte das LG jedenfalls eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen einholen müssen.
Rz. 14
Denn das Sachverständigengutachten ist in Anbetracht der zwischenzeitlichen Entwicklung nicht mehr aktuell. Das folgt aus dem Entlassungsbericht vom 6.5.2015, mit dem sich das LG allerdings nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Den Bericht hat die Klinik, in deren stationärer Behandlung sich der Betroffene rund viereinhalb Monate befunden hat, ihrer an das Gericht gerichteten Anregung beigelegt, für den Betroffenen eine Betreuung einzurichten. Während sich das LG allein damit befasst hat, dass das von den Klinikärzten diagnostizierte ADHS seiner Ansicht nach keine Auswirkungen auf die Symptomatik des Betroffenen habe, beschäftigt es sich nicht im Ansatz damit, dass ausweislich des Entlassungsberichts bei dem Betroffenen u.a. eine "rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode" diagnostiziert worden ist. Dies und der Umstand, dass die Klink die Einrichtung einer Betreuung für geboten erachtet, hätte das LG dazu bewegen müssen, ergänzenden sachverständigen Rat hinzuzuziehen.
Rz. 15
Außerdem hat sich das LG im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum ADHS eine eigene psychologische bzw. psychiatrische Sachkunde angemaßt, ohne darzulegen, woher es diese nimmt.
Rz. 16
3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist. Deshalb ist sie gem. § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Rz. 17
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
NJW 2016, 8 |
FamRZ 2016, 2090 |
FuR 2017, 21 |
FGPrax 2016, 267 |
BtPrax 2017, 38 |
MDR 2016, 1337 |