Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 03.11.2020; Aktenzeichen 9 U 38/18) |
LG Konstanz (Entscheidung vom 25.05.2018; Aktenzeichen 10 O 40/18) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 9. Zivilsenat - vom 3. November 2020 gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerin zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und Herausgabe von Nutzungen nach erklärtem Widerspruch gegen das Zustandekommen eines Vertrages über eine fondsgebundene Lebensversicherung.
Rz. 2
Dieser Vertrag wurde mit Versicherungsbeginn zum 1. September 2006 im sogenannten Policenmodell gemäß § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt die Klägerin keine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
Rz. 3
Die Klägerin zahlte fortan die Prämien. Mit Schreiben vom 17. Mai 2017 erklärte sie unter anderem den Widerspruch nach § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrages. Zu diesem Zeitpunkt betrug das Fondsguthaben der Klägerin 8.110,20 €; bezogen auf den investierten Sparanteil von 17.760,73 € war in der Fondsanlage ein Verlust von rund 54 % (9.650,53 €) eingetreten. Die Beklagte zahlte der Klägerin einen Betrag in Höhe von 10.349,48 € aus.
Rz. 4
Mit der Klage verlangt die Klägerin Rückzahlung ihrer auf den Vertrag geleisteten Beiträge und Herausgabe von Nutzungen abzüglich des bereits erhaltenen Betrages, insgesamt 10.109,40 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Sie meint, die Beklagte habe nach dem berechtigten Widerspruch die eingezahlten Prämien in voller Höhe zurückzuzahlen und das Risiko von Fondsverlusten zu tragen.
Rz. 5
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Rz. 6
II. Das Berufungsgericht hat einen über den von der Beklagten geleisteten Betrag hinausgehenden Bereicherungsanspruch der Klägerin verneint. Zwar sei ein Rückabwicklungsanspruch der Klägerin nach Bereicherungsrecht entstanden, da sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden und noch 2017 zum Widerspruch berechtigt gewesen sei. Der Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 10.299,47 € (gezahlte Prämien in Höhe von 19.950 € abzüglich Fondsverluste in Höhe von 9.650,53 €) sei jedoch erloschen, weil die vorgerichtliche Zahlung der Beklagten in Höhe von 10.349,48 € den errechneten Betrag übersteige. Die Beklagte könne sich gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf Entreicherung wegen der Fondsverluste berufen. Für eine Berücksichtigung der von der Klägerin mit 3.946,88 € geltend gemachten Nutzungszinsen gebe es keine rechtliche Grundlage. Die Klägerin habe keine tatsächlich gezogenen Nutzungen dargetan.
Rz. 7
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 8
1. Eine Zulassung der Revision ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf eine vom Berufungsgericht für möglich erachtete Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung über die Frage, ob die Anwendung des in § 818 Abs. 3 BGB normierten Grundsatzes des Wegfalls der Bereicherung mit der - hier maßgeblichen - Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. L 345 S. 1, fortan: Richtlinie Lebensversicherung) vereinbar ist, geboten.
Rz. 9
a) Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, die Frage, ob bei der Rückabwicklung einer fondsgebundenen Lebensversicherung nach einem Widerspruch wegen nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung europarechtliche Regelungen einer Berücksichtigung von Fondsverlusten zugunsten des Versicherers entgegenstünden, sei von grundsätzlicher Bedeutung.
Rz. 10
b) Der Streitfall gibt indes keinen Anlass zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union. Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung einer fondsgebundenen Lebensversicherung nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. auch erhebliche oder vollständige Fondsverluste bereicherungsmindernd anrechnen lassen. Dies hat der Senat mit dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil vom 21. März 2018 (IV ZR 353/16, r+s 2018, 233 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet. Dabei hat er im Wesentlichen darauf abgestellt, dass sich der Versicherungsnehmer bei der fondsgebundenen Lebensversicherung für ein Produkt entscheidet, bei dem die Höhe der Versicherungsleistung - abgesehen von der Todesfallleistung - nicht von vornherein betragsmäßig festgelegt ist, sondern vom schwankenden Wert des Fondsguthabens abhängt. Die - mit Gewinnchancen, aber auch mit Verlustrisiken behaftete - Kapitalanlage ist für den Versicherungsnehmer neben der Risikoabsicherung ein wesentlicher Gesichtspunkt, wenn er sich für eine fondsgebundene Lebensversicherung entscheidet. Dies rechtfertigt es grundsätzlich, ihm das Verlustrisiko zuzuweisen, wenn der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande kommt und rückabgewickelt werden muss (Senatsurteile vom 21. März 2018 aaO Rn 16; vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, r+s 2016, 20 Rn. 37). Dem steht der mit der richtlinienkonformen Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers nicht entgegen. Dem europarechtlichen Effektivitätsgebot widerspricht es nach Ansicht des Senats nicht, wenn der Versicherungsnehmer auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages widersprechen kann, aber Fondsverluste tragen muss (Senatsurteil vom 21. März 2018 aaO Rn. 17 ff.). Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. Dezember 2013, Hirmann, C-174/12, EU:C:2013:856, EuZW 2014, 223 Rn. 61; vom 15. April 2010, E. Friz, C-215/08, EU:C:2010:186, NJW 2010, 1511 Rn. 50) hat der Senat hervorgehoben, dass eine nationale Regel, die - wie hier § 818 Abs. 3 BGB - entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligen eines rückabzuwickelnden Geschäfts sorgen soll, dem Unionsrecht auch dann nicht widerspricht, wenn die Ausübung eines durch eine Richtlinie vorgegebenen Vertragslösungsrechts eine Wiederherstellung der ursprünglichen Situation bewirken soll und wenn dies bei einer Kapitalanlage zur Folge hat, dass der Verbraucher weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält (Senatsurteil vom 21. März 2018 aaO Rn. 23).
Rz. 11
Dem hält die Revision ohne Erfolg entgegen, der Gerichtshof der Europäischen Union habe seine Entscheidung in der Rechtssache "E. Friz" bereits in der Rechtssache "Hirmann" relativiert. Zwar hat der Gerichtshof in dem letztgenannten Urteil (aaO Rn. 60 f.) darauf hingewiesen, der Widerruf, der dem Urteil im Verfahren "E. Friz" zugrunde gelegen habe, habe nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Vertragspartners beruht, sondern allein auf der Ausübung eines allen Verbrauchern eingeräumten Rechts, Verträge zu widerrufen, die bei einem Besuch eines Gewerbetreibenden in ihrer Wohnung abgeschlossen worden seien. Auch bei der hier streitgegenständlichen Konstellation geht es aber nicht um eine schadensersatzrechtliche Rückabwicklung. Vielmehr ist ebenso wie bei sogenannten Haustürgeschäften das bei einer fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung fortbestehende Widerspruchsrecht unabhängig von einer Pflichtwidrigkeit des Versicherers gegeben. Das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Belehrung führt nur dazu, dass die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist und der Versicherungsnehmer sein Widerspruchsrecht noch ausüben und die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung verlangen kann. Ein zusätzlicher Schadensersatzanspruch aufgrund einer Pflichtverletzung wird dadurch nicht begründet.
Rz. 12
Auch aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner, C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123, EuZW 2020, 337) ist entgegen der Auffassung der Revision nicht zu entnehmen, dass dem Effektivitätsgebot eine Berufung auf den Entreicherungseinwand widerspricht. Soweit der Gerichtshof ausgeführt hat, es sei Sache des Versicherers, einer Situation abzuhelfen, die er selbst herbeigeführt habe, indem er seiner Informationspflicht nicht nachgekommen sei (aaO Rn. 109), lässt sich daraus nicht ableiten, dass der Versicherer bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung auch das Risiko der Fondsanlage tragen muss. Denn Fondsverluste sind durch die Entwicklung der jeweiligen Fonds und nicht durch das Fehlen einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bedingt. Zudem hat der Gerichtshof in seiner Antwort auf die Frage, ob Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619, Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 und Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 dahin auszulegen seien, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstünden, nach der Vergütungszinsen auf Beträge, die der Versicherungsnehmer nach seinem Rücktritt vom Vertrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückverlange, in drei Jahren verjährten, betont, bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers sei auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, blieben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nach Auffassung des Gerichtshofs nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrages und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren (aaO Rn. 112, 120). Entsprechendes gilt hier bei einem Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung, bei dem sich erst im Laufe der Vertragslaufzeit herausstellt, ob sich der Fonds für den Versicherungsnehmer gewinnbringend entwickelt oder Verluste erwirtschaftet. Im Einklang damit hat der Senat ein solches spekulatives Vorgehen des Versicherungsnehmers bereits in dem oben genannten Urteil vom 21. März 2018 (IV ZR 353/16, r+s 2018, 233 Rn. 26) als von der Unionsrechtsordnung nicht gedeckt angesehen. Weitere entscheidungserhebliche und nicht zweifelsfrei zu beantwortende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts sind im Zusammenhang mit dem Entreicherungseinwand nicht ersichtlich.
Rz. 13
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
Rz. 14
a) Das Berufungsgericht hat die Fondsverluste zu Recht entsprechend dem Senatsurteil vom 21. März 2018 (IV ZR 353/16, r+s 2018, 233 Rn. 13 ff.) in Abzug gebracht und der Klägerin unter Berücksichtigung der bereits von der Beklagten geleisteten Zahlung einen weitergehenden Bereicherungsanspruch versagt.
Rz. 15
b) Soweit sich die Revision außerdem gegen die Berechnung des Bereicherungsanspruchs unabhängig vom Abzug der Fondsverluste wendet und eine Erstattung von Nutzungszinsen anhand der Rendite der Beklagten bei deren eigenen Kapitalanlagen fordert, ist die Revision bereits mangels Zulassung nicht statthaft. Zwar enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keinen Zusatz, der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Die Beschränkung der Revisionszulassung kann sich aber auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt (Senatsurteil vom 13. April 2022 - IV ZR 60/20, r+s 2022, 328 Rn. 21 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat die Zulassung mit der nach seiner Ansicht weiterhin klärungsbedürftigen Frage der Berücksichtigung von Fondsverlusten als Abzugsposten bei Berechnung des Bereicherungsanspruchs begründet. Diese Frage kann unabhängig von einem weitergehenden Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB beantwortet werden. Demgemäß hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision wirksam auf einen selbstständigen, abtrennbaren Teil des Streitstoffs beschränkt.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurücknahme der Revision erledigt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 15443320 |
VersR 2022, 1571 |
VuR 2023, 80 |