Verfahrensgang
OLG Bamberg (Entscheidung vom 23.04.2021; Aktenzeichen 3 U 220/20) |
LG Würzburg (Entscheidung vom 25.06.2020; Aktenzeichen 14 O 89/20) |
Tenor
Der Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 23. April 2021 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben. Der Rechtsstreit wird im Umfang der Anfechtung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: bis 50.000 €
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger erwarb im September 2015 ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Mercedes Benz GLE 350d 4MATIC als Gebrauchtwagen zum Kaufpreis von 60.690 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 642 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist von einem verpflichtenden Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen.
Rz. 3
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht geschlossen.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger neben dem Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs den Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gestellten Zahlungsantrag nebst Verzugszinsen seit dem 26. Oktober 2019 nur noch in Höhe von 46.636 € weiter, da er sich nunmehr eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 14.054 € auf den Kaufpreis anrechnen lässt. Er rügt unter anderem eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II.
Rz. 5
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Der angefochtene Beschluss beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 6
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit hier von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Rz. 7
Dem Kläger stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegen die Beklagte zu. Der Rückruf als solcher belege eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung nicht. Der Kläger trage auch nicht vor, dass die Staatsanwaltschaft oder das KBA der Beklagten eine solche vorwerfen würden. Einen Beleg für den von ihm zitierten Wortlaut des Rückrufbescheids bleibe der Kläger schuldig; selbst diesen behaupteten Wortlaut unterstellt, spreche das KBA nur allgemein von einer manipulierten Software, nicht hingegen von einer Prüfstands-erkennung. Der vom Kläger behauptete erhöhte Schadstoffausstoß im Realbetrieb belege eine Prüfstandserkennung ebenso wenig. Es fehle daher an greifbaren Anhaltspunkten dafür, so dass das Landgericht zu Recht von einer Behauptung ins Blaue hinein ausgegangen sei. Es könne nicht offenbleiben, ob der Rückruf gerade wegen einer Prüfstandserkennung erfolgt sei. Das Thermofenster sei ungeeignet, eine Haftung nach § 826 BGB zu begründen. Es arbeite vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand, so dass es weiterer Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und eine billigende Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes seitens der Beklagten bedürfe, die weder vorgetragen noch ersichtlich seien. Es müsse eine möglicherweise falsche, aber vertretbare Gesetzesauslegung seitens der Beklagten in Betracht gezogen werden.
Rz. 8
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht die Substantiierungsanforderungen im Hinblick auf die neben dem Thermofenster behauptete Abschalteinrichtung, bei der nur im Prüfstand der Stickoxidausstoß optimiert werde, in gehörsverletzender Weise gehandhabt hat.
Rz. 9
a) Das Fahrzeug des Klägers ist unstreitig von einem verpflichtenden Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
Rz. 10
b) In insoweit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise stellt das Berufungsgericht darauf ab, ob die unzulässige Abschalteinrichtung prüfstandsbezogen ist. Das Kriterium der Prüfstandsbezogenheit ist grundsätzlich geeignet, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2021 - VII ZR 126/21 Rn. 18, BeckRS 2021, 33038; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 19, WM 2021, 2108; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 27, VersR 2021, 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 18, ZIP 2021, 297). Das Berufungsgericht benennt damit eines der wesentlichen Merkmale, nach denen die den sogenannten Abgasskandal auslösende, von der Volkswagen AG im Motortyp EA 189 verwendete Manipulationssoftware nicht nur eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, sondern die deutlich höheren Anforderungen an eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfüllen kann. Die Tatsache, dass eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden.
Rz. 11
c) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet aber zu Recht, dass das Berufungsgericht dem beweisbewehrten Sachvortrag des Klägers nicht nachgegangen ist, die Abgasreinigung seines Fahrzeugs werde durch eine Software-Funktion gesteuert, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, und in diesem Fall den Stickoxidausstoß optimiere. Die Verwendung einer derartigen Prüfstandserkennungssoftware käme als Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen grundsätzlich in Betracht. Damit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen offenkundig überspannt.
Rz. 12
aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1819/10, WM 2012, 492, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 20, WM 2021, 1609; Urteil vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19 Rn. 19, MDR 2021, 871; Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19 Rn. 7, ZIP 2020, 486; Beschluss vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17 Rn. 11, VersR 2019, 835; jeweils m.w.N.).
Rz. 13
Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 21 f. m.w.N., WM 2021, 1609).
Rz. 14
bb) Nach diesen Grundsätzen liegt eine Gehörsverletzung vor. Die Annahme des Berufungsgerichts, der von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgezeigte Vortrag des Klägers zu einer Prüfstandsbezogenheit der von ihm behaupteten Abschalteinrichtung sei nicht hinreichend substantiiert, überspannt die Anforderungen offenkundig und verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 15
Der Kläger hat vorgetragen, in seinem Fahrzeug sei eine Software verbaut, die erkenne, ob das Fahrzeug den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlaufe und dementsprechend den Ausstoß an Stickoxiden nur beim Durchfahren des NEFZ optimiere. Bereits aus dem verpflichtenden Rückruf des KBA, über den die Beklagte den Kläger unstreitig mit Schreiben vom 16. September 2019 informiert habe, ergebe sich ein gewichtiges Indiz dafür, dass in dem Fahrzeug des Klägers eine entsprechende Abschalteinrichtung verbaut sei. Den Rückruf habe das KBA nämlich mit einer manipulierten Software begründet.
Rz. 16
cc) Weitergehender Vortrag war vom Kläger nicht zu verlangen. Zwar hat die Beklagte bestritten, dass der Rückruf durch das KBA wegen einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung erfolgt sei. Der Beachtlichkeit des Sachvortrags des Klägers auf der Darlegungsebene steht dies aber nicht entgegen. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger vorhält, er habe den Wortlaut des von ihm zitierten Rückrufbescheids nicht belegt, verkennt es die Darlegungslast der Parteien. Der Kläger, der nicht Adressat des Rückrufbescheids ist, darf sich darauf beschränken zu behaupten, das KBA habe den Rückruf wegen einer manipulierten Software angeordnet, für die er zudem behauptet, sie sei prüfstandsbezogen. Sodann ist es an der Beklagten als Empfängerin des Rückrufbescheids, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast ihrerseits dazu vorzutragen, was der Grund des Rückrufs ist, wenn auch die sekundäre Darlegungslast keine prozessuale Verpflichtung der Beklagten zur Vorlage von Urkunden begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - VII ZR 252/20 Rn. 13, DAR 2022, 336).
Rz. 17
dd) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre.
III.
Rz. 18
Der Beschluss ist danach aufzuheben und die Sache im Umfang der Anfechtung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).
Pamp |
|
Kartzke |
|
Sacher |
|
Borris |
|
C. Fischer |
|
Fundstellen