BGH: Keine Amtshaftung im Abgasskandal

Die Bundesrepublik Deutschland haftet nicht gegenüber den Käufern von abgasmanipulierten Dieselfahrzeugen wegen einer möglicherweise rechtsfehlerhaft erteilten Typgenehmigung.

Der BGH hat im Rahmen der Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde Entschädigungsansprüche des Käufers eines Audi A4 gegen die Bundesrepublik Deutschland verneint, dessen Dieselmotor mit einer Software ausgestattet war, die auf dem Rollenprüfstand den Stickoxidausstoß gegenüber dem Normalbetrieb auf der Straße erheblich reduziert.

Fahrzeug mit Software zur Prüfstandserkennung erworben

Der Kläger hatte im September 2014 einen gebrauchten Audi A8 zu einem Kaufpreis von 35.440 EUR erworben. Das Fahrzeug verfügt über eine nach EU-Recht unzulässige Abschaltvorrichtung, welche die Situation auf dem Rollenprüfstand erkennt und dort den Schadstoffausstoß gegenüber dem Normalbetrieb auf der Straße auf das rechtlich erlaubte Maß reduziert.

Kläger rügt rechtsfehlerhafte Typgenehmigung

Der Kläger machte gerichtlich einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat geltend mit der Begründung, das Kraftfahrbundesamt habe eine fehlerhafte Typgenehmigung erteilt und den Käufern von Dieselfahrzeugen dadurch Schaden zugefügt. Die EU-Richtlinie 46/2007/EG „Richtlinie zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und Selbstständige technischen Einheiten für diese Fahrzeuge“ vom 5.9.2007 verpflichte die Mitgliedstaaten in Art. 46, Sanktionen für Verstöße gegen diese Richtlinie festzusetzen. Hierzu gehörten gemäß Art. 31 der EU-Richtlinie 46/2007/EG auch die Vorschriften über die zulässigen Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugmotoren.

Kein effektives Sanktionssystem implementiert

Der Kläger warf der Bundesrepublik vor, diese Vorschriften nicht in der erforderlichen Weise umgesetzt und insbesondere kein effektives Sanktionssystem geschaffen zu haben, um Verstöße zu ahnden. Hätte die Bundesrepublik, vertreten durch das Kraftfahrbundesamt, ihre Pflichten erfüllt, so wäre es nach seiner Argumentation nicht zum Abschluss seines Kaufvertrages über ein Fahrzeug mit unzulässiger Abschaltvorrichtung gekommen. Für den ihm hierdurch entstandenen Schaden in Form eines minderwertigen Fahrzeugs sei die Bundesrepublik daher verantwortlich.

Klage über sämtliche Instanzen erfolglos

Der Klage blieb in den ersten beiden Instanzen der Erfolg versagt. Gegen die vom Berufungsgericht abgelehnte Zulassung der Revision hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Diese hat der BGH zurückgewiesen und die grundsätzliche rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, die für eine Zulassung der Revision erforderlich wäre, verneint. Auf die Frage möglicher Fehler bei Erteilung der Typgenehmigung durch das Kraftfahrbundesamt kommt es nach der Entscheidung des BGH nicht an.

EU-Richtlinie dient Umwelt- und Verbraucherschutz

Nach der Entscheidung des BGH kann der Kläger aus der maßgeblichen EU-Richtlinie 46/2007/EG sowie der ergänzende Verordnung 715/2007/EG über die „Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und die zulässigen Emissionen von leichten Pkw-Nutzfahrzeugen (Euro V und Euro VI)“ keine individuellen Schadenersatzansprüche ableiten. Diese Normen verfolgen nach Auffassung des BGH nicht den Zweck des Schutzes individueller Käuferinteressen. Der Schutzzweck dieser Normen liege zunächst in dem Schutz der Bevölkerung vor umweltschädlichen Emissionen. Darüber hinaus dienten die Vorschriften dem Verbraucherschutz insoweit, als Verbraucher davor bewahrt werden sollen, ein Fahrzeug zu erwerben, das mangels der erforderlichen emissionsrechtlichen Voraussetzungen nicht zum Straßenverkehr zugelassen wird.

EU-Richtlinie schützt nicht wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht

Die Verletzung eines dieser Schutzzwecke hat der Kläger nach Auslegung des BGH mit seiner Klage nicht geltend gemacht. Seinem Fahrzeug sei die straßenverkehrsrechtliche Zulassung nicht verwehrt worden. Der Kläger rüge die Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts. Er mache geltend, einen Kaufvertrag abgeschlossen zu haben, den er in Kenntnis der vorhandenen Abschaltvorrichtung nicht abgeschlossen hätte. Er reklamiere für sich damit eine individuelle Schadensposition, die vom Schutzzweck der Richtlinie46/2007/EG und der Verordnung 715/2007/EG nicht erfasst werde.

Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos

Der BGH kam daher zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine Klage auf eine angebliche Rechtsposition stütze, die unzweifelhaft nicht unter den Schutz der von ihm in Anspruch genommenen Rechtsnormen falle. Dies sei auch keine grundsätzliche Rechtsfrage, die einer weiteren Klärung bedürfe. Die Revision sei daher von der Vorinstanz zu Recht nicht zugelassen worden.


(BGH, Beschluss v. 10.2.2022, III ZR 87/21)


Hintergrund

Die in der jetzigen Entscheidung vom BGH enthaltene Begründung zum Schutzzweck der EU-Richtlinie 46/2007/EG sowie der Verordnung 715/2007/EG ist nicht neu.

BGH setzt bisherige Rechtsprechungslinie fort

Bereits im Jahr 2020 hat der BGH in zwei Entscheidungen, bei denen Dieselkäufer Schadensersatzansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller geltend machten, den Schutzzweck dieser EU-Bestimmungen in den jeweiligen Urteilsbegründungen in der gleichen Weise begrenzt (BGH, Urteil v. 25.5.2020, VI ZR 252/19; BGH Urteil v. 30.7.2020, VII ZR 59/21). Das individuelle wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht wird nach dieser Rechtsprechung von diesen EU-Bestimmungen eindeutig nicht geschützt. Deshalb bedarf es zur Klärung dieser bereits beantworteten Rechtsfrage nach der Rechtsprechung des BGH auch keines Vorlagebeschlusses an den EuGH (BGH, Beschluss v. 1.9.2021, VII ZR 59/2).


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