EuGH stuft Abgasmanipulation als illegal ein / BGH urteilt zur Diesel-Verjährung
Die lang erwartete Entscheidung des EuGH zur rechtlichen Einstufung der in Dieselfahrzeugen von Autoherstellern verbauten Software zur Manipulation des Schadstoffausstoßes scheint auf den ersten Blick die Hoffnung vieler Autokäufer auf eine Verbesserung der Chancen in Regressprozessen gegen die Automobilhersteller zu stärken. Bei genauerem Hinsehen könnte sich diese Einschätzung aber als trügerisch erweisen.
Auslöser war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Paris gegen VW
Dem Urteil des EuGH liegt ein in Frankreich geführter Prozess gegen den deutschen Automobilhersteller VW zugrunde. Die StA in Paris hatte ein Ermittlungsverfahren gegen VW eingeleitet. Der Vorwurf: Massenhafte Täuschung der Käufer von Dieselfahrzeugen über wesentliche Eigenschaften der Fahrzeuge.
VW-Software zur Täuschung über den Schadstoffausstoß
Im einzelnen werfen die französischen Staatsanwälte dem Unternehmen VW vor, die betreffenden Dieselfahrzeuge mit einem Ventil zur Abgasrückführung (AGR) ausgestattet zu haben, dessen Software die Situation auf dem Rollenprüfstand bei Zulassungstests erkennt und die Abgasrückführung so anpasst, dass die vorgeschriebenen Emissionswerte eingehalten werden. Im Normalbetrieb würden die Stickoxidemissionen wieder deutlich erhöht.
EuGH bewertet Diesel-Abschaltvorrichtung als Verstoß gegen EU-Recht
Das für die Durchführung des Strafverfahrens zuständige Gericht in Paris wollte vom EuGH wissen, ob die von VW verwendete Abschaltvorrichtung nach EU-Recht unzulässig ist. Gemäß der EU-VO 715/2007 ist die Verwendung eines Emissionskontrollsystems unzulässig, das die Emissionswerte eines Fahrzeugs auf dem Rollenprüfstand im Verhältnis zum normalen Fahrzeugbetrieb verringert. In seinem Urteil bewertete der EuGH die von VW verwendete Abschaltvorrichtung als ein Konstruktionsteil im Sinne dieser Vorschrift.
Durch eine Erhöhung des Öffnungsgrades des AGR-Ventils auf dem Rollenprüfstand würde ein größerer Teil der Abgase zum Ansaugkrümmer zurückgeführt als im normalen Straßenbetrieb. Hierdurch würden die nach EU-Recht vorgesehenen Abgasgrenzwerte unterschritten, während sie im Straßenverkehr teilweise um den Faktor 10 überschritten würden.
Ausnahmetatbestand für Zulässigkeit greift nicht ein
Gemäß Art. 5 Abs. 2 EU-VO 715/20 kann eine solche Abschaltvorrichtung ausnahmsweise zulässig sein, wenn diese erforderlich ist, um den Motor vor Schäden zu bewahren. Hierzu führt der EuGH aus, dass dieser Rechtfertigungstatbestand nur dann eingreift, wenn die Technik erforderlich ist,
- um den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen oder
- um konkrete Gefahren während des Betriebs des Fahrzeugs auszuschließen.
Diese nach der EU-VO zulässigen Ausnahmen sind nach der Einschätzung des EuGH eng auszulegen. Keinesfalls dürften die Ausnahmen dazu führen, dass im Zulassungsverfahren systematisch die Leistung der Abgasreinigungssysteme so verbessert würde, dass die dort gemessenen günstigen Abgaswerte im normalen Straßenbetrieb die seltene Ausnahme seien.
Abschalteinrichtung nach EU-Recht unzulässig
Die Argumentation von Volkswagen, das Herunterfahren der Abgasreinigung in bestimmten Temperaturbereichen (Thermofenster) sei erforderlich, um einen sonst erheblich erhöhten Verschleiß der Motoren zu verhindern, wies das Gericht zurück. Ein erhöhter Verschleiß der Motoren infolge eines Abgasreinigungssystems sei kein Ausnahmetatbestand im Sinne der EU-Verordnung. Die Verordnung erfasse nur plötzlich auftretende, außergewöhnliche Motorschäden und nicht den schleichenden Verschleiß. Das von VW verwendete System sei daher nach EU-Recht unzulässig.
(EuGH, Urteil v.17.12.2020, C-693/18)
Hintergrund: EuGH-Urteil betrifft fast sämtliche namhaften Automobilhersteller
In den Medien wird das Urteil teilweise als große Chance für die Verbraucher gefeiert, zumal das Urteil nicht lediglich die von VW verwendeten Abschaltvorrichtungen betreffe. Das Urteil erfasse insgesamt die von fast allen namhaften Autoherstellern verwendeten Thermofenster, die bei Dieselfahrzeugen im Normalbetrieb zu einem erheblich erhöhten Schadstoffausstoß gegenüber dem Rollenprüfstand führten. Dies gelte insbesondere auch für das von VW in vielen Dieselfahrzeuge nachträglich eingebaute Software-Update, das die Abgasreinigung nicht wie vorher schon bei einer Temperatur von unter 15°, sondern erst bei einer Außentemperatur von unter 10° herunterregelt. Mit dieser eher geringfügigen Modifikation seien VW-Fahrzeuge auch nach Einbau des Updates nach Wertung des EuGH mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen.
Gerichte bei der Bewertung von Thermofenstern noch uneins
Dieses für Verbraucher zunächst als vorteilhaft erscheinendes Ergebnis könnte für Verbraucher zumindest in Deutschland durchaus negative Folgen haben. Viele deutsche Gerichte bewerten die Verwendung von Thermofenstern für sich genommen noch nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Dies betrifft auch das von VW in Dieselfahrzeugen verwendete nachträgliche Software-Update.
- Mit Einbau des auch vom KFB genehmigten Updates wird nach Auffassung einiger Obergerichte der Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Kunden durch VW ausgeräumt.
- Hierbei sei nicht entscheidend, ob nach Einbau des Updates - wegen des immer noch vorhandenen Thermofensters - objektivrechtlich von einer unzulässigen Aschaltvorrichtung auszugehen sei oder nicht (OLG Düsseldorf, Urteil v. 8.10.2020, I – 8 U 169/19).
Fahrzeug nicht zulassungsfähig und dennoch keine Ansprüche?
Diese Rechtsprechung könnte zu dem kuriosen Ergebnis führen, dass beispielsweise einige VW-Kunden - aber auch Kunden anderer Automobilhersteller - ein nach EU-Recht nicht zulassungsfähiges Fahrzeug besitzen und dennoch - zumindest in Deutschland - keine Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegenüber dem Hersteller hätten. Eine Entscheidung des BGH zur Frage der rechtlichen Bewertung von Thermofenstern wird frühestens im März 2021 erwartet.
Ansprüche gegen VW sind Ende 2018 verjährt
Zu dieser für Verbraucher unerfreulichen Situation passt ein ebenfalls am 17. Dezember ergangenes BGH-Urteil, wonach Schadensersatzansprüche von VW-Kunden, die erst 2019 oder später Klage eingereicht haben, verjährt sind. Nach dem Urteil des BGH hätten VW-Käufer, als der Dieselskandal 2015 publik wurde, innerhalb von drei Jahren Klage erheben müssen. Nur Käufer, die plausibel darlegen könnten, weshalb sie von dem VW-Skandal im Jahr 2015 noch keine Kenntnis erlangt haben, könnten sich auf eine längere Verjährungsfrist berufen (BGH, Urteil v. 17.12.2020, VI ZR 739/20).
Weitere News zum Thema:
BGH macht heftige Einschränkungen beim Schadenersatz von VW-Dieselkäufern
Hersteller von abgasmanipulierter Diesel können auch im Ausland verklagt werden
Verjährungsfrist beim abgasmanipulierten Diesel beginnt laut LG Osnabrück in 2016
-
Italienische Bußgeldwelle trifft deutsche Autofahrer
2.172
-
Wohnrecht auf Lebenszeit trotz Umzugs ins Pflegeheim?
1.7342
-
Gerichtliche Ladungen richtig lesen und verstehen
1.635
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
1.613
-
Überbau und Konsequenzen – wenn die Grenze zum Nachbargrundstück ignoriert wurde
1.471
-
Wie kann die Verjährung verhindert werden?
1.400
-
Brief- und Fernmelde-/ Kommunikationsgeheimnis: Was ist erlaubt, was strafbar?
1.368
-
Wann muss eine öffentliche Ausschreibung erfolgen?
1.305
-
Verdacht der Befangenheit auf Grund des Verhaltens des Richters
1.136
-
Formwirksamkeit von Dokumenten mit eingescannter Unterschrift
1.0461
-
Risiko der Betriebsstättenbegründung durch mobiles Arbeiten im Ausland
18.11.2024
-
Handelsregistervollmachten – Anforderungen und Umgang bei Rückfragen des Handelsregisters
12.11.2024
-
Datenschutzbehörden müssen nicht zwingend Sanktionen verhängen
07.11.2024
-
Typisch stille Beteiligung an Kapitalgesellschaften – Unterschiede zwischen GmbH und AG
06.11.2024
-
Bundesnetzagentur wird nationale Marktüberwachungsbehörde bei der KI-Aufsicht
05.11.2024
-
Neue Bundesverordnung zur „Cookie-Einwilligung“
31.10.2024
-
Zahl der Datenschutz-Bußgeldverfahren steigt
24.10.2024
-
Untersuchungs- und Rügeobliegenheit im B2B-Bereich
23.10.2024
-
Fernmeldegeheimnis gilt nicht für private E-Mails und Telefonate am Arbeitsplatz
17.10.2024
-
Wirecard: Geschädigte Aktionäre sind keine nachrangigen Gläubiger!
16.10.2024