BGH macht heftige Einschränkungen beim Schadensersatz für VW-Dieselkäufer
Vier BGH Entscheidungen gleich an einem Tag. Das verschafft für über 50.000 noch anhängige Schadenersatzklagen von Dieselkäufern in vielen Punkten Rechtsklarheit. Die gerichtlichen Streitigkeiten um Schadensersatzzahlungen gegenüber VW wegen des Einbaus unzulässiger Abschaltvorrichtungen in Dieselfahrzeugen dürften damit endgültig die Endrunde erreicht haben.
Der BGH hat nun unter Einbeziehung der Erstentscheidung vom Mai 2020 die wesentlichen rechtlichen Eckpfeiler für die noch anhängigen Verfahren gesetzt.
Rückblick: Erste Grundsatzentscheidung des BGH am 25.5.2020
Die erste Grundsatzentscheidung des BGH betraf den Kauf eines knapp zwei Jahre alten Gebrauchtwagens VW Sharan im Januar 2014. Das Fahrzeug verfügte über einen Dieselmotor der Baureihe EA 189, Schadstoffklasse EU 5 mit der bekannten Manipulationssoftware, die auf dem Rollenprüfstand einen Abgasrückführungsmodus mit einem niedrigeren Stickstoffdioxid-Ausstoß als im Normalbetrieb auf der Straße einleitet. Den in der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht bekannten Einbau dieser Schummel-Software bewertete der BGH als arglistige Täuschung der Kunden durch VW und damit als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB.
Der BGH verpflichtete VW zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Bereits in dieser Entscheidung bejahte der BGH allerdings die Anrechnung der gezogenen Nutzungen in Form der zurückgelegten Kilometer als Abzugsposten vom Rückzahlungsbetrag (BGH, Urteil v. 25.5.2020, IV ZR 252/19).
Fahrzeugkauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals
In einem der nun entschiedenen Fälle hatte der Käufer sein Fahrzeug, einen VW Touran, dessen Dieselmotor ebenfalls mit der Schummel-Software ausgestattet war, erst im August 2016 gekauft. Zu diesem Zeitpunkt war der „Diesel-Skandal“ in der Öffentlichkeit bereits bekannt. Bereits am 22. September 2015 hatte VW die Verwendung der Schummel-Software öffentlich eingeräumt, nachdem US-Umweltbehörden in ihrer „Notice of Violence“ diese Verfahrensweise von VW öffentlich gemacht hatten. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte am 15.10.2015 einen Bescheid gegenüber VW erlassen, in dem festgestellt wurde, dass die eingebaute Abgaseinrichtung in den Dieselmotoren unzulässig ist. Ende November 2015 teilte VW den Kunden mit, Software-Updates durchführen zu wollen, mit denen die Beanstandungen des KBA beseitigt werden sollten.
Kein Schadenersatz für Käufe nach September 2015
Der BGH entschied nun, dass das Verhalten von VW gegenüber Käufern, die erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals ein betroffenes Fahrzeug gekauft haben, keine arglistige sittenwidrige Täuschung war. Für die Bewertung eines Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB komme es auf den Gesamtcharakter des zu bewertenden Verhaltens des Schädigers an. Bereits im September 2015 habe VW sein Verhalten gegenüber den Käufern geändert, indem es die Käufer über den Sachverhalt aufgeklärt habe. Die Medien hätten ab diesem Zeitpunkt breit über den Sachverhalt berichtet. Damit seien Käufer ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arglos gewesen. Folglich hätte VW auch die Arglosigkeit der Käufer nicht mehr in sittenwidriger Weise ausnutzen können. Damit sei ein Anspruch auf Schadenersatz für Käufer, die nach September 2015 ein Fahrzeug erworben haben, nicht mehr gegeben (BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 5/20).
Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren
In einem weiteren Diesel-Urteil hat der BGH den Schadensersatzanspruch des Käufers eines Fahrzeugs mit eingebauter Schummel-Software deshalb verneint, weil das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits eine Laufleistung von ca. 255.000 km aufwies. Der Käufer hatte das Fahrzeug gebraucht mit einem Kilometerstand von ca. 57.000 km erworben und hat dann selbst nochmals rund 200.000 km zurückgelegt. Bereits das OLG Braunschweig hatte einen Schadensersatzanspruch deshalb verneint, weil bei einem Kilometerstand von über 250.000 km die Gesamtlaufleistungserwartung des Fahrzeugs von 250.000 km erreicht sei. Der BGH hat die Entscheidung des OLG bestätigt. Der Käufer habe sämtliche Nutzungsvorteile gezogen, die beim Kauf des Fahrzeugs für dessen gesamte Lebensdauer zu erwarten gewesen seien. Damit sei der grundsätzlich bestehende Schadensersatzanspruch durch die gezogenen Nutzungsvorteile vollständig aufgezehrt (BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 354/19).
OLG Oldenburg hatte Käuferin Deliktszinsen zuerkannt
In einem weiteren Verfahren hatte die Klägerin einen PKW Golf mit eingebauter "Schummel"-Software im August 2014 erworben. In einer viel beachteten Entscheidung hatte das OLG Oldenburg der Klägerin neben dem Anspruch auf Schadenersatz eine Verzinsung des gezahlten Kaufpreises ab dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung zugesprochen (OLG Oldenburg, Urteil v. 2.10.2019, 5 U 47/19). Das OLG hatte den Zinsanspruch mit § 849 BGB begründet. Nach dieser Vorschrift sind vom Schädiger sogenannte Deliktszinsen zu zahlen, wenn wegen der Entziehung einer Sache deren Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen ist.
Keine Deliktszinsen für geschädigte VW Käufer
Nach Auffassung des BGH hat die Vorinstanz § 849 BGB hier zu Unrecht angewendet. Die Vorschrift erfasse zwar grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, also auch den Verlust von Geld, den die Käuferin in Form der Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug erlitten hat.
Der BGH schloss eine Anwendung von § 849 BGB aber deshalb aus, weil die Klägerin als Gegenleistung für die Zahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe. Durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit sei der Verlust des Geldwertes kompensiert worden. § 849 BGB habe den Zweck, den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache durch eine pauschalierte Verzinsung auszugleichen. Da der Verlust der Käuferin im konkreten Fall aber kompensiert worden sei, entspreche eine Verzinsung hier nicht dem Zweck der Vorschrift komme daher nicht in Betracht (BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 397/19).
Das nachträgliche Software-Update kompensiert den Schaden nicht
In einer vierten Entscheidung schließlich hatte der Käufer eines im April 2013 erworbenen VW-Tiguan mit seiner Revision Erfolg. Dessen Klage auf Schadenersatz war von den Vorinstanzen abgewiesen worden mit der Begründung, der Kläger habe nicht dargelegt, welcher Täterkreis innerhalb des VW-Konzerns (Vorstand oder sonstiges Führungspersonal) ihm gegenüber eine Täuschungshandlung vorgenommen haben soll.
Diese Begründung bewertete der BGH unter Hinweis auf sein Urteil vom 25.5.2020 als rechtsfehlerhaft. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz habe der Kläger seiner Darlegungspflicht genügt, indem er behauptet habe, die dem Verhalten von VW zu Grunde liegende Entscheidungen seien auf der Leitungsebene des Konzerns getroffen oder zumindest gebilligt worden. Auch ist der Schaden des Klägers nach dem Urteil des BGH entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht durch Aufspielen des von VW entwickelten Software-Updates entfallen. Das OLG Braunschweig muss nach Zurückverweisung in diesem Fall daher erneut entscheiden (BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 367/19).
Hintergrund:
Nach Angaben von VW sind zur Zeit bundesweit noch zwischen 50.000 und 60.000 Klagen von VW-Dieselkäufern anhängig. Der Konzern hat angekündigt, auf Grundlage der nun ergangenen Urteile den dortigen Klägern großzügige Angebote auf Ausgleichszahlungen zu unterbreiten, um so den Großteil der noch anhängigen Rechtsstreitigkeiten durch Vergleich zu erledigen. Orientierungsgröße dürften die Zahlungen von VW an ca. 240.000 Teilnehmer der Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig sein. Diese haben von VW Entschädigungszahlungen zwischen 1.350 – 6.257 Euro erhalten, haben allerdings auch den Vorteil, dass sie ihre Fahrzeuge nicht zurückgeben müssen.
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