Leitsatz (amtlich)
Die Rücknahme einer wirksam eingelegten Beschwerde muss zwar nicht ausdrücklich, aber klar und unzweideutig erfolgen; bei Zweifeln ist der Erklärung des Beschwerdeführers die Bedeutung beizumessen, welche die geringeren verfahrensrechtlichen Folgen nach sich zieht.
Normenkette
FamFG § 67
Verfahrensgang
LG Dortmund (Beschluss vom 27.04.2018; Aktenzeichen 9 T 149/18) |
AG Unna (Beschluss vom 06.02.2018; Aktenzeichen 7 XVII 369/17) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Dortmund vom 27.4.2018 aufgehoben, soweit er die Auswahl der Betreuerin und des Ersatzbetreuers betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Für die 1960 geborene Betroffene wurde erstmals im Jahr 2013 eine Betreuung eingerichtet. Das AG hat die Betreuung nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung der Betroffenen verlängert. Es hat die Beteiligte zu 1) zur Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis "Anhalten, Entgegennahme und Öffnen der Post, Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern, Vertretung vor Gerichten" bestellt. Ferner wurde ein Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet. Mit ihrer Beschwerde hat die Betroffene geltend gemacht, keine Betreuung zu benötigen; zumindest wünsche sie, dass ihre Mutter (Beteiligte zu 3) zur Betreuerin bestellt werde. Das LG hat die Betroffene in Gegenwart ihres Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt M. am 24.4.2018 erneut angehört. Im Rahmen dieser Anhörung bekamen die Betroffene, die Berufsbetreuerin und die Mutter der Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung. Am Ende der Anhörung wurde das Folgende protokolliert:
"Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage bestand Einvernehmen darüber, dass die Betreuung im Bereich Vermögenssorge und der Einwilligungsvorbehalt aufgehoben werden sollen und dass es im Übrigen bis zum Ablauf der Überprüfungsfrist zunächst bei der Betreuung verbleiben soll. Rechtsanwalt M. erklärte: Die Beschwerde wird auf den vorgenannten Umfang beschränkt."
Rz. 2
Das LG hat den angefochtenen Beschluss des AG neu gefasst und ausgesprochen, dass die Beteiligte zu 1) als Berufsbetreuerin nur noch für den Aufgabenkreis "Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern, Vertretung vor Gerichten" sowie für "Anhalten, Entgegennahme und Öffnen der Post im Rahmen der Aufgabenkreise" bestellt wird. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die eine Bestellung ihrer Mutter zur Betreuerin erstrebt.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt wegen der Entscheidung zur Betreuerauswahl zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Rz. 5
a) Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft. Dass sich die Rechtsmittel der Betroffenen nicht mehr gegen die Verlängerung der Betreuung, sondern nur noch gegen die Entscheidung über die Auswahl der Person richtet, ist angesichts des Einheitscharakters der Entscheidung über die Einrichtung bzw. Verlängerung der Betreuung und der Bestellung eines Betreuers unschädlich (BGH, Beschl. v. 25.3.2015 - XII ZB 621/14, FamRZ 2015, 1178 Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 6
b) Die Betroffene ist auch beschwerdeberechtigt. Die Beschwerdeberechtigung setzt eine formelle oder eine eigenständige materielle Beschwer durch die Beschwerdeentscheidung voraus. Hat der Rechtsbeschwerdeführer - wie hier - auch die Erstbeschwerde erhoben, so ist er durch die Beschwerdeentscheidung formell beschwert, wenn und soweit sein Rechtsmittel in der Beschwerdeinstanz ohne Erfolg geblieben ist (vgl. BGH v. 14.10.2015 - XII ZB 695/14, FamRZ 2016, 120 Rz. 12 m.w.N.; v. 5.11.2014 - XII ZB 117/14, FamRZ 2015, 249 Rz. 4).
Rz. 7
So liegt der Fall hier. Die vom Beschwerdegericht in der neu gefassten Betreuungsanordnung ausgesprochene und insoweit die amtsgerichtliche Entscheidung bestätigende Bestellung der Beteiligten zu 1) zur Berufsbetreuerin ist in der Sache als konkludente (Teil-) Zurückweisung der Erstbeschwerde in Bezug auf die Betreuerauswahl anzusehen. Die von dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen im Rahmen der mündlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren erklärte Rechtsmittelbeschränkung kann nicht zweifelsfrei dahingehend ausgelegt werden, dass sich die Betroffene nach der Teilrücknahme ihrer Beschwerde nur noch gegen die Einrichtung einer Betreuung für die Vermögenssorge sowie die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts wenden und demgegenüber die Bestellung der Beteiligten zu 1) zur Berufsbetreuerin für die verbleibenden Aufgabenbereiche hinnehmen wollte.
Rz. 8
aa) Insoweit geht es um die Auslegung einer Verfahrenserklärung, die das Rechtsbeschwerdegericht nach ständiger Rechtsprechung des BGH ohne Einschränkungen nachprüfen und in freier Würdigung selbst auslegen darf (vgl. BGH v. 22.3.2017 - XII ZB 56/16, FamRZ 2017, 900 Rz. 27 m.w.N.). Die Zurücknahme eines Rechtsmittels muss zwar nicht ausdrücklich, aber doch eindeutig erklärt werden. Inhaltlich muss der Rechtsmittelführer klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass er das Verfahren nicht mehr fortsetzen und ohne Entscheidung des Rechtsmittelgerichts beenden will (vgl. BGH v. 23.9.1987 - IVb ZB 59/86, FamRZ 1988, 277, 278; BGH Beschlüsse v. 15.3.2006 - IV ZB 38/05, NJW-RR 2006, 862 Rz. 15; v. 22.1.2002 - VI ZB 51/01, NJW 2002, 1352, 1353; MünchKommFamFG/A. Fischer 3. Aufl., § 67 Rz. 36). Bei Zweifeln ist der Erklärung die Bedeutung beizumessen, welche die geringeren verfahrensrechtlichen Folgen nach sich zieht (Wieczorek/Schütze/Gerken ZPO, 3. Aufl., § 516 Rz. 13; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 516 Rz. 8; vgl. bereits RG JW 1935, 2281, 2282).
Rz. 9
bb) Gemessen daran ist die in der mündlichen Anhörung am 24.4.2018 protokollierte Erklärung des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen zur Beschränkung des Rechtsmittels nicht eindeutig.
Rz. 10
Das ausweislich des gerichtlichen Protokolls im Anhörungstermin erzielte Einvernehmen darüber, dass es im Übrigen - d.h. bezüglich der Gesundheitssorge und der damit zusammenhängenden Aufgabenbereiche - bis zum Ablauf der Überprüfungsfrist "zunächst bei der Betreuung verbleiben" solle, lässt angesichts des Umstands, dass ein Betreuter sein Rechtsmittel wirksam auf die Betreuerauswahl beschränken könnte, begrifflich zwei Auslegungsmöglichkeiten zu. Entweder umfasste die Verständigung sowohl die Betreuungsanordnung (das "Ob" der Betreuung) als auch die Betreuerauswahl (das "Wie" der Betreuung) oder die Erzielung des Einvernehmens beschränkte sich lediglich auf die Betreuungsanordnung. Insoweit bestehen im vorliegenden Fall auch deshalb Zweifel, weil die Betroffene in der Anhörung weiterhin den ausdrücklichen Wunsch geäußert hat, von ihrer Mutter betreut zu werden und sich die Mutter der Betroffenen im Rahmen der Anhörung zur Frage ihrer Eignung als Betreuerin äußern konnte. Bleibt die Reichweite des in der mündlichen Anhörung erzielten Einvernehmens im Unklaren, fehlt auch der Erklärung des Verfahrensbevollmächtigten, die eingelegte Beschwerde "auf den vorgenannten Umfang" zu beschränken, notwendigerweise die erforderliche Eindeutigkeit. Im Zweifel ist daher (lediglich) von einer Beschränkung des Rechtsmittels auf die Betreuerauswahl auszugehen, weil dies die verfahrensrechtlich weniger weitreichende Auslegungsmöglichkeit darstellt.
Rz. 11
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Da das Beschwerdegericht erkennbar davon ausgegangen ist, dass eine gerichtliche Entscheidung zur Betreuerauswahl im angeordneten Aufgabenkreis nicht mehr erforderlich ist, hat es sich folgerichtig nicht mehr mit der Frage befasst, ob der von der Betroffenen geäußerte Betreuervorschlag verbindlich ist (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB), oder ob die Bestellung der Mutter der Betroffenen - wie das AG meint - dem Wohl der Betroffenen zuwiderläuft.
Rz. 12
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Fundstellen