Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung. hier: Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG
Tenor
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Ein nach dem letzten Wort des Angeklagten und unmittelbar vor dem Urteil verkündeter Beschluß über die Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO ist Teil der abschließenden Entscheidung des Gerichts; dies gilt auch dann, wenn durch den Einstellungsbeschluß über einen das Verfahren insgesamt betreffenden Hilfsbeweisantrag mittelbar mitentschieden wird (im Anschluß an BGH, Urteil vom 21. Februar 1979 – 2 StR 473/78).
Der Senat fragt beim 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs an, ob an der entgegenstehenden Entscheidung vom 12. April 1983 – 5 StR 162/83 (= NStZ 1983, 469) festgehalten wird.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der – den Tatvorwurf bestreitende – Angeklagte mit seiner Revision, mit der er unter anderem beanstandet, daß ihm und seiner Verteidigerin entgegen § 258 StPO nach der Verkündung eines (Teil–)Einstellungsbeschlusses gemäß § 154 Abs. 2 StPO nicht nochmals Gelegenheit gegeben worden sei, sich zu äußern, und ihm auch nicht erneut das letzte Wort erteilt, sondern sogleich das Urteil verkündet worden sei.
Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Am dritten Hauptverhandlungstag wurde die Beweisaufnahme (erneut) geschlossen, nachdem die Verteidigerin einen Hilfsbeweisantrag gestellt hatte. Durch die begehrte Beweiserhebung sollte die Glaubwürdigkeit der Geschädigten und Hauptbelastungszeugin erschüttert werden. Der Staatsanwalt beantragte, einen Teil des Anklagevorwurfs – eine nach dem angeklagten Vergewaltigungsgeschehen an dem Tatopfer begangene (weitere) Körperverletzung – gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen und den Angeklagten im übrigen zu verurteilen. Die Nebenklägerin schloß sich dem Antrag des Staatsanwalts an. Nach einem rechtlichen Hinweis beantragte die Verteidigerin Freispruch. Der Angeklagte hatte das letzte Wort; er verzichtete auf Ausführungen zu seiner Verteidigung. Sodann wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und an einem anderen Tag mit der Verkündung des (Teil-) Einstellungsbeschlusses – wie vom Staatsanwalt beantragt – und des Urteils fortgesetzt. Der Hilfsbeweisantrag wurde in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei abgelehnt.
1. Der Senat hält die Rüge für unbegründet. An der Verwerfung der Revision insoweit sieht er sich jedoch durch den Beschluß des 5. Strafsenats vom 12. April 1983 – 5 StR 162/83 (= NStZ 1983, 469 = StV 1984, 104) gehindert. Nach dieser Entscheidung muß dem Angeklagten nochmals das letzte Wort erteilt werden, wenn der Urteilsverkündung ein (Teil-)Einstellungsbeschluß nach § 154 Abs. 2 StPO vorausgegangen ist, durch den über einen Hilfsbeweisantrag des Verteidigers zur Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen – betreffend auch Fälle, in denen verurteilt wurde – mittelbar mitentschieden worden ist.
2. Der Beschluß des 5. Strafsenats vom 12. April 1983 betrifft zwar die Fallgestaltung, daß nach der Teileinstellung – anders als in der beim Senat anhängigen Sache – über den Hilfsantrag [wohl] nicht mehr befunden wurde. Der Entscheidung des 5. Strafsenats ist jedoch als tragende Rechtsauffassung zu entnehmen, daß das Gericht erneut in die Verhandlung eintrete, wenn es mit der Verkündung des Einstellungsbeschlusses zu erkennen gibt, daß es sich (wenn auch nur mittelbar) mit dem Hilfsbeweisantrag befaßt hat, soweit er zur Verurteilung führende Verfahrensteile betraf (Schlothauer StV 1984, 134, 135; vgl. auch BGH StV 1982, 4 [5. Strafsenat: Abtrennungsbeschluß]). Das ist in dem vom Senat zu entscheidenden Fall ebenso; denn die Teileinstellung konnte nur bei Ablehnung des Hilfsbeweisantrages (insgesamt) erfolgen.
3. Der Senat ist der Auffassung, daß ein nach dem letzten Wort des Angeklagten und unmittelbar vor dem Urteil verkündeter Beschluß über die Teileinstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO Teil der abschließenden Entscheidung des Gerichts ist, und daß dies auch dann gilt, wenn durch den Einstellungsbeschluß über einen das Verfahren insgesamt betreffenden Hilfsbeweisantrag mittelbar mitentschieden wird.
a) Es ist umstritten, ob in der Verkündung des Teileinstellungsbeschlusses ein zu erneuten Ausführungen und zur nochmaligen Erteilung des letzten Wortes zwingender Wiedereintritt in die Verhandlung zu sehen ist (vgl. BGH NStZ 1999, 257 = StV 2000, 296; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl., § 258 Rdn. 6, Fn. 27 f. jeweils m.w.N.). Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat dies in seinem Urteil vom 21. Februar 1979 – 2 StR 473/78 – verneint, weil der Einstellungsbeschluß lediglich einen Teil der aus Beschluß und Urteil bestehenden Endentscheidung darstelle (zustimmend Pelchen JR 1986, 166, 167; KMR-Stuckenberg § 258 Rdn. 5; offengelassen in BGH NJW 1985, 1479, 1480 [1. Strafsenat]; NStZ 1990, 228 [3. Strafsenat]; 1999, 244 [4. Strafsenat] und 257 [3. Strafsenat]). Der Beschluß des 5. Strafsenats vom 12. April 1983 (NStZ 1983, 469) nimmt auf das Urteil vom 21. Februar 1979 ausdrücklich Bezug.
b) Für die Auffassung des 2. Strafsenats spricht, daß der Angeklagte keine Möglichkeit hat, sich erneut zu äußern, wenn das Gericht nach Beratung dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Teileinstellung des Verfahrensnicht folgt und ihn (ohne Beschlußfassung) auch insoweit verurteilt. Dann erscheint es aber widersinnig, daß er bei der für ihnpositiven Entscheidung des Gerichts ein erneutes Äußerungsrecht haben soll. Der 3. Strafsenat hat zudem zutreffend darauf hingewiesen, daß nicht Zufälligkeiten über den Bestand des Urteils bei einer Rüge nach § 258 StPO entscheiden dürfen (s. BGH NStZ 1999, 257): So machen etwa die der Urteilsverkündung erst nachfolgende Mitteilung des (Teil-) Einstellungsbeschlusses (s. BGH StV 1996, 297 [5. Strafsenat]) oder die – unzulässige – formale Aufnahme der Teileinstellungsentscheidung in die verkündete Urteilsformel (regelmäßig) keine erneute Worterteilung erforderlich.
c) Sinn der Regelung des Äußerungsrechts in § 258 StPO ist die Wahrung des rechtlichen Gehörs (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl., § 258 Rdn. 1). Werden dem Verteidiger und dem Angeklagten nach dem Schlußvortrag des Staatsanwalts und dessen Antrag auf Teileinstellung des Verfahrens das Recht zum Schlußvortrag eingeräumt und hatte der Angeklagte vor der Urteilsberatung als letzter Verfahrensbeteiligter Gelegenheit zur Äußerung (vgl. BGHSt 13, 53, 60; BGH NStZ 1993, 551), so ist das rechtliche Gehör umfassend gewährt worden, weil der Verteidiger und der Angeklagte zu dem gesamten Vorbringen des Staatsanwalts Stellung nehmen konnten. Das Ergebnis der unmittelbar anschließenden zur Teileinstellung und Verurteilung im übrigen führenden Beratung des Gerichts ist eineeinheitliche Entscheidung, die auch die Behandlung der Hilfsbeweisanträge umfaßt; denn über sie ist erst im Rahmen der Urteilsberatung zu befinden (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 7; Herdegen in KK 4. Aufl., § 244 Rdn. 50 a). Wird über einen Hilfsbeweisantrag nur „mittelbar” im Teileinstellungsbeschluß entschieden, so kann zwar (möglicherweise) die rechtsfehlerhafte Behandlung des Hilfsbeweisantrags mit Erfolg gerügt werden, nicht aber § 258 StPO. Ein Verstoß gegen § 258 StPO läge noch nicht einmal vor, wenn der hilfsweise gestellte Beweisantrag, der an sich in den Urteilsgründen hätte abgelehnt werden können, ohne Erörterung gleichzeitig mit der Urteilsverkündung durch einen besonderen Beschluß zurückgewiesen wird (RGSt 55, 109 f.; OLG Karlsruhe MDR 1966, 948; Gollwitzer aaO Rdn. 6; Niemöller JZ 1992, 884 Fn. 4 m.w.N.).
Ob etwas anderes gilt, wenn das Gericht für den Angeklagten einen Vertrauenstatbestand dadurch schafft, daß es vor der Verkündung des Urteils nochmals ausdrücklich in die Verhandlung eintritt (s. etwa die Fallgestaltungen in BGH NJW 1985, 1479; NStZ-RR 1998, 15; BGH, Urteil vom 21. Dezember 1966 – 4 StR 404/66), kann dahinstehen; denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
4. Der Senat fragt daher beim 5. Strafsenat gemäß § 132 Abs. 3 GVG an, ob an der Entscheidung vom 12. April 1983 – 5 StR 162/83 – festgehalten wird.
Unterschriften
VRiBGH Prof. Dr. Meyer-Goßner ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhindert. Kuckein, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 519189 |
NJW 2001, 1222 |
NStZ 2001, 218 |
JuS 2001, 614 |