Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. Januar 2000 – 1 U 2766/99 – wird nicht angenommen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: 249.886,00 DM.
Gründe
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Der Kläger reichte im Januar 1992 beim Landratsamt einen Antrag auf Um- und Anbau seines Milchviehstalles zu einem Schweinemaststall ein. Mit Schreiben vom 4. August 1992 teilte das Landratsamt der beklagten Gemeinde mit, daß das Bauvorhaben auch unter immissionsschutzrechtlichen Gesichtspunkten genehmigungsfähig sei; es ersuchte die Gemeinde unter Hinweis auf mögliche Schadensersatzansprüche um Erteilung des Einvernehmens.
Die Gemeinde, die schon im Dezember 1991 ihr Einvernehmen (erstmals) nicht erteilt hatte, verweigerte in der Sitzung des Gemeinderats vom 3. September 1992 ihr Einvernehmen erneut. In einem vom Kläger angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren, zu dem die Gemeinde beigeladen worden war, gelangte das Verwaltungsgericht durch rechtskräftig gewordenes Urteil zu der Auffassung, daß das Vorhaben genehmigungsfähig sei. Daraufhin erteilte die Gemeinde am 7. November 1995 das Einvernehmen. Der Baugenehmigungsbescheid des Landratsamtes erging am 23. Januar 1996.
Der Kläger begehrt Ersatz des Schadens, der ihm durch die verzögerte Aufnahme des Schweinemastbetriebes entstanden ist. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Schadensersatzanspruch auf den Zeitraum vom 4. September 1992 bis zum 1. Juni 1995 beschränkt ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
II.
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Amtspflichtverletzung den geltend gemachten Schaden verursacht hat, kommt es nach der ständigen Rechtsprechung darauf an, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten und wie dann die Vermögenslage des Geschädigten wäre (BGHZ 96, 157, 171; Senatsurteil vom 7. Dezember 2000 – III ZR 84/00 – zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). In diesem Zusammenhang unterstellt das Berufungsgericht zugunsten der Beklagten, daß bei einer rechtzeitigen (pflichtgemäßen) Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu der beantragten Baugenehmigung der Nachbar B. dagegen – und auch gegen eine etwaige Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit durch die Bauaufsichtsbehörde – vorgegangen wäre, und sich dann das Vorhaben in gleicher Weise verzögert haben würde. Das Berufungsgericht hält indessen diese Erwägung für nicht durchgreifend, weil in diesem Falle zwischen dem widersprechenden Nachbarn und der ihr Einvernehmen versagenden Gemeinde eine „deliktsrechtliche Gesamtschuldnerschaft” anzunehmen sei, wie sie etwa auch zwischen Gemeinde und Bauaufsichtsbehörde bestehen könne (vgl. Senatsurteil BGHZ 118, 263).
1. Diese Begründung ist, wie die Revision zu Recht geltend macht, nicht haltbar. Ein Grundstückseigentümer, der in der – hier keineswegs fernliegenden (geplante Errichtung eines Schweinemaststalles mit 684 Mastplätzen) – Befürchtung, ein Bauvorhaben bringe für ihn erhebliche und unzumutbare Geruchsbelästigungen mit sich, die nach der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die seinem Nachbarn erteilte Baugenehmigung ergreift, begeht grundsätzlich – wenn nicht die besonderen Voraussetzungen des § 826 BGB vorliegen – keine unerlaubte Handlung zum Nachteil des Begünstigten im Sinne der §§ 823 ff BGB.
Eine Gesamtschuldnerschaft zwischen Nachbar und Gemeinde im Sinne des § 840 Abs. 1 BGB ist daher nicht begründbar.
2. Gleichwohl erweist sich das Berufungsurteil im Ergebnis als richtig.
a) Die Revisionserwiderung macht geltend, schon nach allgemeinen Grundsätzen der Haftungszurechnung könne sich die beklagte Gemeinde nicht darauf berufen, bei eigenem pflichtgemäßen Verhalten wäre der gleiche Schaden durch den Rechtsbehelf eines Nachbarn verursacht worden. In Rechtsprechung und Schrifttum sei einhellig anerkannt, daß der Schädiger sich nicht auf die hypothetische Schadensverursachung durch einen Dritten berufen könne, wenn dem Geschädigten gegen diesen ebenfalls ein Schadensersatzanspruch zugestanden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1966 – II ZR 173/64 – NJW 1967, 551, 552; Staudinger/Schiemann, 13. Bearb., § 249 Rn. 95; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., Vorbem vor § 249 Rn. 100). Dieser Grundsatz sei dahin zu erweitern, daß das hypothetische schädigende Verhalten eines Dritten immer unberücksichtigt bleiben müsse, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob hieraus für den Geschädigten ein Ersatzanspruch gegen den Dritten hätte entstehen können. Jedenfalls sei das hypothetische Verhalten des Nachbarn im vorliegenden Fall deshalb unerheblich, weil dessen Berücksichtigung mit dem Schutzzweck der verletzten Amtspflicht nicht zu vereinbaren sei. Ansonsten könne sich der Amtsträger unter Hinweis auf das Verhalten eines Dritten, der anders als die Behörde keine besonderen Amts- oder Sorgfaltspflichten gegenüber dem Geschädigten zu beachten hat, seiner Verantwortung entziehen.
b) Ob diesen Ausführungen in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, kann vorliegend dahinstehen. Die Revision hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil zugunsten des Klägers der Grundsatz zum Tragen kommt, daß im Amtshaftungsprozeß bei der Beantwortung der Frage, wie sich die (hypothetische) Einlegung eines Rechtsbehelfs und die daraufhin ergehenden behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen auf das Entstehen oder die Entwicklung eines Schadens ausgewirkt hätte, auf die rechtliche Sicht des über den Ersatzanspruch entscheidenden Gerichts abzustellen ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 1986 – III ZR 77/84 – NJW 1986, 1924, 1925 zur Frage, ob ein Rechtsbehelf des Geschädigten den aus einer Amtspflichtverletzung herrührenden Schaden hätte abwenden können).
Dabei ist weiter zu berücksichtigen, daß aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts für den Amtshaftungsprozeß bindend feststeht, daß der Kläger von Anfang an einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hatte.
Hieraus ergibt sich:
aa) Die Bauaufsichtsbehörde ist nach eingehender Prüfung des Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, daß das Bauvorhaben des Klägers insbesondere unter Berücksichtigung immissionsschutzrechtlicher Gesichtspunkte genehmigungsfähig ist und die von den Nachbarn erhobenen Einwände unzumutbarer Geruchsbelästigungen nicht stichhaltig sind. Sie hat ihre Würdigung der Sach- und Rechtslage der Beklagten mit dem Ersuchen mitgeteilt, das erforderliche Einvernehmen zu erteilen.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht ernsthaft zweifelhaft sein, daß die Bauaufsichtsbehörde, wenn die Beklagte ihr Einvernehmen erteilt hätte, mit Blick auf die – zu erwartenden – Nachbarwidersprüche entweder gleich nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung angeordnet oder eine dahingehende Anordnung jedenfalls sofort nach Einlegung des Widerspruchs auf Antrag des Klägers nach § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO erlassen hätte. Dahingehendem Sachvortrag des Klägers ist die Beklagte in den Tatsacheninstanzen nicht entgegengetreten. Die Revision kommt hierauf auch nicht mehr zurück.
bb) Wenn bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Nachbar B. – wovon aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen ist – nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht beantragt hätte, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen, so hätte das Verwaltungsgericht prüfen müssen, ob das Vollzugsinteresse des Bauherrn oder das Aussetzungsinteresse des Nachbarn höher zu veranschlagen sei. Bei dieser Prüfung stellen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs ein bedeutsames Gewichtungselement dar. Das hat zur Folge, daß ein schutzwürdiges privates Nachbarinteresse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben, nicht anzuerkennen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 80 Rn. 73 ff).
Nach dem zuvor Gesagten ist im Amtshaftungsprozeß davon auszugehen, daß das Verwaltungsgericht auch im Aussetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung erkannt und dementsprechend einem Aussetzungsantrag des Nachbarn B. nicht entsprochen hätte.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann deshalb zugunsten der Beklagten nicht unterstellt werden, das Bauvorhaben des Klägers hätte sich aufgrund der von dem Nachbarn B. eingelegten Rechtsbehelfe in gleicher Weise verzögert, wie dies tatsächlich wegen der rechtswidrigen Versagung des gemeindlichen Einvernehmens durch die Beklagte geschehen ist.
3. Auch im übrigen weist das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten auf.
Unterschriften
Rinne, Streck, Schlick, Kapsa, Galke
Fundstellen
Haufe-Index 507832 |
BGHR 2001, 235 |
BGHR |
BauR 2001, 932 |
IBR 2001, 236 |
VersR 2002, 712 |
ZfBR 2001, 286 |
BayVBl. 2001, 506 |
UPR 2001, 224 |