Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Urteil vom 01.09.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 1. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen ist Ausgangspunkt der verfahrensgegenständlichen Taten ein Nachbarschaftsstreit. Der Beschuldigte warf seinen Nachbarn, dem Ehepaar H., vor, 1993 seine Zustimmung zur Eintragung einer Baulast auf seinem Grundstück unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen zu haben. Es kam in der Folgezeit zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen, Unterlassungsverfügungen und Strafanzeigen. Der Beschuldigte verlegte sich im Lauf der Zeit zunehmend darauf, die Zeugen H. zu beleidigen und zu drohen, deren Haus anzuzünden, wodurch deren Lebensführung massiv beeinträchtigt wurde.
Rz. 3
Der Unterbringungsanordnung liegen insgesamt sechs Vorfälle zu Grunde. Im Fall III. 1 der Urteilsgründe stand der Rechtsanwalt der Eheleute H. mit ihnen auf deren Terrasse. Der Beschuldigte lief hinzu und bezeichnete den Rechtsanwalt u.a. als Kriminellen und Verbrecher und drohte, das Haus der Familie H. anzuzünden und in Schutt und Asche zu legen. Im Fall III. 2 warf der Beschuldigte mit einem Hammer in Richtung von Frau H., als sie an der Grundstücksgrenze Brennesseln schnitt. Der Hammer blieb im etwa zwei Meter hohen Maschendrahtzaun an der Grundstücksgrenze hängen. In einem Strafverfahren (Fall III. 3) und in einem Zivilverfahren (Fall III. 4) vor dem Amtsgericht K. redete sich der Beschuldigte jeweils in Rage und drohte, das Haus der Familie H. anzuzünden. Im Fall III. 5 war der Beschuldigte mit dem Zeugen P. in Streit geraten, als sich dieser mit dem Zeugen H. auf der Straße unterhielt. Auf die Äußerung des Zeugen P., dass der Beschuldigte „eh am Ende sei” und sein Haus verlieren werde, entgegnete der Beschuldigte „dass er an dem Tag, an dem bekannt werde, dass sein Haus versteigert werde, den Schweinestall anzünden werde”. Im Fall III. 6 führte der Beschuldigte nach einem Gerangel mit dem Zeugen P., das von dem Zeugen H. beendet wurde, mit einem Klappmesser Stichbewegungen in Richtung der Körpermitte der Zeugen P. und H. aus.
Rz. 4
Das Landgericht hält die Voraussetzungen des § 63 StGB für erfüllt, da die Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen worden seien und krankheitsbedingt mit weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten des Beschuldigten zu rechnen sei.
Rz. 5
Es hat – sachverständig beraten – eine anhaltende wahnhafte Störung (Ziffer F 22.0 der ICD-10) bejaht. Der Beschuldigte habe seit Mitte der 90er Jahre eine Verschwörungstheorie aufgebaut, dass alle ihm nur Böses wollten. In seinem Kampf gegen die empfundene Ungerechtigkeit ignoriere er jegliche Konsequenzen für sich und andere. Bei einem Kontakt mit einer Person aus seinem Verschwörungskonstrukt sei die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sicher und vollständig aufgehoben.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu tragen.
Rz. 7
Diese setzt neben der positiven Feststellung einer auf einem länger andauernden, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekt beruhenden Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) voraus, dass die unterzubringende Person eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, d.h. mit diesem in einem ursächlichen und symptomatischen Zusammenhang steht. Schließlich muss die Gesamtwürdigung von Tat und Täter ergeben, dass – auf Grund des zur Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit führenden Zustandes – eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (st. Rspr.; z.B. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 – 3 StR 160/99, BGHR StGB § 63 Zustand 34; BGH, Beschluss vom 23. November 2010 – 3 StR 410/10).
Rz. 8
1. Die Feststellungen zu den zu Grunde liegenden Delikten tragen in den Fällen III. 2 bis 6 der Urteilsgründe nicht die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Würdigung. Das Landgericht hat im Fall III. 2 eine Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB bejaht, in den Fällen III. 3 bis 5 jeweils Bedrohung und Nachstellung und im Fall III. 6 eine versuchte gefährliche Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und Nachstellung.
Rz. 9
a) Die Feststellungen belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstellung erfüllt ist. Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 193; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. § 238 Rn. 6; Fischer, StGB, 58. Aufl. § 238 Rn. 9; BT-Drucks. 16/575 S. 7).
Rz. 10
Im Fall III. 2 der Urteilsgründe könnte zwar in dem Hammerwurf die Androhung einer Verletzung von körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB) gesehen werden. Angesichts des Ausgangspunkts der Tätlichkeit – Verhinderung des Brennesselschneidens – erscheint jedoch zweifelhaft, ob der Beschuldigte hiermit die Zielrichtung des Eindringens in den persönlichen Lebensbereich der Nachbarin im Sinne der Nachstellung verfolgt hat. Die Feststellungen schildern zudem keine konkreten gleichartigen vorangegangenen Vorfälle, durch die ein tatbestandliches beharrliches Handeln belegt würde. In den Fällen III. 3 und 4 lässt das Landgericht offen, welche Tatvariante es durch die Drohung des Anzündens des Hauses als erfüllt ansieht, etwa eine Bedrohung von Leib und Leben im Sinne von § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB oder eine andere vergleichbare Handlung im Sinne von § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, ob die Eheleute H. zum Zeitpunkt der Äußerungen des Beschuldigten im Gerichtssaal anwesend und die Drohungen an sie gerichtet waren. Dies lässt auch die Erfüllung des Tatbestandes der Bedrohung zweifelhaft erscheinen. Gleiches gilt hinsichtlich der Äußerung des Beschuldigten im Fall III. 5: insoweit lässt sich den Feststellungen bereits nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, welches Haus er mit „Schweinestall” gemeint hat. Auch im Fall III. 6 hat das Landgericht nicht näher dargelegt, durch welches Verhalten des Beschuldigten es den Tatbestand der Nachstellung als erfüllt ansieht. Einer näheren Darlegung hätte es hier aber angesichts der letztlich vom Zeugen P. ausgelösten Auseinandersetzung bedurft.
Rz. 11
Des Weiteren setzt der Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB voraus, dass die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führt. Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits jeweils durch die verfahrensgegenständlichen einzelnen Handlungen des Beschuldigten eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196 f.).
Rz. 12
b) Im Fall III. 6 enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen zum Verletzungsvorsatz des Beschuldigten. Ein Verletzungsvorsatz kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, denn sie enthalten keine Angaben, wie dicht die Zeugen H. und P. bei dem Beschuldigten standen, ob er sie mit dem Messer erreicht hat oder hätte erreichen können und ob die Zeugen den Stichen ausgewichen sind. Im Fall III. 2 hat bereits das Landgericht eine versuchte gefährliche Körperverletzung ausgeschlossen; die insoweit getroffenen Feststellungen würden auch in diesem Fall einen entsprechenden Vorsatz des Beschuldigten nicht belegen.
Rz. 13
2. Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Vorliegen einer anhaltenden wahnhaften Störung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht setzt sich nicht erkennbar damit auseinander, dass die Überzeugung des Beschuldigten, alle wollten ihm nur Böses, im Ausgangspunkt einen realen Ansatzpunkt hatte; die möglicherweise unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichene Eintragung einer Baulast auf seinem Grundstück und in der Folgezeit zahlreiche verlorene Prozesse. Die tatsächlichen Ausgangspunkte des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. R. und dessen Begründung für das Vorliegen eines Wahns teilt das Urteil nicht explizit mit. Die Urteilsausführungen S. 14, dass auch sonstige Umstände „wie das männliche Geschlecht, das fortgeschrittene Alter und die fortwährende Isolation des Beschuldigten, seine Sprunghaftigkeit und die Ablehnung jeglicher Medikamente” für das Vorliegen eines Wahns sprächen, sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Einer näheren Begründung für das Vorliegen einer wahnhaften Störung hätte es hier auch deshalb bedurft, weil der Zeuge Dr. A. bei dem Beschuldigten keine psychiatrische Erkrankung festgestellt hat. Dieser Zeuge hat die Verhaltensauffälligkeiten des Beschuldigten als angelerntes Verhalten betrachtet. Für diese Annahme könnte, was das Landgericht ersichtlich nicht bedacht hat, die Aussage des Zeugen P. (UA S. 16) sprechen. Danach habe der Beschuldigte anfangs Beleidigungen nur geäußert, wenn es sonst niemand hören konnte. Als er dann gemerkt habe, dass ihm nichts passiere, habe er Drohungen und Beleidigungen auch im Beisein Dritter ausgesprochen. Die Häufigkeit und Intensität dieser Äußerungen habe sich nach Auskunft weiterer vernommener Zeugen immer mehr gesteigert. Schließlich sei er auch nicht mehr davor zurückgeschreckt, sie vor Gericht zu wiederholen. Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass der Beschuldigte erst seit Mitte der 90er Jahre Verhaltensauffälligkeiten zeige, steht dies einem angelernten Verhalten infolge des gestörten Nachbarschaftsverhältnisses ebenso wenig entgegen wie der Entwicklung einer wahnhaften Störung.
Rz. 14
3. Im Hinblick auf die einschneidende Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird der neue Tatrichter auch Gelegenheit haben, die Gefährlichkeit des Beschuldigten eingehender als bisher darzulegen. Hinsichtlich der Tat III. 1 weist der Senat im Übrigen auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. Januar 2011 hin.
Unterschriften
Ernemann, Solin-Stojanović, Roggenbuck, Franke, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 2651720 |
WuM 2011, 295 |