Normenkette
StPO § 404 Abs. 1; ZPO § 308 Abs. 1; VVG § 86 Abs. 1; SGB X § 116 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Rostock (Entscheidung vom 31.08.2021; Aktenzeichen 12 KLs 62/21 jug (2)) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 31. August 2021 im Adhäsionsauspruch
a) dahin geändert, dass die Prozesszinsen ab dem 20. August 2021 zu zahlen sind;
b) aufgehoben, soweit auf die Verpflichtung der Angeklagten erkannt worden ist, dem Neben- und Adhäsionskläger die aus der Tat vom 25. Januar 2021 künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen; auch insoweit wird von einer Entscheidung abgesehen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
2. Die Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels, die dem Neben- und Adhäsionskläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen sowie die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten S. unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Rostock vom 25. November 2020 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und den Angeklagten A. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, ihre Verpflichtung zum Ersatz weiteren materiellen und immateriellen Schadens festgestellt und im Übrigen von einer Entscheidung abgesehen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
Rz. 2
1. Die Beweiswürdigung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Allerdings genügen die Urteilsgründe den an die Darstellung der Ergebnisse einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung zu stellenden Anforderungen sowohl bei Einzelspuren (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. November 2021 - 4 StR 262/21 mwN) als auch bei Mischspuren (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2021 - 4 StR 46/21 mwN) nicht in jeder Hinsicht. So fehlt teilweise die Mitteilung, ob es sich um eine Einzelspur handelt, oder es wird nicht die biostatistische Wahrscheinlichkeit in numerischer Form genannt. Bei den Mischspuren ist nicht erkennbar, inwieweit sich in einzelnen der untersuchten Systeme Übereinstimmungen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten wäre. Der Senat kann jedoch angesichts der Fülle der für die Täterschaft des Angeklagten S. sprechenden sonstigen Beweisanzeichen ausschließen, dass das Urteil auf dem Darstellungsmangel beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Rz. 3
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen der im Adhäsionsverfahren getroffene Feststellungsausspruch über die Verpflichtung der Angeklagten, dem Neben- und Adhäsionskläger aus der verfahrensgegenständlichen Tat künftig entstehende materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen, sowie der ausgeurteilte Zinsbeginn.
Rz. 4
a) Die geltend gemachten Prozesszinsen sind erst ab dem Tag zu entrichten, der auf die - hier am 19. August 2021 eingetretene - Rechtshängigkeit des Adhäsionsantrags folgt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. März 2018 - 5 StR 52/18).
Rz. 5
b) Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2021 - 6 StR 389/21 mwN). Hier enthalten die Urteilsgründe keine Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit anderer zukünftiger immaterieller Schäden als derjenigen, die das Landgericht bereits bei der Bemessung des zuerkannten Schmerzensgeldes in den Blick genommen hat.
Rz. 6
c) Die Adhäsionsentscheidung hat auch hinsichtlich der Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller Schäden keinen Bestand.
Rz. 7
aa) Das Feststellungsbegehren bezog sich auf diese Schäden ausdrücklich nur insoweit, als sie „nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.“ Der Adhäsionsausspruch des Landgerichts, der diesen Vorbehalt nicht enthält, verletzt das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO, einer Partei etwas zuzusprechen, das nicht beantragt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2021 - 4 StR 433/20 mwN), zumal der Schadensersatzanspruch auch materiell-rechtlich nur insoweit besteht, als ein Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X oder § 86 Abs. 1 VVG nicht stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2016 - 2 StR 585/15, NStZ-RR 2016, 351).
Rz. 8
bb) Der Feststellungsausspruch bedarf zudem grundsätzlich einer - gegebenenfalls kurzen - Begründung des hinreichenden Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - 3 StR 436/19 mwN), soweit sich der Anspruch nicht ohne Weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erklärt. Daran fehlt es hier. Denn das Landgericht nimmt zur Begründung der Feststellungsansprüche ausschließlich Bezug auf § 823 BGB. Weder hieraus noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich jedoch Umstände, die weitere materielle Ansprüche möglich erscheinen lassen. So finden sich weder in den Urteilsgründen noch in der Antragsschrift Anhaltspunkte dafür, dass der Heilungsprozess noch nicht abgeschlossen sein könnte.
Rz. 9
3. Wegen des geringen Erfolgs der Rechtsmittel ist es nicht unbillig, die Angeklagten mit deren gesamten Kosten, einschließlich der besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens, und den notwendigen Auslagen des Neben- und Adhäsionsklägers zu belasten (§ 473 Abs. 4, § 472a Abs. 2 StPO, § 109 Abs. 2 Satz 4 JGG).
Schneider |
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König |
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Tiemann |
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Fritsche |
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von Schmettau |
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Fundstellen
Haufe-Index 15139260 |
NStZ-RR 2022, 150 |
StV-S 2022, 74 |