Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 12.03.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle/Saale vom 12. März 2003, soweit es den Angeklagten P. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben
- soweit der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
- im Gesamtstrafenausspruch sowie
- im Maßregelausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (schwerer) räuberischer Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub sowie wegen (schwerer) räuberischer Erpressung in Tateinheit mit „Verstoß gegen das Waffengesetz” [richtig: unerlaubtem Führen einer vollautomatischen Selbstladewaffe] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt; ferner hat es gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen weitgehenden Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1 der Urteilsgründe (Tat vom 29. August 2002) hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die bisher getroffenen Feststellungen die Verwirklichung des vom Landgericht hinsichtlich des Beschwerdeführers ohne nähere Begründung angenommenen qualifizierten Tatbestandes des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht belegen.
Nach dieser Vorschrift, der die Strafkammer die Einzelstrafe von acht Jahren und sechs Monaten, die zugleich die Einsatzstrafe ist, entnommen hat, wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter bei der Raubtat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 25. Juni 2003 insoweit zutreffend dargelegt hat, haben weder der Angeklagte noch der frühere Mitangeklagte T. diesen qualifizierten Tatbestand schon dadurch erfüllt, daß entsprechend ihrem Tatplan der Angeklagte das Tatopfer mit der von ihm mitgeführten – mangels näherer Feststellungen zum Ladezustand – möglicherweise ungeladenen Schreckschußpistole bedrohte und T. dazu einen „pistolenähnlichen, nicht weiter aufklärbaren Gegenstand” in der Hand hatte. Vielmehr erfüllt das bloße Mitführen dieser Gegenstände allein den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB. Als Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs kommen deshalb nur die Schläge auf den Kopf in Betracht, die T. dem Tatopfer mit dem pistolenähnlichen Gegenstand versetzte und die zu einer 2 cm großen Platzwunde führten. Zwar war dieser Einsatz als solcher nach den bisher getroffenen Festellungen nicht vom gemeinsamen Tatplan gedeckt, weshalb das Landgericht zu Recht die durch T. verübte gefährliche Körperverletzung dem Angeklagten nicht zugerechnet hat. Gleichwohl kann der Senat nicht entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den Schuldspruch hinsichtlich des Beschwerdeführers auf der Grundlage des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB bestätigen und nur den Strafausspruch in diesem Fall aufheben. Denn T. hat dem Tatopfer den ersten Schlag auf den Kopf versetzt, bevor beide Angeklagten es aufforderten, den Tresor zu öffnen und sie daraus den Geldbeutel mit 7.600 EUR erlangten. Den früheren Mitangeklagten T. hat das Landgericht deshalb zu Recht wegen Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB für schuldig befunden. Dies kommt auch hinsichtlich des Beschwerdeführers in Betracht, da der Tatbestand die Verwendung eines gefährlichen Gegenstandes durch einen Beteiligten – hier T. – genügen läßt. Die nach den Grundsätzen über die Mittäterschaft bei qualifizierten Delikten vorzunehmende Zurechnung kommt gegenüber dem Angeklagten vorliegend schon deshalb in Betracht, weil die gemeinschaftlich begangene Raubtat beim erstmaligen Zuschlagen durch T. noch nicht vollendet und beim zweiten Einsatz des pistolenähnlichen Gegenstandes jedenfalls noch nicht beendet war (vgl. zur sukzessiven Mittäterschaft bei qualifizierenden Umständen die Nachweise bei Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 25 Rdn. 9). Voraussetzung ist allerdings, daß der Angeklagte Kenntnis von dem qualifizierenden Umstand, d.h. die von T. verübten Schläge mit dem pistolenähnlichen Gegenstand wahrgenommen hatte und dennoch an der weiteren Tatausführung festhielt. Hierzu hat das Landgericht im angefochtenen Urteil keine Feststellungen getroffen. Der Senat geht aber davon aus, daß sich hierzu weitere Feststellungen durch den neuen Tatrichter treffen lassen, die den Schuldspruch auch gegen den Angeklagten auf der Grundlage von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB bestätigen können.
Sofern sich in der neuen Hauptverhandlung feststellen läßt, daß die Schreckschußpistole des Angeklagten bei der Tat geladen war, hätte er nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 4. Februar 2003 – GSSt 2/02 – (StV 2003, 336) den qualifizierten Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch in eigener Person durch die bloße Bedrohung des Tatopfers mit dieser Waffe erfüllt.
Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 1 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
2. Der Maßregelausspruch über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hält ebenfalls der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Revision hat insoweit mit der Rüge der Verletzung des § 246 a StPO Erfolg. Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer, daß in der Hauptverhandlung entgegen der zwingenden Vorschrift des § 246 a Satz 1 StPO kein Sachverständiger über seinen Zustand vernommen worden ist. Die Rüge ist zulässig ausgeführt. Denn die Revision trägt alle Tatsachen vor, die den behaupteten Verfahrensverstoß belegen, der zudem durch die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil bestätigt wird. Die Aktenteile, deren Vortrag der Generalbundesanwalt vermißt, sind für die Feststellung des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht von Bedeutung.
Das Landgericht hat zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung zwar einen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen auch in der Hauptverhandlung hinzugezogen. Ein Gutachten über den Angeklagten zur Frage des Vorliegens eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat der Sachverständige jedoch nicht erstattet. Vielmehr hat das Landgericht „die rechtliche und sachliche Würdigung ohne das Vorliegen eines Gutachtens durchgeführt” (UA 21). Dem lag zugrunde, daß der Angeklagte sich bis zum Schluß der Hauptverhandlung weigerte, sich einer Exploration zu unterziehen, und auch keine Angaben zu seiner Person machte. Vor diesem Hintergrund sah sich der Sachverständige zu einer „wissenschaftlich fundierte(n) Aussage zur Frage, ob aus fachpsychiatrischer Sicht die Voraussetzungen für die Anwendung des § 66 StGB vorlägen”, ebenso wie zu einer Begutachtung „nach Aktenlage” außer Stande. Dies hat das Landgericht – insoweit „sachverständig beraten” (UA 21) – hingenommen.
Damit ist der behauptete Verfahrensverstoß bewiesen. Denn es war rechtsfehlerhaft, allein wegen der Weigerung des Angeklagten, sich einer Exploration durch den Sachverständigen zu unterziehen, auf die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen ganz zu verzichten, die § 246 a Satz 1 StPO zwingend vorschreibt. Aus der Entscheidung BGHR StPO § 246 a Satz 1 Sachverständiger 1, auf die sich der Generalbundesanwalt für seine Auffassung stützt, zumindest beruhe das Urteil im Maßregelausspruch nicht auf dem Verfahrensmangel, ergibt sich nichts anderes. Denn danach kann in Fällen strikter Weigerung des Angeklagten, sich einer Exploration zu unterziehen, namentlich dann, wenn – wie hier – ausschließlich Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, unter Umständen auf eine Untersuchung im Sinne von § 246 a Satz 2 StPO verzichtet werden. Das gilt jedoch nicht ohne weiteres auch für die gutachterliche Äußerung zur Frage der Hangtäterschaft des Angeklagten als solche, solange mit dem Akteninhalt, den Vorstrafakten, dem Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung und möglicherweise weiteren Erkenntnissen über die Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie etwa aus seinem Verhalten im Vollzug gewonnen werden können, geeignete Anknüpfungstatsachen vorliegen, die eine gutachterliche Äußerung zulassen (vgl. BGHR aaO). Daß die Beurteilungsgrundlage für den Sachverständigen bei einer Weigerung des Angeklagten, sich explorieren zu lassen, nur eingeschränkt ist, macht die Bewertung deshalb noch nicht unmöglich. Das zeigt sich hier schon daran, daß die Strafkammer selbst – wie die Revision zu Recht einwendet – auf eben derselben eingeschränkten Tatsachengrundlage, wie sie auch dem Sachverständigen zur Verfügung stand, die Überzeugung von einem Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu gewinnen vermochte. Deshalb durfte sich die Strafkammer nicht mit der Erklärung des Sachverständigen abfinden, ihm sei auf dieser Grundlage eine „wissenschaftlich fundierte” fachpsychiatrische Begutachtung nicht möglich. Vielmehr mußte der Tatrichter den Sachverständigen dazu anhalten, sich zur Frage der Hangtäterschaft des Angeklagten zu äußern. Sofern der Sachverständige dies unter Berufung auf wissenschaftliche Standards weiterhin abgelehnt hätte, hätte die Strafkammer gegebenenfalls einen anderen Sachverständigen beauftragen oder notfalls eine Untersuchung des Angeklagten nach §§ 81, 81 a StPO anordnen müssen (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 246 a Rdn. 3 m.N.).
Auf dem Verfahrensmangel beruht der Maßregelausspruch. Denn auch wenn es eher fernliegt, kann der Senat nicht mit Sicherheit ausschließen, daß ein Sachverständiger dem Tatrichter auch ohne Exploration des Angeklagten Erkenntnisse vermittelt hätte, die zumindest Zweifel an einer Hangtäterschaft hätten begründen können und sich deshalb für ihn günstig ausgewirkt hätten.
Davon abgesehen genügen die Darlegungen im angefochtenen Urteil auch für sich nicht, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob das Landgericht seiner Bewertung zum Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB einen zutreffenden Maßstab zugrundegelegt hat. Dies gilt namentlich mit Blick auf die unzureichende Darstellung der den früheren Verurteilungen zugrundeliegenden Tatgeschehen. Insoweit beschränkt sich das Urteil auf die Wiedergabe der jeweiligen Schuldsprüche und die Mitteilung, der weiteren Verurteilung des Angeklagten vom 11. Juli 1996 lägen „fünf ähnlich gelagerte Fälle, in denen Frauen auf offener Straße brutal überfallen wurden, zugrunde”, ohne auch nur die Tatzeiten, geschweige denn die jeweiligen näheren Tatumstände mitzuteilen. Das genügt für die nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gebotene Gesamtwürdigung namentlich dann nicht, wenn – wie hier – die Beurteilungsgrundlage infolge der Weigerung des Angeklagten, an einer Untersuchung mitzuwirken, eingeschränkt ist.
Die Sache bedarf deshalb auch insoweit unter Hinzuziehung eines – gegebenenfalls anderen – Sachverständigen neuer Prüfung und Entscheidung.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559059 |
NStZ 2004, 263 |
ZAP 2003, 997 |
NStZ-RR 2010, 166 |
NStZ-RR 2010, 167 |
NStZ-RR 2010, 168 |
StV 2004, 207 |