Leitsatz (amtlich)

Ist dem Haftrichter, der über einen Haftverlängerungsantrag zu entscheiden hat, bekannt, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen. Kann dieser den schon anberaumten Anhörungstermin nicht wahrnehmen, ist ein neuer Termin zu bestimmen.

 

Normenkette

FamFG § 420 Abs. 1 S. 1, § 427

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Beschluss vom 07.02.2019; Aktenzeichen 26 T 2/19)

AG Darmstadt (Beschluss vom 23.01.2019; Aktenzeichen 271 XIV 31/19 B)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Darmstadt vom 23.1.2019 und der Beschluss des LG Darmstadt - 26. Zivilkammer - vom 7.2.2019 den Betroffenen für den Zeitraum vom 23.1.2019 bis zum 6.2.2019 in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Hessen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene, ein jamaikanischer Staatsangehöriger, reiste 2016 nach Deutschland ein. Mit Beschluss vom 5.1.2019 ordnete das AG Homburg Abschiebungshaft bis zum 23.1.2019 an. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das AG Darmstadt mit Beschluss vom 23.1.2019 die Verlängerung der Sicherungshaft bis einschließlich 9.4.2019 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das LG mit Beschluss vom 7.2.2019 zurückgewiesen. Am 3.4.2019 ist der Betroffene abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die Feststellung, dass die Beschlüsse des AG und des LG ihn für den Zeitraum vom 23.1.2019 bis zum 6.2.2019 in seinen Rechten verletzt haben. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Rz. 2

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat das AG zu Recht die Verlängerung der Abschiebungshaft angeordnet. Der für die Abschiebung vorgesehene 3.4.2019 sei der nächstmögliche Termin. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG) liege vor.

III.

Rz. 3

Die mit dem Feststellungsantrag gem. § 62 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Feststellung der Rechtsverletzung für den beantragten Zeitraum bis zum 6.2.2019. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, hat die Verfahrensweise des AG den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt; dieser Verfahrensmangel ist erst in der Beschwerdeinstanz geheilt worden.

Rz. 4

1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (Senat, Beschlüsse v. 25.10.2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rz. 4; v. 6.12.2018 - V ZB 79/18, juris Rz. 5). Dies gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (vgl. Senat, Beschl. v. 11.10.2017 - V ZB 167/16, juris Rz. 7).

Rz. 5

2. Danach ist das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt.

Rz. 6

a) Ausweislich des Terminvermerks vom 23.1.2019 war dem AG bekannt, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren vor dem AG Homburg durch eine Rechtsanwältin vertreten wurde. Hieraus folgt zwar nicht zwingend, dass er auch in dem Verfahren über die Haftverlängerung durch diese Rechtsanwältin vertreten wurde, wie die beteiligte Behörde in ihrer Erwiderung im Ausgangspunkt zu Recht bemerkt. Es handelt sich bei der Haftanordnung und der Haftverlängerung um zwei unterschiedliche Verfahren (vgl. Senat, Beschlüsse v. 3.5.2018 - V ZB 230/17, Asylmagazin 2018, 387 Rz. 7; v. 22.8.2019 - V ZB 144/17, z. Veröff. best.). Dass die Rechtsanwältin den Betroffenen auch in dem Verlängerungsverfahren vertreten würde, lag jedoch angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs beider Verfahren nahe.

Rz. 7

b) In einem solchen Fall erfordern die Grundsätze des fairen Verfahrens, dass der Haftrichter das Haftverlängerungsverfahren so gestaltet, dass der Betroffene von seinem Recht, seinen Anwalt zu der Anhörung hinzuzuziehen, effektiv Gebrauch machen kann. Der zur Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung einer Sicherungshaft berufene Haftrichter ist zwar nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob sich in dem Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Rechtsanwalt bestellt hat (Senat, Beschl. v. 22.8.2019 - V ZB 144/17, z. Veröff. best.). Über den ihm bekannten Umstand, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, darf er aber nicht hinweggehen. Der Haftrichter muss in diesem Fall den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen. Kann dieser den schon anberaumten Anhörungstermin nicht wahrnehmen, ist ein neuer Termin zu bestimmen. Dies bedeutet nicht, dass der Betroffene ggf. aus der Haft entlassen werden müsste. Der Haftrichter hat bis zu dem neuen Termin nur von einer endgültigen Entscheidung über die Haftverlängerung abzusehen, kann aber bis dahin auf entsprechenden Antrag Haft vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 427 FamFG anordnen (vgl. Senat, Beschl. v. 25.10.2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rz. 5).

Rz. 8

c) Diesen Anforderungen an eine faire Verfahrensgestaltung ist das AG hier nicht gerecht geworden. Es hat ungeachtet seiner Kenntnis davon, dass der Betroffene im Verfahren über die vorangegangene Haft durch eine Rechtsanwältin vertreten war, das Verfahren über die beantragte Haftverlängerung durchgeführt, ohne den Betroffenen danach zu fragen, ob er durch diese Rechtsanwältin auch im Verlängerungsverfahren vertreten werden wolle, und ohne ihr Gelegenheit zur Teilnahme an der Anhörung zu geben. Damit hat es deren Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen vereitelt. Die Haftverlängerung war deshalb rechtswidrig.

Rz. 9

3. Der Verfahrensfehler des AG ist - mit Wirkung für die Zukunft (vgl. Senat, Beschl. v. 11.10.2017 - V ZB 167/16, juris Rz. 9) - in der Beschwerdeinstanz geheilt worden. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen am 7.2.2019 in Anwesenheit seiner Verfahrensbevollmächtigten nochmals angehört und am selben Tag über die Fortdauer der Haft entschieden. Damit ist am 7.2.2019 Heilung des Verfahrensfehlers eingetreten (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rz. 6), so dass die Rechtsverletzung bis zum 6.2.2019 angedauert hat.

IV.

Rz. 10

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2, 430 FamFG, Art. 6 Abs. 3 Buchstabe e EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13416367

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