Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 19.06.1992) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 19. Juni 1992 aufgehoben.
Den Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Beschwerdewert: 117.422,28 DM
Tatbestand
I.
Die Beklagten haben gegen das ihnen am 10. April 1992 zugestellte Grundurteil des Landgerichts vom 10. März 1992 am 6. Mai 1992 Berufung eingelegt. Nachdem bis dahin keine Berufungsbegründung eingegangen war, hat das Berufungsgericht mit Beschluß vom 19. Juni 1992 die Berufung als unzulässig verworfen. Noch vor der am 29. Juni 1992 erfolgten Zustellung dieses Beschlusses haben die Beklagten am 24. Juni 1992 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die Berufungsbegründung vorgelegt. Das Berufungsgericht hat über den Wiedereinsetzungsantrag noch nicht entschieden; es hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28. Oktober 1992 bestimmt. Vor Zustellung dieser Terminsladung haben die Beklagten am 10. Juli 1992 sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Berufungsgerichts vom 19. Juni 1992 eingelegt mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Sie hätten am 29. Mai 1992, also rechtzeitig, einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Berufungsgericht gesandt; daß dieser Antrag den zuständigen Senat nicht erreicht habe und deshalb eine Fristverlängerung unterblieben sei, beruhe nicht auf einem ihnen zurechenbaren Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten.
Entscheidungsgründe
II.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Beklagten haben zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Ihnen ist aber hiergegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
1. Die Beklagten verknüpfen ihre sofortige Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß ausdrücklich mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch. Grundsätzlich kann allerdings die sofortige Beschwerde nicht mit Erfolg auf Wiedereinsetzungsgründe gestützt werden (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 12. Juli 1967 – IV ZB 21/67 – VersR 1967, 981, vom 28. September 1972 – IV ZB 60/72 – VersR 1973, 31 und vom 21. April 1977 – II ZB 3/77 – VersR 1977, 817). Eine Prüfung der Wiedereinsetzungsfrage im Verfahren über die sofortige Beschwerde nach § 519 b Abs. 2 ZPO kommt in der Regel nur in Betracht, wenn das Berufungsgericht im Verwerfungsbeschluß zugleich die Wiedereinsetzung abgelehnt hat. Hingegen kann das Revisionsgericht die Prüfung der Wiedereinsetzung, über die das Berufungsgericht noch nicht entschieden hat, nicht einfach an sich ziehen. Dem steht insbesondere entgegen, daß in § 238 Abs. 3 ZPO die Unanfechtbarkeit der gewährten Wiedereinsetzung bestimmt ist; diese Regelung setzt voraus, daß zunächst das gemäß § 237 ZPO zur Entscheidung berufene Gericht über das Wiedereinsetzungsgesuch befindet (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 7. Oktober 1981 – IV b ZB 825/81 – VersR 1982, 95, 96).
Hat daher das Berufungsgericht über einen Wiedereinsetzungsantrag, weil dieser ihm im Zeitpunkt des Verwerfungsbeschlusses nach § 519 b Abs. 1 Satz 2 ZPO noch nicht vorlag, noch nicht entschieden, so ist der Berufungsführer grundsätzlich gehalten, zunächst die noch ausstehende Entscheidung des Berufungsgerichts hierüber abzuwarten. Versagt das Berufungsgericht hernach die Wiedereinsetzung, so kann der Berufungsführer hiergegen das zulässige Rechtsmittel einlegen; hat dieses Erfolg, so wird eine auf die Fristversäumung gestützte Verwerfung seiner Berufung ohne weiteres nachträglich gegenstandslos (vgl. BGH, Beschluß vom 7. Oktober 1981 – IV b ZB 825/81 – a.a.O. m.w.N.).
Indessen gilt diese Beurteilung nicht ausnahmslos. Die aus § 238 Abs. 3 ZPO hergeleiteten Gründe dafür, die Entscheidung über die Wiedereinsetzung zunächst dem nach § 237 ZPO zuständigen Berufungsgericht zu überlassen, greifen dann nicht durch, wenn das Revisionsgericht bei Prüfung der Beschwerde gegen den die Berufung verwerfenden Beschluß zu dem Ergebnis gelangt, daß die Wiedereinsetzung nach dem Akteninhalt ohne weiteres zu gewähren ist; dann gebietet es die Prozeßwirtschaftlichkeit, das mit der Sache ohnehin befaßte Revisionsgericht auch zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung – gegebenenfalls von Amts wegen – für befugt zu erachten (vgl. Senatsbeschluß vom 9. Juli 1985 – VI ZB 8/85 – NJW 1985, 2650, 2651; BGH, Urteil vom 4. November 1981 – IV b ZR 625/80 – NJW 1982, 1873, 1874; vgl. auch für den Fall eines zugleich mit Revisionseinlegung gestellten Wiedereinsetzungsgesuchs BGH, Urteil vom 24. Juni 1987 – IV a ZR 138/86 – BGHR ZPO § 237 Revisionsgericht 1). Dies muß auch dann gelten, wenn im Berufungsrechtszug ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt ist, über das noch nicht entschieden ist. Auch dann erscheint es nicht als gerechtfertigt, die endgültige Klärung der Zulässigkeit der Berufung offen zu lassen, bis das Oberlandesgericht über das Wiedereinsetzungsgesuch befunden hat, obwohl andererseits bereits feststeht, daß die Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
2. Vorliegend haben die Beklagten innerhalb der für den Wiedereinsetzungsantrag bestimmten Frist des § 234 ZPO nicht nur beim Berufungsgericht um Wiedereinsetzung nachgesucht, sondern auch die versäumte Prozeßhandlung nachgeholt, die Berufungsbegründung vorgelegt. Unter diesen Umständen kann gemäß § 236 Abs. 2 ZPO im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß Wiedereinsetzung gewährt werden, da sich diese nach dem Aktenstand ohne weiteres rechtfertigt.
Die Beklagten haben dargetan und glaubhaft gemacht, daß sie an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne ihr Verschulden verhindert waren, daß insbesondere auch kein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten gegeben ist.
Daß der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht rechtzeitig beim Berufungsgericht vorlag, beruht nicht auf einem Fehler in der Organisation der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten. Allerdings ist ein Rechtsanwalt zur Einrichtung einer Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch bei einem Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. April 1991 – XII ZB 28/91 – NJW-RR 19.91, 1150 = BGHR ZPO § 233 Fristverlängerung 7 und vom 13. November 1991 – XII ZB 130/91 – BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 20). Demgemäß muß durch die Einrichtung einer Endkontrolle gewährleistet sein, daß der Verlängerungsantrag wie andere fristwahrende Schriftstücke tatsächlich abgesandt oder jedenfalls sichere Vorsorge dafür getroffen wird, daß er rechtzeitig hinausgeht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. März 1987 – VI ZB 14/86 – VersR 1987, 769 und vom 10. März 1992 – VI ZB 6/92 – Umdruck Seite 4; ebenso BGH, Beschlüsse vom 28. September 1989 – VII ZB 9/89 – NJW 1990, 187 und vom 28. November 1990 – XII ZB 19/90 – NJW 1991, 1178). Nach den glaubhaft gemachten Darlegungen der Beklagten war im Büro ihrer Rechtsanwälte eine derartige Ausgangskontrolle hinreichend gewährleistet: Die Anwaltssekretärin hat am 29. Mai 1992 den Verlängerungsantrag im Fristenkalender bei der dort auf den 9. Juni 1992 notierten Frist ausdrücklich vermerkt, nachdem dieser Antrag in das Postausgangsfach des Büros (betreffend die für das Oberlandesgericht bestimmte Post) eingelegt, also für den Abgang endgültig fertig gemacht war. Ferner hat die mit der Fristenkontrolle betraute Anwaltsgehilfin am Tage des Fristablaufs (9. Juni 1992) die bestehende Anweisung befolgt, beim Gericht Nachfrage nach dem Erfolg des Verlängerungsantrages zu halten.
Zwar ist ein Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, daß der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Begründungsfrist versagt; demgemäß kann der Rechtsmittelführer im Wiedereinsetzungsverfahren grundsätzlich nicht mit Erfolg geltend machen, er habe mit der Fristverlängerung rechnen dürfen (vgl. BGHZ 83, 217, 222; BGH, Beschluß vom 5. Juli 1989 – IV b ZB 53/89 – FamRZ 1990, 36). Etwas anderes gilt jedoch, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Bewilligung der Fristverlängerung gerechnet werden konnte; ein derartiger Fall ist hier gegeben:
Ein Anwalt kann regelmäßig erwarten, daß einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn ein Grund im Sinne des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgebracht wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 1985 – III ZB 13/85 – VersR 1985, 972, 973; vom 5. Juli 1989 – IV b ZB 53/89 – a.a.O.; vom 14. Februar 1991 – VII ZB 8/90 – NJW 1991, 1359 = BGHR ZPO § 233 Fristverlängerung 6). Vorliegend hatte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten seinen Verlängerungsantrag vom 29. Mai 1992 damit begründet, die Informationserteilung in der Sache habe bisher noch nicht abgeschlossen werden können; dies ist für einen ersten Verlängerungsantrag als ausreichender Grund anzusehen. Der Rechtsanwalt konnte daher damit rechnen, daß seinem Verlängerungsantrag stattgegeben werde. Wenn darüber hinaus in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten die Anweisung bestand, generell am Fristablaufstag noch beim Gericht nachzufragen, ob der Verlängerungsantrag Erfolg hat, so kann dem Anwalt nicht angelastet werden, er habe hier nicht alles Erforderliche getan, um die Fristwahrung sicherzustellen.
Es mag unter diesen Umständen dahinstehen, ob die Anwaltsgehilfin ihrerseits im Rahmen des Telefongesprächs vom 9. Juni 1992 auf weitere Nachforschung durch den Geschäftsstellenbeamten des Berufungsgerichts dahin hätte dringen müssen, ob der Verlängerungsantrag tatsächlich eingegangen und mit einer positiven Bescheidung zu rechnen war; eventuelle Versäumnisse der Anwaltsgehilfin in diesem konkreten Fall könnten kein den Beklagten oder ihrem Prozeßbevollmächtigten zuzurechnendes Verschulden begründen.
III.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten war daher der angefochtene Beschluß aufzuheben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erteilen. Über die Kosten, auch des Beschwerdeverfahrens, ist erst in der Entscheidung zur Hauptsache zu erkennen.
Unterschriften
Dr. Steffen, Dr. Lepa, Bischoff, Dr. Müller, Dr. Dressler
Fundstellen