Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 03.06.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 3. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen verurteilt worden ist,
- im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt; außerdem hat es einen Bargeldbetrag von 2.418,51 DM, ein Handy mit SIM-Karte und 19,48 g Kokain eingezogen.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen (Fälle II. 5-7 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, hat das Rechtsmittel bereits mit der Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
Das Gericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten in diesen Fällen allein auf die Angaben des Zeugen Maikl Y.. Der Angeklagte hat bestritten, mit Mengen von 50 oder 80 g Heroin gehandelt zu haben; er hat lediglich eingeräumt, einmal mit Maikl Y. nach Hamm gefahren zu sein und dort 5 g Heroin erworben zu haben und in derselben Absicht auch die Fahrt mit Y., die mit seiner Festnahme endete, angetreten zu haben.
In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, ob dem einzigen Belastungszeugen zu folgen ist, muß die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen werden. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, in seine Überlegungen einbezogen (st. Rspr., vgl. BGHSt 44, 153, 158, 159 m.w.N.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13) und auch in einer „Gesamtschau” gewürdigt hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14).
Eine solche Glaubwürdigkeitsprüfung läßt das angefochtene Urteil vermissen.
a) Zu der Persönlichkeit des Zeugen Y. sind nur unzureichende Feststellungen getroffen. Für eine mögliche Verstrickung des Zeugen in das Drogenmilieu spricht die Tatsache, daß er „aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit Heroin” das Gewicht einer ihm gezeigten Menge richtig einzuschätzen vermag (UA 11). Auch ist dem Urteil zu entnehmen, daß gegen ihn ebenfalls ein Strafverfahren anhängig war, in dem er sich in Untersuchungshaft befand, aus der er auch gegen Sicherheitsleistung nicht entlassen wurde (UA 10). Die Strafkammer teilt aber weder mit, was Gegenstand dieses Verfahrens war, noch, ob sich der Zeuge durch Aufdeckung weiterer Taten Vorteile im Sinne des § 31 BtMG verschafft hat oder verschaffen wollte.
b) Vor allem aber fehlt es an einer Wiedergabe der Aussagegenese des Zeugen. Dies wäre deswegen von Bedeutung, weil er sich nach den Urteilsfeststellungen „widersprüchlich zu den festgestellten Sachverhalten geäußert” (UA 9) hat. Das Urteil teilt dazu mit, daß er nach seiner Festnahme zu den Zeugen Nadine M. und Matthias D. gesagt habe, das in seinem Fahrzeug sichergestellte Kokain gehöre ihm (UA 9), während er im Verfahren gegen den Angeklagten bekundet hat, es sei Kokain des Angeklagten, das dieser zum Erwerb von Heroin habe einsetzen wollen (UA 6). Das Argument der Strafkammer, Maikl Y. sei gleichwohl glaubwürdig, weil er auch zugunsten des Angeklagten ausgesagt habe, indem er „den Vorwurf der Anklage, der Angeklagte habe ihm in zwanzig Fällen Heroin verkauft” (UA 9), nicht bestätigt habe, trägt nicht. Das Gericht hätte in diesem Zusammenhang mitteilen müssen, worauf sich dieser Anklagevorwurf stützt und was der Zeuge möglicherweise früher dazu bekundet hat. Das weitere Argument, die Höhe der dem Angeklagten entstandenen Kosten für die Fahrten von Paderborn nach Hamm spreche für die Richtigkeit der Zeugenbekundung, wonach der Angeklagte jeweils größere Mengen Heroin erworben hat bzw. erwerben wollte, berücksichtigt nicht, daß die Höhe der Fahrkosten wiederum auf den Bekundungen des Maikl Y. beruht. Schließlich spricht auch die Tatsache, daß der Angeklagte die Menge des im Fahrzeug des Y. sichergestellten Kokains richtig zu schätzen vermochte, nicht ohne weiteres dafür, daß es ihm – wie der Zeuge behauptet – auch gehörte.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen (Fälle II. 1-4 der Urteilsgründe) wird von dem Rechtsfehler nicht betroffen, denn sie beruht auf seinem glaubhaften Geständnis (UA 8). Hingegen können die insoweit verhängten Einzelstrafen keinen Bestand haben. Das Urteil enthält, worauf die Revision zu Recht hinweist, keine Feststellungen zu der Menge und dem Wirkstoffgehalt des erworbenen Kokains. Ohne diese Angaben vermag das Revisionsgericht nicht zu prüfen, inwieweit die Einzelstrafen rechtsfehlerfrei bemessen sind, da die Wirkstoffmenge einen wesentlichen Umstand für die Beurteilung der Schwere der Tat und die Bestimmung des Schuldumfangs darstellt (vgl. BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 18 m.w.N.).
3. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Die Erörterung dieser Frage drängte sich hier deswegen auf, weil der Angeklagte seit 1991 Drogen konsumierte, und zwar zunächst Haschisch und dann Heroin. Er ist mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilt und auch inhaftiert worden und hat alsbald nach seiner letzten Strafverbüßung wieder Kokain erworben, um es gemeinsam mit seiner Freundin zu konsumieren. Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, würde einer Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegenstehen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5).
Er wird ferner zu beachten haben, daß eine Einziehung nach § 74 StGB nur dann zulässig ist, wenn die Gegenstände zur Begehung oder Vorbereitung einer Tat gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, die den Gegenstand der Anklage bildete und vom Tatrichter festgestellt worden ist, oder wenn sie durch eine solche Tat hervorgebracht worden sind (vgl. BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 6; BGH, Beschluß vom 4. September 2002 – 3 StR 251/02). Feststellungen dazu, daß das Mobiltelefon als Tatmittel verwendet worden ist, sind bisher nicht getroffen.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen