Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 23.07.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Juli 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch – mit Ausnahme der Entscheidung über die Kompensation für rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung – aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung der Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 16. Februar 2010 wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und vier Monate Freiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt – zu 2. entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Der Schuldspruch hat im Ergebnis Bestand. Allerdings wären hinsichtlich des Faserspurengutachtens die hierfür geltenden Erörterungspflichten zu erfüllen gewesen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 335, 336; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 261 Rdn. 11c m.w.N.). Namentlich im Hinblick auf Äußerungen des Angeklagten im Zuge der bei ihm durchgeführten Wohnungsdurchsuchung und gegenüber dem Sachverständigen sowie wegen auf dem entwendeten Koffer sichergestellter DNA-Spuren des Angeklagten wird die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung durch das Unterlassen hinreichender Ausführungen indessen nicht durchgreifend in Frage gestellt.
Rz. 3
2. Jedoch ist der Strafausspruch aufzuheben, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft das Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB ausgeschlossen hat. Zwar sind Bedenken gegen Formulierungen des Landgerichts in Bezug auf ein nicht gegebenes uneingeschränktes Geständnis, die Relativierung des Zeitablaufs seit der Tat durch eine im Jahr 2009 begangene weitere Straftat und die konkrete Gefährlichkeit des Werkzeugs (fahrendes Kraftfahrzeug) letztlich nicht durchgreifend. Gleichwohl ist die Entscheidung angesichts des Umfangs und Gewichts der dem – in seiner Schuldfähigkeit verminderten – Angeklagten zugute gehaltenen Milderungsgründe auch nach Auffassung des Senats nicht mehr vertretbar. Nicht hinreichend berücksichtigt wird insbesondere der Umstand, dass der Geschädigte sofort wieder in den Besitz des gestohlenen Koffers gelangte, die Tat mithin durch besondere Versuchsnähe geprägt ist.
Rz. 4
3. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ablehnt, lassen besorgen, dass es einen unzutreffenden Begriff des „Hangs” im Sinne des § 64 StGB zugrunde legt. Nach den getroffenen Feststellungen missbrauchte der Angeklagte über Jahre hinweg im Übermaß Kokain, Tilidin, Alkohol und Cannabis (UA S. 4, 21). Der von der Strafkammer angehörte Sachverständige diagnostizierte „multiplen Substanzmissbrauch bis Abhängigkeit” (Politoxikomanie; UA S. 21). Dass es dem Angeklagten etwa seit Anfang des Jahres gelungen ist, auftretende Entzugserscheinungen unter anderem durch Beten (UA S. 4) zu überwinden und dass er etwa seit dieser Zeit wohl keine Drogen mehr nimmt, hindert die Annahme eines Hangs nicht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. Mai 2010 – 5 StR 130/10 m.w.N.). Weil die negative Gefährlichkeitsprognose wesentlich auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Hangs beruht, ist auch ihr die Grundlage entzogen.
Rz. 5
Das neue Tatgericht wird sich danach eingehender als bisher geschehen mit der Frage der Unterbringung nach § 64 StGB zu befassen haben. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, würde die Anordnung der Maßregel nicht hindern (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
Rz. 6
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 14. Mai 2007 ist keine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden. Die Strafe aus diesem Urteil betrifft nämlich eine am 17. Januar 2006 begangene Tat, weswegen eine Gesamtstrafenlage mit dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 6. April 2006 besteht, ohne dass die insoweit erfüllten Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB auch für die hier zu beurteilende Tat vom 12. Mai 2006 gegeben sind. Aufgrund Zäsurwirkung des Urteils vom 6. April 2006 scheidet die in der Antragsschrift befürwortete Gesamtstrafbildung demnach aus.
Unterschriften
Basdorf, Brause, Schaal, Schneider, König
Fundstellen