Tenor
Der Antrag des Generalbundesanwalts auf Erlaß eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten J. wird
Tatbestand
I.
Der Generalbundesanwalt legt dem Beschuldigten zur Last, er habe sich in dem Zeitraum von Ende 2000 bis 2003 im Zusammenwirken mit dem Mitbeschuldigten R. und anderen Tatbeteiligten bemüht, für das iranische Programm zur Entwicklung und Herstellung atomarer Waffensysteme 28 sogenannte Telemanipulatoren zu beschaffen. Dabei sei der Beschuldigte in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der in Teheran/Iran ansässigen Firma I.D.R.O. International Trading Company, die als Teil des iranischen Beschaffungsnetzwerkes unter Anwendung konspirativer Methoden mit der Beschaffung sensibler und embargobelasteter Güter insbesondere im westlichen Ausland befaßt ist, tätig geworden. Der Generalbundesanwalt geht ersichtlich davon aus, daß der Beschuldigte im Jahr 2000 zunächst – zur Verschleierung des tatsächlichen Käufers – versucht hat, über die chinesische Firma Silverford Development Limited bei der in der Schweiz ansässigen Intercontrol Technologie AG (ICT) die benötigten Geräte zu erwerben. Durch die Anfrage der Firma Silverford Ltd. erfuhr der Mitbeschuldigte R., der damals bei der ICT AG angestellt war, von dem Vorhaben. Nachdem die ICT AG auf Veranlassung der schweizerischen Behörden im Sommer des Jahres 2001 auf die Realisierung des Projekts verzichtet hatte, entschloß sich R., die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Zu diesem Zweck nahm er Verbindung zu der ihm von einem schweizerischen Mittelsmann als Ansprechpartner benannten Teheraner I.D.R.O. Company auf und kam hierbei in Kontakt zu dem Beschuldigten J.. Bei einem anschließenden Treffen J. und R. Ende 2001/Anfang 2002 in Dubai in den Räumen der I.D.R.O. International Trading FZE, einer Tochtergesellschaft der I.D.R.O. International Trading Company, schlug R. vor, die Manipulatoren bei der ihm von früheren geschäftlichen Aktivitäten her bekannten Firma Société d'Innovations Techniques (SIT) in Châtellerault/Frankreich zu beschaffen. Der Beschuldigte J. war hiermit einverstanden. Daraufhin kam es im Januar 2003 zu Verhandlungen bei der Firma SIT, an denen außer J. und R. drei weitere iranische Mitbeschuldigte, denen insbesondere die Klärung der technischen Einzelheiten oblag, sowie die Vertreter der SIT teilnahmen. Die Verhandlungen führten zum Abschluß eines Vertrages über die Herstellung und Lieferung der Manipulatoren durch die Firma SIT an die Firma I.D.R.O. in Dubai.
Entscheidungsgründe
II.
Nach Auffassung des Generalbundesanwalts erfüllt das Verhalten des Beschuldigten J. den Tatbestand eines Vergehens der geheimdienstlichen Agententätigkeit i.S.d. § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dies trifft nicht zu; es fehlt jedenfalls an dem Tatbestandsmerkmal einer „gegen die Bundesrepublik Deutschland” gerichteten Tätigkeit.
1) Bei der Prüfung des dem Beschuldigten zur Last gelegten Verhaltens ist davon auszugehen, daß deutsches Strafrecht gemäß § 5 Nr. 4 StGB anzuwenden ist; der Umstand, daß die gesamte hier zu beurteilende Tätigkeit des Beschuldigten – wie auch der übrigen Tatbeteiligten – sich ausschließlich außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland abgespielt hat, es sich mithin um die Auslandstat eines Ausländers gehandelt hat, steht deshalb einer strafrechtlichen Verfolgung nicht entgegen.
2) Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist auch ohne weiteres anzunehmen, daß der Beschuldigte für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit ausgeübt hat, die auf die Lieferung von Gegenständen gerichtet war. Bei der Firma I.D.R.O., als deren Geschäftsführer der Beschuldigte J. tätig geworden ist, handelt es sich um einen Teil des iranischen Beschaffungsnetzwerkes, dessen Aufgabe es ist, unter Anwendung typischer konspirativer Methoden – insbesondere zur Verschleierung des Endnutzers und des wahren Verwendungszwecks embargobelasteter Güter – im westlichen Ausland technologische Erzeugnisse zu erwerben, die u.a. für die Entwicklung und Produktion von ABC-Waffen benötigt werden. Diesem Zweck dienen vor allem die Einschaltung ziviler (Tarn-)Firmen, die Vermischung von „erlaubten” und embargobehafteten Geschäften, die wahrheitswidrige Angabe „unverdächtiger” Endnutzer sowie der Umweg über im Ausland ansässige Gesellschaften. Daß dem Beschuldigten als einem an maßgeblicher Stelle tätigen Vertreter des iranischen Beschaffungsnetzwerkes alle diese Umstände bekannt waren, steht außer Frage.
3) Die geheimdienstliche Agententätigkeit des Beschuldigten J. war jedoch nicht i.S.d. § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, weil sie die durch diese Bestimmung geschützte Belange Deutschlands nicht in einer Weise und Intensität berührte, die dem Sinn und Zweck des Tatbestandes entspricht. Zwar ist die Vorschrift vom Gesetzgeber bewußt weit gefaßt, um alle nachrichtendienstlichen Bestrebungen zu erfassen, gleichgültig, ob sie unmittelbar oder mittelbar deutsche Interessen gefährden, ob sie auf die Abklärung politischer, wirtschaftlicher oder technischer Verhältnisse abzielen, im Ausland oder Inland begangen werden oder ob sie direkt oder lediglich vorbereitend oder unterstützend für die Beschaffung der in § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Schutzgüter ausgeübt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1983 – 3 StR 80/83, BGHSt 31, 317 unter 4 a.E. m.w.N.; LK/Träger, 11. Aufl., § 99 RNr. 1). Stets müssen sie jedoch deutsche Belange mit einer strafrechtlich relevanten Intensität berühren, wobei allerdings eine konkrete Gefährdung nicht erforderlich ist, vielmehr die abstrakte Gefährdung ausreicht.
Wo die Grenze hinsichtlich der Beeinträchtigung deutscher Belange im Einzelnen zu ziehen ist, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes neigt zu einer weiten Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals; danach soll „der tatbestandlichen Voraussetzung, daß sich die geheimdienstliche Tätigkeit ‚gegen die Bundesrepublik Deutschland’ richtet, … die Bedeutung zu(-kommen), daß geheimdienstliche Aktivitäten, die – nach dem Gegenstand der damit verbundenen Ausforschungsbemühungen – die Interessen der Bundesrepublik – ausnahmsweise – nicht berühren, vom Tatbestand ausgenommen” sind (Urteil vom 27. September 1980 – StB 25/80, NJW 1980, 2635, re. Sp. Mitte; ähnlich BGHSt 32, 104 unter II 3 a). Die dort in Bezug genommene Stelle des schriftlichen Berichts des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drucks. V/2860, S. 23 li. Sp.) versteht das Tatbestandsmerkmal allerdings enger: hiernach stellt dieses Kriterium „eine wichtige Begrenzung des Tatbestandes” dar und „erfasst nur die geheimdienstlichen Operationen fremder Mächte, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Zielland richten und ihre Interessen beeinträchtigen” (Hervorhebung hinzugefügt). Diese Voraussetzungen sind, soweit es um die Tatbeteiligung des Beschuldigten J. geht, im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Eigentliches Zielland der Tätigkeit des Beschuldigten war Frankreich; denn dort sollten die Manipulatoren hergestellt und von dort sollten sie bezogen werden. Diesem Zweck dienten die Verhandlungen bei der Firma SIT, an denen der Beschuldigte maßgeblich, wenn nicht sogar entscheidend beteiligt war. Selbst wenn man die Aktivitäten der vom Beschuldigten eingeschalteten oder sogar gesteuerten Firmen Silverford, ICT AG und I.D.R.O. International Trading FZE insoweit mit einbezieht, beschränkten sich diese Handlungen allein auf das Ausland (die Volksrepublik China, die Schweiz und Dubai). Zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bestand, soweit nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand erkennbar, keine irgendwie geartete nachrichtendienstliche Beziehung; weder hat der Beschuldigte J. von hier aus eine auf die Beschaffung der Manipulatoren gerichtet Tätigkeit entfaltet, noch sollten die Geräte oder wesentliche Bestandteile von Deutschland aus – direkt oder auf Umwegen – geliefert werden. Die Verbindung zur Bundesrepublik erschöpfte sich vielmehr in der Tatsache, daß der Mitbeschuldigte R. hier seinen Wohnsitz und einen Firmensitz hat und daß er deutscher Staatsangehöriger ist. Deutsche Interessen sind daher durch das Verhalten J. allenfalls mittelbar und lediglich insofern berührt, als die Beteiligung eines deutschen Staatsangehörigen an einem Beschaffungsvorhaben, das dem iranischen Atomprogramm dienen sollte, geeignet war, das Ansehen der Bundesrepublik in der Staatengemeinschaft zu gefährden. Das erfüllt jedoch angesichts der im übrigen ausschließlich auslandsbezogenen Aspekte des Tatgeschehens einschließlich der beteiligten Personen und Firmen nicht das Tatbestandsmerkmal einer gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten geheimdienstlichen Agententätigkeit i.S.d. § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
4) Unter diesen Umständen ist der Verdacht, daß sich der Beschuldigte im Zusammenhang mit der (versuchten) Beschaffung von insgesamt 28 Telemanipulatoren für das ABC-Waffenprogramm des Iran eines Vergehens der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat, schon aus rechtlichen Gründen – mangels eines tatbestandlichen Verhaltens – zu verneinen. Der Antrag der Bundesanwaltschaft auf Erlaß eines Haftbefehls war daher abzulehnen, weil ein dringender Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) nicht besteht.
Unterschriften
Dr. Beyer Richter am Bundesgerichtshof
Fundstellen
Haufe-Index 2555017 |
StV 2007, 298 |