Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschulden des Rechtsanwalts an der Versäumung einer Frist bei nicht eigenverantwortlicher Prüfung der Fristennotierung anlässlich der Vorlage der Akte zu deren Bearbeitung
Leitsatz (amtlich)
Wird einem Rechtsanwalt der Entwurf der Berufungsbegründung vorgelegt, hat er spätestens dann die Fristennotierung eigenständig zu prüfen.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 02.01.2006; Aktenzeichen 26 U 156/05) |
LG Bochum (Entscheidung vom 14.09.2005; Aktenzeichen 6 O 306/04) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats des OLG Hamm vom 2.1.2006 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert: 8.000 EUR
Gründe
I.
[1] Die Klägerin macht wegen eines Behandlungsfehlers Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.
[2] Das LG hat die Beklagte durch Urteil vom 14.9.2005, zugestellt am 29.9.2005, zur Zahlung von 6.000 EUR Schmerzensgeld verurteilt und dem Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am selben Tag beim OLG eingegangenen Schriftsatz vom 31.10.2005 (Montag) Berufung eingelegt. Da die Berufung zunächst nicht begründet worden ist, hat das OLG mit Verfügung vom 6.12.2005 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gem. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Durch Schriftsatz vom 6.12.2005 ist die Berufung begründet und Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt worden.
[3] Die Beklagte hat hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags ausgeführt, das am 29.9.2005 zugestellte Urteil sei mit einem entsprechenden Eingangsstempel versehen worden. Die zuständige Angestellte - Frau W. - habe die Berufungsfrist mit einer Vorfrist zum 24.10.2005 und einer Ablauffrist zum 31.10.2005 sowie die Begründungsfrist mit Vorfrist zum 22.11.2005 und Ablauffrist zum 29.11.2005 im Fristenkalender notiert und die entsprechenden Fristen auf dem Urteil handschriftlich vermerkt. Sodann sei eine entsprechende Kontrolle durch Rechtsanwalt H. erfolgt und die Akte mit dem Urteil zur weiteren Bearbeitung der erstinstanzlich tätig gewesenen Rechtsanwältin Dr. J. vorgelegt worden. Diese habe ebenfalls festgestellt, dass die Fristen ordnungsgemäß notiert worden seien.
[4] Nachdem am 31.10.2005 die Haftpflichtversicherung der Beklagten die Weisung erteilt habe, gegen das Urteil Berufung einzulegen, habe Rechtsanwältin Dr. J. die Berufungsschrift veranlasst. Entsprechend einer internen Absprache habe sie sodann die Akte an ihren Kollegen Rechtsanwalt Dr. R. zur weiteren Bearbeitung im Rahmen des Berufungsverfahrens weitergeleitet. Dieser habe durch seine Sekretärin - Frau B. - eine Berufungsakte anlegen lassen, was diese am 7.11.2005 erledigt habe. Dabei habe sie das erstinstanzliche Urteil kopiert und in die zweitinstanzliche Handakte gelegt. Eine eigene Fristübertragung im Sekretariat des nunmehr tätigen Rechtsanwalts sei aber unterblieben. Dies sei Rechtsanwalt Dr. R. nicht aufgefallen, weil das Urteil bereits entsprechende handschriftliche Notizen aufgewiesen habe.
[5] Rechtsanwalt R. habe einen Entwurf der Begründung gefertigt, der am 4.11.2005 geschrieben worden sei. Eine endgültige Überarbeitung habe erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollen, weil es andere dringlichere Mandate gegeben habe. Die Akte sei dann weder zur Vorfrist noch zum Fristablauf vorgelegt worden. Rechtsanwalt R. habe dies erst am 2.12.2005 festgestellt, als er die Akte routinemäßig habe fertig stellen wollen.
[6] Die Beklagte müsse sich die Fristversäumung nicht zurechnen lassen. Diese sei auf das Fehlverhalten zweier ausgebildeter und mehrjährig tätiger Rechtsanwaltsfachangestellten zurückzuführen. Es bestehe die generelle Anweisung, die Fristen im Kalender des erstinstanzlich tätig gewesenen Sachbearbeiters erst zu streichen, wenn durch eine Rückmeldung aus dem Sekretariat des zweitinstanzlich tätigen Anwaltes sicher sei, dass dort die Fristen notiert seien. Zu einer solchen Rückmeldung sei es nicht gekommen. Frau W. habe die bei ihr notierten Fristen übersehen und auch bei Fristablauf nicht im Sekretariat von Rechtsanwalt Dr. R. angerufen, um nachzufragen, ob die Fristen erledigt seien. Frau W. sei eine sehr qualifizierte Fachkraft, die schon seit längerer Zeit ein Vorzimmer leite und überaus ordentlich und korrekt arbeite.
[7] Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass im Büro der Prozessvertreter der Beklagten die Fristenkontrolle ordnungsgemäß gesichert oder organisiert sei. Es lägen nicht nur mehrere deutliche Fehler einer einzigen Angestellten vor, sondern beide Angestellte der eingeschalteten Rechtsanwälte hätten in nicht unerheblicher Weise fehlerhaft und entgegen den behaupteten hausinternen Anweisungen gehandelt. Dies lasse darauf schließen, dass die Organisation entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet sei oder nicht hinreichend überwacht werde.
[8] Zudem habe der geschriebene Entwurf der Berufungsbegründung dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegen. Deshalb habe ihm die Fristensicherung wieder selbst oblegen, weil er die Sache im Zusammenhang mit der Frist bearbeitet habe.
II.
[9] Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
[10] 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht ein solches Verschulden angenommen hat, weil der die Berufungsbegründung bearbeitende Rechtsanwalt die Fristensicherung nicht selbst überprüft hat, obgleich ihm der Entwurf der Berufungsbegründung rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegt worden ist.
[11] a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar nicht bei jeder Vorlage der Handakten, aber dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insb. zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Für die Berufungsbegründungsfrist ist ihm das seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes schon ab der Zustellung des Urteils möglich und zumutbar, weil der Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr vom Zeitpunkt der Berufungseinlegung abhängt, sondern nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Monate ab Zustellung des vollständig abgefassten Urteils beträgt (vgl. Senatsbeschlüsse v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, MDR 2003, 299 = BGHReport 2003, 252 = NJW 2003, 437; v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, BGHReport 2002, 568 = MDR 2002, 841 = VersR 2002, 637; v. 14.1.1997 - VI ZB 24/96, BRAK 1997, 136 = MDR 1997, 396 = VersR 1997, 598, jeweils m.w.N.; BGH, Beschl. v. 1.12.2004 - XII ZB 164/03, MDR 2005, 468 = BGHReport 2005, 457 = FamRZ 2005, 435; v. 21.4.2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183; v. 11.2.2004 - XII ZB 263/03, FamRZ 2004, 696). Diese Verpflichtung zu einer eigenständigen Prüfung besteht unabhängig davon, ob sich der Prozessbevollmächtigte sogleich zur Bearbeitung der Sache entschließt oder - wie hier - die (weitere) Bearbeitung vorerst zurückstellt (vgl. Senatsbeschluss v. 14.1.1997 - VI ZB 24/96 - a.a.O.; BGH, Beschl. v. 29.4.1998 - XII ZB 140/95, NJW-RR 1998, 1526). Es ist auch nicht erforderlich, dass dem Anwalt zugleich die Akten vorgelegt werden. Soweit in Entscheidungen des BGH auf die Vorlage der Akten abgehoben wird, geschieht dies nicht, um zwischen den "Akten" und der "Sache" zu unterscheiden, sondern um sachgerecht dahin zu differenzieren, ob die Akten zur Vorlage der fristwahrenden Prozesshandlung oder aus sonstigen Gründen vorgelegt worden sind (vgl. Senatsbeschlüsse v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, BGHReport 2002, 568 = MDR 2002, 841 - a.a.O.; v. 19.2.1991 - VI ZB 2/91, BRAK 1991, 174 = MDR 1991, 907 = VersR 1991, 1269; BGH, Beschl. v. 6.7.1994 - VIII ZB 12/94, MDR 1994, 938 = VersR 1995, 238). Zu der notwendigen Nachprüfung gehört auch die Kontrolle des Bürovermerks in den Handakten über die Eintragung der Frist im Fristenkalender (vgl. BGH, Beschl. v. 14.10.1987 - VIII ZB 16/87, VersR 1988, 414).
[12] b) Nach diesen Grundsätzen hätte der die Beklagte in der zweiten Instanz vertretende Prozessbevollmächtigte jedenfalls nach Wiedervorlage des von ihm diktierten und zwischenzeitlich geschriebenen Entwurfs der Berufungsbegründung anhand der Handakten überprüfen müssen, ob ein Erledigungsvermerk hinsichtlich der Fristeneintragung erfolgt ist. Hätte er dies getan, hätte ihm auffallen müssen, dass zwar eine Kopie des erstinstanzlichen Urteils mit dem Erledigungsvermerk des erstinstanzlich tätigen Büros hinsichtlich der Fristennotierung vorlag, jedoch ein entsprechender Vermerk seines eigenen Büros nicht aus den Handakten ersichtlich war. Wäre er den sich daraus ergebenden Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist nachgegangen, hätte er das Fehlen der Eintragung im Fristenkalender entdeckt, so dass die Versäumung der Frist vermieden worden wäre. Da der zweitinstanzliche Rechtsanwalt der Beklagten eine solche Prüfung nicht vorgenommen, sondern den Entwurf der Berufungsbegründung nach Vorlage durch sein Büro wegen anderer vordringlicher Arbeiten zunächst nicht weiter bearbeitet hat, hat er mithin nicht alles ihm Zumutbare getan und veranlasst, damit die Frist zur Begründung des Rechtsmittels gewahrt wird. Daher hat das OLG zu Recht ein Verschulden angenommen.
[13] 2. Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr darauf an, ob das OLG zu Recht aus einer Reihe von Fehlern mehrerer Mitarbeiter den Schluss gezogen hat, dass die Organisation im Anwaltsbüro entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet gewesen oder nicht hinreichend überwacht worden sei (vgl. dazu Senatsbeschluss v. 27.3.2001 - VI ZB 7/01, MDR 2001, 779 = BGHReport 2001, 755 = VersR 2001, 1133, 1134; BGH, Beschl. v. 19.6.1996 - XII ZR 279/95, BGH v. 19.6.1996 - XII ZR 279/95, FamRZ 1996, 1469; v. 20.12.1984 - III ZB 37/84, VersR 1985, 270). Eine Rechtsfortbildung zu der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage, wann eine auffällige Häufung von Mängeln bei der Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist anzunehmen ist, ist nicht geboten, weil der angefochtene Beschluss - wie ausgeführt - schon aus anderen Gründen einer Überprüfung stand hält.
[14] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1703767 |
DB 2007, 1305 |
NJW 2007, 1597 |
BGHR 2007, 465 |
EBE/BGH 2007, 83 |
FamRZ 2007, 636 |
MDR 2007, 559 |
VersR 2008, 233 |
SVR 2007, 267 |
VRR 2007, 162 |
r+s 2007, 526 |