Leitsatz (amtlich)

a) Zum Begriff der Entscheidung in der Hauptsache.

b) Zur Verwirkung des Beschwerderechts für ein befristetes Rechtsmittel.

 

Normenkette

LwVG § 24 Abs. 3; BGB § 242

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Beschluss vom 22.08.1988)

AG Langen (Beschluss vom 31.05.1949)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3 wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Celle – Senat für Landwirtschaftssachen – vom 22. August 1988 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluß des Landwirtschaftsgerichts Dorum vom 31. Mai 1949 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten zu 1 und 2 tragen die Gerichtskosten und haben dem Beteiligten zu 3 seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Beschwerdewert wird auf 30.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Beteiligte zu 3 und der Rechtsvorgänger der Beteiligten zu 1 und 2 Landwirt Ernst O. sind neben drei Schwestern Abkömmlinge des am 1. Juni 1949 verstorbenen Landwirts Eduard Hermann O. (im folgenden: Erblasser). Die Beteiligte zu 2 ist die Witwe des Landwirts Ernst O., der Beteiligte zu 1 dessen Sohn aus der Ehe mit der Beteiligten zu 2.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Auflage im Zusammenhang mit der landwirtschaftsgerichtlichen Genehmigung der Testamente des Erblassers.

Der Erblasser war Eigentümer eines ca. 75 ha großen eingetragenen Hofes im Sinne der Höfeordnung. Er errichtete am 29. Januar 1948 ein notarielles Testament. Darin setzte er seinen ältesten Sohn Ernst O. zum Erben und Hoferben ein, wenn dieser mit Vollendung seines 40. Lebensjahres verheiratet sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte er nur die Stellung eines gewöhnlichen Vorerben haben. Falls Ernst bis zum genannten Zeitpunkt nicht verheiratet sei, sollte der Sohn Herbert O. Erbe und Hoferbe sein und bis dahin die Stellung eines Nacherben haben.

Falls Ernst endgültig Erbe und Hoferbe würde, sollte er innerhalb eines Jahres nach Verheiratung dem Sohn Herbert als Vermächtnis bestimmt bezeichnete Flurstücke von insgesamt 19.0084 ha übertragen, damit Herbert sich eine eigene Hofstelle errichten könne. Wenn dagegen Herbert endgültiger Erbe und Hoferbe würde, solle er die genannten Grundstücke dem Sohn Ernst zur Gründung einer eigenen Hofstelle übertragen. Ferner war bestimmt, daß der endgültige Hoferbe 2/3 der andere Sohn 1/3 des gesamten lebenden und toten Inventars erhalten solle. Den Töchtern Hanna und Gertrud waren Vermächtnisse ausgesetzt. Außerdem war festgestellt, daß die Tochter Elfriede abgefunden sei.

In einem weiteren notariellen Testament vom 9. März 1949 ordnete der Erblasser an, daß der Sohn, der nicht Hoferbe werde, die im einzelnen aufgeführten Grundstücke von nunmehr 22.7938 ha erhalten solle und setzte auch den Töchtern Hanna und Gertrud ein Grundstücksvermächtnis aus.

Im landwirtschaftsgerichtlichen Verfahren zur Genehmigung der Testamente wurde der Landkreis W. angehört, der gegen die Teilung des Hofes und die Abfindung der Töchter mit Ländereien keine Bedenken erhob, jedoch die Befürchtung äußerte, ob es gelingen werde, für die abzutrennenden Ländereien die entsprechenden Gebäude zu schaffen. In der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 1949, zu der der Erblasser und dessen Söhne Ernst und Herbert geladen waren, hat das Landwirtschaftsgericht Dorum durch verkündeten Beschluß seine Zustimmung zu den Testamenten erteilt, „mit der Auflage, daß der Erwerber der neu zu errichtenden Hofstelle innerhalb von 15 Jahren vom Zeitpunkt des Erwerbs gerechnet, von den erworbenen Parzellen nichts veräußern darf (es sei denn an den endgültigen Hoferben) und daß er innerhalb der gleichen Frist ausreichende Wirtschaftsgebäude errichten muß. Werden die Wirtschaftsgebäude innerhalb dieser Frist nicht errichtet, sollen die sämtlichen Parzellen an den alten Hof zurückfallen. Als Entgelt soll dann der endgültige Hoferbe 1/2 des Schätzwertes der zurückgegebenen Parzellen an den die Parzellen zurückgebenden Miterben zahlen”.

Der mit Gründen versehene Beschluß ist am 3. Juni 1949 an den Notar K., der den Erblasser und dessen Sohn Herbert vertrat, zugestellt worden. Eine Zustellung an den Sohn Ernst unterblieb.

Am 1. Juni 1949 starb der Erblasser. Ernst O. heiratete bis zur Vollendung seines 40. Lebensjahres nicht. Demgemäß wurde der Beteiligte zu 3 als Hoferbe im Grundbuch eingetragen. Am 25. Mai 1951 schlossen die Brüder einen notariellen Grundstücksüberlassungsvertrag, durch den der Beteiligte zu 3 seinem Bruder Ernst die vermachten Flurstücke übertrug. In § 3 dieses Vertrages heißt es unter anderem, daß Ernst O. 3 Kenntnis von der Auflage des Genehmigungsbeschlusses vom 31. Mai 1949 habe.

Ernst O. betrieb einige Jahre auf dem überlassenen Grundbesitz Weidewirtschaft und verpachtete den restlichen Teil unter anderem an den Beteiligten zu 3. Die Beteiligte zu 2 bat in einem von ihr und ihrem Ehemann unterzeichneten Schreiben vom 19. August 1985 an das Amtsgericht Dorum um Verlängerung der Frist „für die Fertigstellung des Betriebes” entsprechend der Auflage. Dieser Vorgang konnte zunächst nicht untergebracht werden. Die Beteiligte zu 2 erklärte am 12. Januar 1966 die Sache sei erledigt. 1973 und 1975 verkaufte Ernst zwei Bauplätze.

Mitte der 70er Jahre verpachtete er die gesamten Ländereien, einen Teil unter anderem an den Beteiligten zu 3.

Am 12. November 1985 verstarb Ernst O. und wurde von den Beteiligten zu 1 und 2 je zu 1/2 beerbt. Der Beteiligte zu 3 fordert von diesen die Rückübertragung der Ländereien unter Bezugnahme auf den Überlassungsvertrag vom 25. Mai 1951, was diese ablehnen.

Mit einem beim Oberlandesgericht am 9. November 1987 eingegangenen Schriftsatz vom 6. November 1987 haben die Beteiligten zu 1 und 2 sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Landwirtschaftsgerichts Dorum vom 31. Mai 1949 erhoben und sinngemäß beantragt, die Auflage aus diesem Beschluß aufzuheben oder hilfsweise festzustellen, daß diese Auflage unzulässig sei. Der Beteiligte zu 3 hält die sofortige Beschwerde für unzulässig.

Das Oberlandesgericht Celle – Senat für Landwirtschaftssachen – hat mit Beschluß vom 16. Mai 1988 die sofortige Beschwerde in Richtung gegen den Beteiligten zu 3 für zulässig gehalten und schließlich mit Beschluß vom 22. August 1988 den Beschluß des Landwirtschaftsgerichts Dorum vom 31. Mai 1949 abgeändert und die Verfügungen des Erblassers in den Testamenten vom 29. Januar 1948 und vom 9. März 1949 unbedingt genehmigt. Gegen diesen am 7. Oktober 1988 zugestellten Beschluß richtet sich die am 7. November 1988 eingegangene und am 3. Dezember 1988 näher begründete Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3, der die sofortige Beschwerde nach wie vor für unzulässig hält. Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 24 Abs. 2 Nr. 2 LwVG statthaft und auch im übrigen zulässig (§§ 25, 26 LwVG). Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 LwVG sind nicht nur dann gegeben, wenn das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen hat; sie liegen vielmehr auch dann vor, wenn die vom Oberlandesgericht bejahte Zulässigkeit der Beschwerde streitig ist und die Rechtsbeschwerde – wie im vorliegenden Fall – geltend macht, die sofortige Beschwerde sei unzulässig gewesen (Senatsbeschl. v. 20. Februar 1968, V BLw 34/67, RdL 1968, 97/98; Barnstedt/Steffen, LwVG 4. Aufl. § 24 Rdn. 42). Die Prüfungszuständigkeit des Senats beschränkt sich in diesem Fall allerdings auf die Zulässigkeit der Beschwerde (Senatsbeschl. a.a.O., S. 99; BGHZ 15, 5, 8).

Der Beteiligte zu 3 konnte den Zwischenbeschluß des Oberlandesgerichts vom 16. Mai 1988 nicht selbständig anfechten, denn dieser Beschluß war nicht in der Hauptsache erlassen (§ 24 Abs. 3 LwVG). Entscheidungen in der Hauptsache sind solche Beschlüsse, durch die über einen Sach- oder Verfahrensantrag ganz oder teilweise entschieden und die Instanz damit abgeschlossen wird (BGHZ 14, 381, 384; Pritsch, LwVG § 21 Anm. B III a.a.O.,). Nicht in der Hauptsache erlassen sind Beschlüsse, die sich in der Entscheidung über Neben- und Zwischenfragen erschöpfen, ohne das Verfahren über das eigentliche Streitverhältnis ganz oder teilweise zum Abschluß zu bringen und die infolgedessen ihren Sinn erst durch die Blickrichtung auf diese Entscheidung und von dieser Entscheidung her gewinnen (Senatsbeschl. v. 12. Juli 1966, V BLw 8/66, NJW 1966, 2310 m.w.N.; Barnstedt/Steffen, LwVG 4. Aufl. § 21 Rdn. 17 m.w.N.). So liegt der Fall hier.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Zutreffend führt das Oberlandesgericht aus, daß der Beschluß des Amtsgerichts Dorum vom 31. Mai 1949 an Ernst O. als Beteiligten hätte zugestellt werden müssen. Für ihn lief auch bei Kenntnis des Beschlusses eine Rechtsmittelfrist nicht an. Diesen Ausgangspunkt bezweifelt auch die Rechtsbeschwerde nicht.

b) Das Oberlandesgericht verneint unter Hinweis auf den Senatsbeschluß vom 25. März 1965 (V BLw 25/64, NJW 1965, 1532) auch eine Verwirkung des Beschwerderechts. Dazu genüge der Ablauf eines langen Zeitraumes seit dem Erlaß einer dem Beschwerdeführer nicht zugestellten Entscheidung allein nicht, vielmehr müßten noch besondere Umstände hinzutreten, um eine späte Rechtsmitteleinlegung als mißbräuchlich erscheinen zu lassen. Davon könne hier nicht gesprochen werden. Der Beteiligte zu 3 habe – nachdem er endgültiger Hoferbe geworden sei – seinem Bruder Ernst nicht zu erkennen gegeben, daß er auf die mit der Auflage verbundene Rechtslage vertraue und sich hierauf einrichte. Die beiden Brüder hätten übereinstimmend die testamentarischen Bedingungen akzeptiert, die Auflage zwar zur Kenntnis genommen, sie aber nicht weiter beachtet. Das zeige der Übertragungsvertrag vom 25. Mai 1951. Weiter habe der Beteiligte zu 3 auch nach Ablauf der 15-Jahresfrist bis zum Jahre 1986 keine Anstalten unternommen, die seinem Bruder übertragenen Ländereien zurückzufordern. Auch wenn die Ehefrau des Beteiligten zu 3 1978 unter Hinweis auf den Vertrag vom 25. Mai 1951 und auf die Absicht des Beteiligten zu 3, die Grundstücke zurückzufordern, die Anpachtung freigewordener Flächen durchgesetzt habe, so zeige dies nur, daß der Beteiligte zu 3 damals die Ländereien gar nicht ernsthaft habe zurückfordern wollen.

Diese Ausführungen werden von der Rechtsbeschwerde mit Recht beanstandet. Dabei kann offenbleiben, ob – wie die Rechtsbeschwerde meint – Ernst O. bereits mit Vertrag vom 25. Mai 1951 auf Rechtsmittel gegen den Beschluß des Amtsgerichts Dorum vom 31. Mai 1949 wirksam verzichtet hat, denn jedenfalls hat Ernst O. durch sein Verhalten sein Beschwerderecht bereits zu seinen Lebzeiten verwirkt mit der Folge, daß die erst von den Beteiligten zu 1 und 2 eingelegte sofortige Beschwerde unzulässig ist.

Der Senat hat im Beschluß vom 25. März 1965 (a.a.O.) die Möglichkeit einer Verwirkung auch für befristete Rechtsmittel bejaht und ausgeführt, das sog. „Umstandsmoment” könne gegeben sein, wenn die Beteiligten den durch die angefochtene Entscheidung geschaffenen Zustand infolge Ausbleibens eines Rechtsmittels als endgültig angesehen haben und ansehen durften. Die Gründe mit denen das Oberlandesgericht hier einen solchen Fall verneint, sind nicht stichhaltig.

Die beteiligten Brüder Ernst und Herbert haben nach Eintritt der Hoferbfolge den Vertrag vom 25. Mai 1951 abgeschlossen. Dabei ist in § 3 ausdrücklich die Auflage des Landwirtschaftsgerichts wörtlich wiedergegeben und zur Grundlage des Vertrages gemacht. Bei der Frage, ob in der Einlegung eines Rechtsmittels eine unzulässige Rechtsausübung liegt, kommt es zunächst maßgeblich auf das Verhalten des beschwerten Beteiligten an. Ernst O. war durch die Auflage des Landwirtschaftsgerichts beschwert und gab mit § 3 des Vertrages vom 25. Mai 1951 seinem Bruder mit aller Deutlichkeit zu erkennen, daß er gegen diese Auflage nichts unternehmen werde. Ähnlich kommt dies in seinem an das Gericht gerichteten Schreiben vom 19. August 1965 zum Ausdruck, in dem er um Fristverlängerung entsprechend der gerichtlichen Auflage nachsucht. Auch wenn dieses Schreiben nicht dem Beteiligten zu 3 bekannt geworden ist, macht es doch deutlich, daß die Beteiligten, insbesondere Ernst O. den durch die Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts geschaffenen Zustand als endgültig angesehen haben und auch ansehen durften. Es wäre deshalb mit Treu und Glauben unvereinbar gewesen, wenn Ernst Osterndorff zu seinen Lebzeiten mit einer sofortigen Beschwerde die Auflage des Landwirtschaftsgerichts angefochten hätte, obwohl er in Kenntnis des Beschlusses einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hat verstreichen lassen, ohne Rechtsmittel einzulegen.

Nicht zu folgen ist der Meinung des Oberlandesgerichts, der Vertrag vom 25. Mai 1951 zeige, daß die Brüder die Auflage des Landwirtschaftsgerichts zwar zur Kenntnis genommen aber nicht beachtet hätten. Nach dem Vertragswortlaut ist vielmehr eindeutig, daß sich die beiden Brüder auf die Auflage des Landwirtschaftsgerichts eingerichtet hatten.

Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Beteiligte zu 3 nach Ablauf der 15-Jahresfrist Anstalten unternommen hat, die übertragenen Ländereien zurückzufordern. Dabei kann offenbleiben, ob und auf welcher Grundlage der Beteiligte zu 3 einen solchen Anspruch hat. Sein Verhalten kann allenfalls Anlaß geben, zu prüfen, ob er einen solchen Rückforderungsanspruch verwirkt hat. Wenn das zuträfe, würde das aber nicht bedeuten, daß Ernst O. oder nunmehr die Beteiligten zu 1 und 2 noch berechtigt waren oder sind, Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Dorum vom 31. Mai 1949 einzulegen.

Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 ist deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 44, 45 LwVG.

 

Unterschriften

Hagen, Linden, Vogt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1742372

BGHR

Nachschlagewerk BGH

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