Leitsatz (amtlich)
Zur Verpflichtung des besonderen Vollstreckungsleiters (§ 85 Abs. 2 JGG), bei Änderung der Umstände die gemäß § 85 Abs. 5 JGG übertragene Vollstreckung zurückzunehmen.
Normenkette
JGG § 85 Abs. 2, 5
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Urteil vom 06.05.1998) |
AG Adelsheim |
AG Rottenburg |
Tenor
Die Vollstreckung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 6. Mai 1998 obliegt dem Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim.
Gründe
1. Das Amtsgericht Stuttgart hatte am 6. Mai 1998 gegen den zur Tatzeit 17jährigen Verurteilten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten erkannt. Der Verurteilte verbüßte die Jugendstrafe in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim. Durch die Aufnahme in den Jugendstrafvollzug der Justizvollzugsanstalt Adelsheim wurde der Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim gemäß § 85 Abs. 2 JGG Vollstreckungsleiter. Am 3. März 1999 wurde der Verurteilte in die Türkei abgeschoben, von der weiteren Vollstreckung der Jugendstrafe wurde gemäß § 456 a StPO abgesehen. Am 26. Februar 2004 wurde der Verurteilte in der Bundesrepublik Deutschland festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt Adelsheim gebracht. Der Vollstreckungsleiter ordnete am 19. März 2004 gemäß § 92 Abs. 2 und 3 JGG die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug an. Am 29. März 2004 erfolgte die Aufnahme des Verurteilten im Erwachsenenvollzug in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim gab die Vollstreckung mit Beschluß vom 30. März 2004 gemäß § 85 Abs. 5 JGG an das Amtsgericht Rottenburg a. N. ab. Der dortige Jugendrichter übernahm die Vollstreckung durch Beschluß vom 9. April 2004. Durch Beschluß vom 19. August 2004 wurde erneut von der Vollstreckung der Restjugendstrafe gemäß § 456 a StPO abgesehen und der Verurteilte wurde am 14. September 2004 nach Österreich abgeschoben. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Rottenburg a. N. hob daraufhin seinen Beschluß vom 9. April 2004 auf und gab die weitere Vollstreckung dem gemäß § 85 Abs. 2 JGG zuständigen Vollstreckungsleiter des Amtsgerichts Adelsheim zurück. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim lehnte die Rücknahme ab. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Rottenburg a. N. legte die Sache daraufhin dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor.
2. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht nach § 14 StPO, § 2 JGG zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen, weil die Amtsgerichte Rottenburg a. N. und Adelsheim im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Oberlandesgerichte liegen (OLG Stuttgart und OLG Karlsruhe).
3. Der Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim als Vollstreckungsleiter nach § 85 Abs. 2 JGG ist verpflichtet, die Vollstreckungsleitung zurückzunehmen.
a) Der Vollstreckungsleiter nach § 85 Abs. 2 JGG bleibt trotz einer Übertragung der Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 5 JGG „Herr des Verfahrens” (vgl. BGHSt 24, 332, 335), denn die Abgabe nach § 85 Abs. 5 JGG ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung stets widerruflich. Daraus folgt, daß der Vollstreckungsleiter gemäß § 85 Abs. 2 JGG das Recht, aber auch die Pflicht behält, bei Änderung der Verhältnisse seine Entscheidung nachzuprüfen und, wenn erforderlich, die Übertragung rückgängig zu machen und ein anderes Gericht mit den weiteren Aufgaben zu betrauen (vgl. BGHSt 24, 332, 335; 28, 351, 353; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1989, 274, 275; Sonnen in Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 4. Aufl. § 85 Rdn. 11). Die Verpflichtung des Vollstreckungsleiters nach § 85 Abs. 2 JGG, bei einer Änderung der Umstände tätig zu werden, ist auch deshalb sachgerecht, weil der gemäß § 85 Abs. 5 JGG mit der Vollstreckungsleitung beauftragte Jugendrichter die Sache nicht weitergeben darf (vgl. BGHSt 24, 332, 335; 27, 329, 331; BGH NStZ 1983, 139; NStZ-RR 2003, 29; Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. § 85 Rdn. 18; Sonnen in Diemer/Schoreit/Sonnen aaO Rdn. 11; Eisenberg JGG 10. Aufl. § 85 Rdn.13; Ostendorf JGG 6. Aufl. § 85 Rdn. 13).
b) Für eine Verpflichtung des Jugendrichters beim Amtsgericht Adelsheim, die Vollstreckungsleitung zurückzunehmen, sprechen im konkreten Fall praktische Gesichtspunkte. Die Übertragung der Vollstreckungsleitung an das Amtsgericht Rottenburg a. N. durch Beschluß des Amtsgerichts Adelsheim vom 30. März 2004 war nach § 85 Abs. 5 JGG unter dem Gesichtspunkt der Vollzugsnähe gerechtfertigt und sachlich geboten, weil der Verurteilte zu diesem Zeitpunkt in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg aufgenommen worden war (vgl. BGHSt 30, 9; BGH, Beschluß vom 3. September 2003 – 2 ARs 253/03). Der Grund für die Übertragung der Vollstreckungsleitung an das Amtsgericht Rottenburg a. N. ist aber mit der Abschiebung des Verurteilten nach Österreich entfallen. Während der Abwesenheit des Verurteilten besteht kein Grund für eine Abgabe der Vollstreckung durch den nach § 85 Abs. 2 JGG zuständigen Vollstreckungsleiter (vgl. OLG Hamm MDR 1983, 602). Entscheidungen des Vollstreckungsleiters werden erst dann wieder notwendig, wenn der Verurteilte erneut in der Bundesrepublik Deutschland verhaftet werden sollte. Derzeit ist nicht abzusehen, in welcher Justizvollzugsanstalt die Restjugendstrafe in diesem Fall verbüßt werden würde. Bei einer Aufnahme des Verurteilten in eine andere Justizvollzugsanstalt könnte der Jugendrichter beim Amtsgericht Rottenburg a. N. die Vollstreckungsleitung nicht an den dann örtlich zuständigen Jugendrichter übertragen. Auch zu einer Übertragung der Vollstreckung auf die Staatsanwaltschaft nach § 85 Abs. 6 JGG ist er nicht befugt, sondern nur der Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim als Vollstreckungsleiter nach § 85 Abs. 2 JGG. Angesichts dessen erscheint es sachgerecht, daß der Jugendrichter beim Amtsgericht Adelsheim schon jetzt die Vollstreckungsleitung wieder übernimmt.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Maatz, Bode, Otten, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2556516 |
BGHR |
NStZ 2005, 644 |
Nachschlagewerk BGH |