Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 04.12.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 4. Dezember 2001 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung, Vergewaltigung und Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs, ist im übrigen indessen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zum Schuldspruch bemerkt der Senat, daß die Verurteilung des Angeklagten wegen Nötigung im Falle D. der Urteilsgründe (Tat vom 17. Mai 2001) im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Strafkammer nimmt an, der Angeklagte habe den Tatbestand des § 240 StGB dadurch verwirklicht, daß er die Zeugin P. durch Versperren der Fahrbahn an der Weiterfahrt mit ihrem Pkw Fiat gehindert habe. Den Feststellungen zufolge stellte sich der Angeklagte mit ausgebreiteten Armen so auf die Fahrbahn, daß die Zeugin anhalten mußte und keine Möglichkeit mehr hatte, mit ihrem Fahrzeug an ihm vorbeizufahren, ohne ihn zu gefährden. Nachdem der Angeklagte zunächst versucht hatte, die von innen verriegelte Beifahrertür zu öffnen und die Zeugin Anstalten machte, wieder loszufahren, stellte er sich erneut vor den Pkw und legte sich dann mit seinem gesamten Körper auf die Motorhaube, um nun auf diese Weise die Weiterfahrt zu verhindern. Die Zeugin hielt erneut an, weil sie wiederum nicht in Kauf nehmen wollte, den Angeklagten durch eine Weiterfahrt zu gefährden.
Allein durch das Versperren der Fahrbahn mit ausgebreiteten Armen ist der Nötigungstatbestand indessen nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Merkmals der Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB liegt solche dann nicht vor, wenn die Handlung lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Betroffenen nur psychischer Natur ist (BVerfGE 92, 1, 16 ff. = BVerfG NStZ 1995, 275, 276). Stellt sich also jemand auf die Straße und zwingt so – ohne Gefährdung anderer (vgl. § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB) – den ersten herannahenden Autofahrer zum Anhalten, so ist dies nicht strafbar. Daran ändert nichts, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen ergangen ist. Die Auslegung des Merkmals der Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB kann nicht davon abhängen, welche Ziele der Täter weiter verfolgt, ob er also von seinem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen oder den zum Anhalten gezwungenen Autofahrer zu einem persönlichen Gespräch veranlassen will.
Gleichwohl hat der Schuldspruch auch insoweit im Ergebnis Bestand. Der Angeklagte hat sich anschließend, als die Geschädigte wieder anfahren wollte, mit seinem Körper auf die Motorhaube des Pkw Fiat gelegt. Damit hat er nun unter Einsatz seines Körpers und unter Entfaltung gewisser Körperkraft auch ein physisches Hindernis geschaffen, von dem auf die Autofahrerin nicht nur psychische Zwangswirkung durch bloße Anwesenheit ausging (vgl. im übrigen zur Abgrenzung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes BGH NJW 1995, 3131 – Ausbremsen im Verkehr; BGHSt 41, 182 – sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung; BGH, Beschl. vom 1. August 1995 – 1 StR 334/95 – Kreuzungsblockade durch mehrere hundert Personen; BGHSt 41, 231 – „Spaziergangs-Demonstrant”; BGHSt 44, 34 – Gleisblockade mit Stahlkasten).
2. Die Zumessung der Strafe wegen der Vergewaltigung ist indessen von einem Rechtsmangel mitbestimmt. Die Strafkammer wertet strafschärfend, daß der Angeklagte keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Unrecht seines Handelns habe erkennen lassen. Der ablehnenden Haltung der Geschädigten (gegenüber dem vom Angeklagten gewollten und erzwungenen Geschlechtsverkehr) sowohl bei als auch nach der Tat habe er nach wie vor mit Unverständnis gegenübergestanden. Er sei davon überzeugt gewesen, wie er insbesondere durch seine Vorhaltungen während der Vernehmung der Geschädigten gezeigt habe, daß der erzwungene Geschlechtsverkehr dann letztlich doch auch von der Geschädigten gewollt und als angenehm empfunden worden sei (UA S. 23 unten).
Dem liegt folgendes zugrunde: Der Angeklagte hatte mit der Zeugin eine auch intime, mittlerweile aber von der Zeugin beendete Beziehung. Er hatte diese unter dem Versprechen, sie „nicht anzufassen” veranlaßt, mit ihm in seine Wohnung zu gehen und sich mit ihm ins Bett zu legen. Der Angeklagte hat den gewaltsamen Beginn des Geschlechtsverkehrs eingeräumt, sich aber weiter dahin eingelassen, die Zeugin sei während des andauernden Geschlechtsverkehrs zum sexuellen Höhepunkt gekommen. Die Geschädigte hingegen hat ausgesagt, während des erzwungenen Geschlechtsverkehrs habe der Angeklagte ein entsprechendes Verlangen geäußert und angekündigt „zu warten”, bis sie auch „komme”. Deshalb habe sie einen Höhepunkt vorgetäuscht, um das für sie nach wie vor unerwünschte Geschehen möglichst rasch zu beenden. Diese Angaben hat die Strafkammer ihren Feststellungen zugrunde gelegt.
Danach ist zu besorgen, daß die Strafkammer dem Angeklagten bei der Strafbemessung letztlich sein Verteidigungsverhalten angelastet hat. Das ist nicht statthaft. Prozeßverhalten, mit dem ein Angeklagter – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden oder die Tat sonst in einem milderen Licht erscheinen zu lassen versucht, darf grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, weil hierin eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge (vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 m.w.Nachw.). Da von der rechtsfehlerhaften Erwägung die Einsatzstrafe betroffen ist, vermag der Senat nicht auszuschließen, daß auch die Gesamtstrafe und die anderen Einzelstrafen von dem Mangel beeinflußt sind. Die dem Rechtsfolgenausspruch zugrundeliegenden Feststellungen werden von der zu beanstandenden Erwägung indessen nicht berührt; sie können bestehen bleiben, weil lediglich ein Wertungsfehler in Rede steht. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind zulässig.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Schluckebier, Kolz, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 2559337 |
ZAP 2002, 696 |
DAR 2003, 295 |
NStZ-RR 2002, 236 |
StV 2002, 360 |
VRA 2002, 121 |
LL 2002, 682 |