Leitsatz (amtlich)
Das Gericht des ersten Rechtszugs ist auch dann gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 BtMG für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zuständig, wenn die Therapiezeit nicht auf die Strafe angerechnet wird, weil der Verurteilte bereits vor der Therapie zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte.
Normenkette
BtMG § 36 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
AG Balingen (Urteil vom 16.06.1998; Aktenzeichen 1 Ds 24/98) |
LG Karlsruhe |
Tenor
Für die Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Hechingen, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Balingen vom 16. Juni 1998 – 1 Ds 41 und 24/98 – zur Bewährung auszusetzen, ist das Amtsgericht Balingen zuständig.
Tatbestand
I.
Das Amtsgericht Balingen hat den Angeklagten am 16. Juni 1998 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Nach Widerruf der zunächst bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung hat der Verurteilte bis zum 3. März 2001 zwei Drittel der Strafe verbüßt. Sodann wurde die Vollstreckung zunächst zur Teilverbüßung anderer Freiheitsstrafen unterbrochen (§ 454 b Abs. 2 StPO) und später mit Zustimmung des Amtsgerichts Balingen durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Hechingen vom 31. August 2001 ab 3. September 2001 gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG zurückgestellt mit der Maßgabe, daß die Therapiezeit nicht auf die Strafe angerechnet werde, weil bereits zwei Drittel der Strafe verbüßt seien. Auch die Staatsanwaltschaften Heilbronn und Rottweil stellten die Vollstreckung der dortigen Reststrafen zurück. Nach erfolgreichem Verlauf wurde der Verurteilte am 3. Februar 2002 aus der Therapie bei der staatlich anerkannten Drogenhilfe Tübingen entlassen. Es ist nunmehr darüber zu entscheiden, ob die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Für die von den Staatsanwaltschaften Heilbronn und Rottweil zu vollstreckenden Strafen ist die Strafaussetzung bereits erfolgt. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat am 14. Mai 2002 bei dem Amtsgericht Balingen beantragt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 16. Juni 1998 gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung auszusetzen. Das Amtsgericht Balingen – bestätigt im Beschwerdeverfahren durch das Landgericht Hechingen – und die auswärtige Strafvollstreckungskammer Pforzheim des Landgerichts Karlsruhe haben sich für unzuständig erklärt, über den Antrag der Staatsanwaltschaft Hechingen zu entscheiden. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat beantragt, gemäß § 14 StPO das zuständige Gericht zu bestimmen (zur Antragsbefugnis vgl. Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 14 Rdn. 13 m.w.N.).
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung über die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung obliegt dem Amtsgericht Balingen.
Nach der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG und dem Abschluß der Drogentherapie ist das Gericht des ersten Rechtszugs auch dann gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 BtMG für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zuständig, wenn die Therapiezeit nicht auf die Strafe angerechnet wird, weil der Verurteilte bereits vor der Therapie zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte. In diesen Fällen geht die Zuständigkeit für die Aussetzungsentscheidung entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Balingen nicht deshalb auf die Strafvollstreckungskammer über, weil die Therapiezeit nicht auf die Strafe angerechnet werden kann.
§ 36 Abs. 5 Satz 1 BtMG überträgt die nach den Absätzen 1 bis 3 zu treffenden Entscheidungen dem Gericht des ersten Rechtszugs. Absatz 1 erfaßt die Fälle, in denen sich der Verurteilte nach der Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 BtMG) in einer staatlich anerkannten Einrichtung hat behandeln lassen. Diese Therapiezeit wird bis zur Erledigung von zwei Dritteln obligatorisch auf die Strafe angerechnet. Nach Abschluß der Therapie setzt das Gericht bei günstiger Prognose die Reststrafe zur Bewährung aus. Absatz 2 ermöglicht die Aussetzung der Reststrafe auch dann, wenn die Abhängigkeitsbehandlung in einer staatlich nicht anerkannten Einrichtung erfolgt ist. In diesen Fällen ist die Anrechnung der Therapiezeit auf die Strafe aber nicht obligatorisch, vielmehr steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob die Zeit der Behandlung ganz oder zum Teil auf die Strafe angerechnet wird (§ 36 Abs. 3 BtMG; vgl. Körner, BtMG 5. Aufl. § 36 Rdn. 34; Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 36 Rdn. 11).
Der hier zu beurteilende Vollstreckungsverlauf, bei dem zwei Drittel der Strafe nicht durch Anrechnung, sondern schon vor der Zurückstellung durch Verbüßung erledigt sind und die Therapie somit auch nicht vor Erreichen der Zwei-Drittel-Verbüßung abgeschlossen wurde, wird vom Wortlaut des § 36 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BtMG nicht unmittelbar erfaßt. Bei dem Verurteilten N. besteht die Besonderheit, daß die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 und 2 BtMG bei formaler Betrachtung deshalb nicht in vollem Umfang gegeben sind, weil er die tatbestandsmäßigen Anforderungen dieser Vorschriften übererfüllt hat. Soweit § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG in Betracht kommt, hatte der Verurteilte schon vor der obligatorischen Anrechnung der Therapiezeit in einer staatlich anerkannten Einrichtung zwei Drittel der Strafe verbüßt; soweit Absatz 2 in Betracht kommt, hat der Verurteilte die Therapie in einer staatlich anerkannten Einrichtung absolviert und nicht nur in einer Einrichtung, bei der die Anrechnung der Therapiezeit von einer Ermessensentscheidung des Gerichts abhängt. Es würde jedoch Sinn und Zweck der Zurückstellung der Strafvollstreckung widersprechen, die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG nur deswegen zu verneinen, weil der Verurteilte durch die Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe bereits mehr an Vorleistung erbracht hat, als diese Vorschrift für eine Strafaussetzung zur Bewährung erfordert. Dies gilt um so mehr, als die Strafaussetzung nach einer staatlich nicht anerkannten Therapie nach § 36 Abs. 2 BtMG auch dann möglich ist, wenn diese Therapie nicht gemäß § 36 Abs. 3 BtMG auf die Strafe angerechnet wird. Dies zeigt, daß die Anrechnung der Therapiezeit auf die Strafe nach dem Regelungskonzept des § 36 BtMG nicht notwendige Voraussetzung für eine Strafaussetzung zur Bewährung ist. Auch wenn somit der Wortlaut des § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG den vorliegenden Fall nicht unmittelbar erfaßt, ist er nach Sinn und Zweck der Regelung jedenfalls entsprechend anwendbar (so zutreffend schon LG Offenburg StV 1996, 218).
Dies hat zur Folge, daß gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 BtMG das Amtsgericht Balingen als Gericht des ersten Rechtszugs darüber zu entscheiden hat, ob die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 16. Juni 1998 zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer kommt daher nicht in Betracht.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558671 |
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