Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 24.11.2023; Aktenzeichen 103 KLs 21/19) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 24. November 2023 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf allein das Folgende:
Rz. 2
1. Auch der Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr hat im Ergebnis Bestand. Der vom Generalbundesanwalt insoweit beantragten Abänderung des Schuldspruchs in eine Versuchstat ist der Senat nicht gefolgt.
Rz. 3
a) Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - folgende Feststellungen getroffen: Am Morgen des 3. Februar 2018 entriss der Angeklagte, der eine scharfe Schusswaffe bei sich führte, der Ehefrau des ebenfalls anwesenden Geschädigten vor ihrem Wohnhaus in R. gewaltsam einen Koffer mit über drei Kilogramm Goldschmuck. Sodann flüchteten der Angeklagte und seine Mittäter mit einem Kraftfahrzeug vom Tatort. Der Geschädigte nahm mit seinem Pkw Land Rover Discovery sogleich die Verfolgung der Täter auf, um seinen Goldschmuck zurückzuerlangen. Auf der vielbefahrenen Bundesautobahn 4 kam es zu einer Kollision beider Fahrzeuge, indem der Geschädigte auffuhr. Um ihn abzuschütteln, lehnte sich der hinten links sitzende Angeklagte aus dem Fenster des vorausfahrenden Täterfahrzeugs und gab einen Schuss in Richtung des Pkw des Geschädigten ab. Das Projektil traf zunächst die Motorhaube auf der Fahrerseite des Land Rovers und prallte sodann an dessen Windschutzscheibe ab. Beide Fahrzeugteile wurden hierbei beschädigt. Der Angeklagte gab keinen weiteren Schuss ab, obwohl er die Möglichkeit hierzu gehabt hätte. Die Verfolgungsfahrt endete schließlich in einem Wendehammer im Kölner Stadtgebiet. Im Anschluss vermochte der Geschädigte die Tatbeute zurückzuerlangen.
Rz. 4
b) Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte auch wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht.
Rz. 5
aa) Die Strafkammer hat allerdings zu Unrecht § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht gesehen. Zwar ist das Fahrzeug des Geschädigten infolge der Schussabgabe durch den Angeklagten beschädigt worden. Der Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt aber voraus, dass durch die Beschädigung eines fremden Fahrzeugs die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt worden ist. Die Beschädigung des Fahrzeugs muss mithin das Mittel der Gefährdung gebildet haben und dieser also zeitlich und ursächlich vorausgehen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 - 4 StR 340/11 Rn. 5; Urteil vom 25. Mai 1994 - 4 StR 90/94 Rn. 6; Urteil vom 9. November 1989 - 4 StR 342/89 Rn. 8 f. mwN). Erschöpft sich die Beeinträchtigung hingegen - wie hier - in der Beschädigung des fremden Kraftfahrzeugs, scheidet die Anwendung von § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB aus.
Rz. 6
bb) Nach den Urteilsgründen hat der Angeklagte jedoch den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht.
Rz. 7
(1) Dieser Tatbestand kann auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung (hier: Abgabe des Schusses) unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung (Sachschäden am Kraftfahrzeug des Geschädigten) führt. Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Nicht jede Sachbeschädigung oder auch Körperverletzung im Straßenverkehr ist tatbestandsmäßig im Sinne des § 315b StGB. Vielmehr gebietet der Schutzzweck insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. August 2022 - 4 StR 215/22 Rn. 4; Urteil vom 9. Dezember 2021 - 4 StR 167/21 Rn. 17 f. mwN; Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124). Dies ist der Fall, wenn die konkrete Gefahr jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2022 - 4 StR 215/22 Rn. 4; Urteil vom 9. Dezember 2021 - 4 StR 167/21 Rn. 18; Beschluss vom 30. August 2017 - 4 StR 349/17 Rn. 3; Beschluss vom 4. November 2008 - 4 StR 411/08 Rn. 6 f.).
Rz. 8
(2) Nach diesen Maßgaben kann die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bestehen bleiben. Anders als in den bisher vom Senat entschiedenen Fällen, in denen er ohne eingetretenen „Beinahe-Unfall“ eine verkehrsspezifische Gefahr durch Pistolenschüsse auf Kraftfahrzeuge verneint hat (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2017 - 4 StR 349/17; Beschluss vom 16. Juli 2015 - 4 StR 117/15; Beschluss vom 4. November 2008 - 4 StR 411/08), traf der vom Angeklagten abgegebene Schuss nicht die Seitenfläche, sondern die Stirnseite des vorwärts bewegten fremden Pkws. Bei der Schadensentstehung wirkte die Dynamik des Straßenverkehrs hier zumindest dadurch gefahrerhöhend, dass im Auftreffen des Projektils zu dessen kinetischer Energie - anders auch als bei einem stehenden Fahrzeug als Ziel - jene Bewegungsenergie hinzukam, die mit der gegenläufigen Bewegung der Trefferfläche an dem nachfolgenden Kraftfahrzeug des Geschädigten verbunden war (vgl. auch zu Steinwürfen BGH, Urteil vom 9. Dezember 2021 - 4 StR 167/21 mwN). Dieser synergistische Effekt begründet ungeachtet der hohen Eigendynamik des auftreffenden Projektils unter den festgestellten Umständen die erforderliche, aber auch ausreichende innere Verbindung der eingetretenen konkreten Gefahr mit der Dynamik des Straßenverkehrs (vgl. allgemein BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124 f.). Den Feststellungen kann zudem entnommen werden, dass dem Kraftfahrzeug des Geschädigten ein bedeutender Schaden drohte und der Angeklagte auch insoweit vorsätzlich handelte.
Rz. 9
2. Der Senat vermag über das Rechtsmittel durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Die vom Generalbundesanwalt beantragte und mit einem Verwerfungsantrag gemäß § 349 Abs. 2 StPO im Übrigen verknüpfte Schuldspruchänderung, welcher der Senat nicht folgen will, steht einer Verwerfung des Rechtsmittels durch Beschluss nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2021 - 4 StR 134/21 Rn. 21; Beschluss vom 9. Januar 2020 ‒ 4 StR 345/19 Rn. 6; Beschluss vom 21. November 2019 ‒ 4 StR 158/19 Rn. 4; jeweils mwN).
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Ri‘inBGH Dr. Momsen-Pflanz ist krankheitsbedingt an der Unterschriftsleistung gehindert. |
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Scheuß |
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Fundstellen
Haufe-Index 16344617 |
JA 2024, 958 |
NStZ-RR 2024, 6 |
NZV 2024, 545 |
ZfS 2024, 588 |
StraFo 2024, 310 |
VRR 2024, 15 |