Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 17. Januar 2000 insoweit mit den Feststellungen aufgehoben, als gegen ihn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in sieben Fällen und der versuchten gefährlichen Körperverletzung in einem weiteren Fall wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen, jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechtes rügt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte eine Reihe von Anlaßtaten begangen, nämlich in den Jahren 1992, 1993 und 1995 seine Lebensgefährtin mit verschiedenen Gegenständen (Messer, Kaffeekanne, Bierflasche, Stuhllehne, Wäscheständer, Zementsack) erheblich mißhandelt hat. Allerdings ist der Fall 8 nicht datiert. Auch hat keine Beachtung gefunden, daß der Fall 1 (Tatzeit: Januar/Februar 1992) und womöglich auch der Fall 2 (Tatzeit: 1992) verjährt sind, weil die für § 223 a a.F. StGB geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) bereits abgelaufen war, bevor am 21. November 1997 mit Anordnung der ersten Vernehmung des damaligen Beschuldigten eine zur Verjährungsunterbrechung geeignete Handlung (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB) stattfand.
Unzulänglich sind aber vor allem die Ausführungen des Landgerichts dazu, ob den Taten des Angeklagten ein länger andauernder Zustand (zumindest) erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zugrunde lag. Es bejaht – dem hierzu gehörten Sachverständigen folgend – das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Obgleich die Urteilsgründe durchaus Anhaltspunkte hierfür bieten, ist ihnen doch nicht zu entnehmen, welche Form der schweren anderen seelischen Abartigkeit das Landgericht annimmt und ob es dabei von zutreffenden Maßstäben ausgegangen ist. Denn es beschränkt sich auf die Feststellung einer „dissozialen Persönlichkeitsstörung” und beschreibt deren Kriterien nach dem Merkmalskatalog der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen internationalen Klassifikation ICD 10 (International Classification of Diseases, 10th revision, deutsche Fassung Dilling/Mombour/Schmidt [Hrsg.] 2. Aufl.). Das genügt nicht. Abgesehen davon, daß diese Kriterien in den Urteilsgründen nicht mit Tatsachen belegt werden, ergeben sie auch noch keinen Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit; denn die ICD, die vor allem der internationalen fachlichen Verständigung dient, zählt lediglich Erkrankungen und Verhaltensstörungen auf und ordnet sie ein, trifft aber keine Aussage darüber, ob und inwieweit die beschriebenen Defekte die Schuldfähigkeit des Täters beeinträchtigen (BGH NStZ 1997, 383 = BGHR StGB § 21 Psychose 1; BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 29). Die Feststellung einer „dissozialen Persönlichkeitsstörung” besagt wenig; denn dieser Begriff kann auch Eigenschaften und Verhaltensweisen umspannen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens uneingeschränkt schuldfähiger Menschen bewegen, also keine schwere andere seelische Abartigkeit begründen (BGHR StGB § 63 Zustand 24). Es bedarf daher einer näheren Beschreibung und Eingrenzung des psychischen Defekts vor dem Hintergrund einer eingehenden Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer Entwicklung (BGHR StGB § 63 Zustand 34). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Insbesondere fehlen hinlänglich konkrete Angaben zur Art der Störung und zur Entwicklung der Persönlichkeit des Angeklagten. Diese werden aus den Feststellungen zu seinen früheren Aufenthalten in psychiatrischen Krankenhäusern und den dabei gestellten Diagnosen ebensowenig deutlich wie aus der nicht weiter erläuterten, die Schilderung der Anlaßtaten aussparenden Angabe, der Angeklagte habe sich „rund 17 Jahre in Haft” befunden.
Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB ist aber auch deshalb unzureichend begründet, weil das Landgericht feststellt, der Angeklagte sei alkohol- und medikamentensüchtig, leide unter Entzugserscheinungen und bedürfe einer Behandlung, ohne sich mit der Frage seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) auseinanderzusetzen. Dies drängte sich auf, falls – was die Feststellungen wiederum offenlassen – bei den Anlaßtaten Alkohol- oder Medikamentenmißbrauch eine auslösende Rolle gespielt haben sollte. In diesem Fall erübrigte sich eine Erörterung nicht schon deshalb, weil – wie die Strafkammer mit dem Sachverständigen annimmt – bei dem Angeklagten „die Suchtmittelproblematik vordergründiger als die Persönlichkeitsproblematik” ist; denn das schließt nicht ohne weiteres aus, daß die Behandlung in einer Entziehungsanstalt die Aussicht bietet, ihn soweit zu therapieren, daß von ihm keine Gefahr der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten mehr ausgeht.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist demgemäß aufzuheben, wohingegen der Freispruch bestehen bleibt. Da nach den bisherigen Feststellungen die letzte Anlaßtat im Jahre 1995 begangen ist, also lange zurückliegt, wird die nunmehr sachbefaßte Strafkammer zu den Vorfällen aus den Monaten Januar und Oktober 1999 angesichts ihrer möglichen Bedeutung für die Gefahrprognose genauere Feststellungen treffen müssen.
Unterschriften
Jähnke, Niemöller, Otten, Rothfuß, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 512478 |
StV 2001, 565 |